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Augsburg: Dem Virus auf der Spur: Eine Tour durch das Augsburger Gesundheitsamt

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Dem Virus auf der Spur: Eine Tour durch das Augsburger Gesundheitsamt

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    Feldwebel Mike L. (links) und Oberstabsgefreiter Henrik V. (rechts) vom IT-Batallion Dillingen erhalten von Boris O. und Marion Benda (Index-Steuerung) eine Schulung.
    Feldwebel Mike L. (links) und Oberstabsgefreiter Henrik V. (rechts) vom IT-Batallion Dillingen erhalten von Boris O. und Marion Benda (Index-Steuerung) eine Schulung. Foto: Peter Fastl

    Noch ein Blick auf den Bildschirm, kurz das Headset zurechtrücken, ein Durchatmen. Dann klingelt es. Einmal, zweimal, dreimal. Als sich eine weibliche Stimme meldet, spult Beata Gelfert ihren Text ab: "Ja, schönen guten Tag, Gelfert hier vom Gesundheitsamt der Stadt Augsburg. Sie werden es ja schon gehört haben, das mit dem Fall in der Kindergartengruppe vom Franz. Geht es ihm denn gut?" Aus dem Kopfhörer ertönt ein blechernes "Ja, kein Symptome". Gelfert spricht die Quarantäne aus, gibt der Mutter noch ein paar Hinweise. Dann, nach vier Minuten, endet das Gespräch mit einem routinierten "Bleiben Sie gesund". Gelfert, 58 Jahre, blond, Lippenstift und Fingernägel in Rosa, sitzt an ihrem Schreibtisch im

    Kontaktnachverfolgung am Gesundheitsamt Augsburg: Alles geht nicht

    Das Coronavirus bahnt sich weiter seinen Weg durch Augsburg. In unterschiedlichen Intensitäten grassiert es in der Bevölkerung und löst so Infektionsketten aus, die sich umso fataler auswirken, je länger sie werden. Sie deshalb so früh wie möglich zu unterbrechen, ist die Aufgabe der Kontaktnachverfolgung am Gesundheitsamt. Diese Aufgabe hat sich im Verlauf der vergangenen Monate verändert, weil sich die Situation verändert hat. Das Virus bleibt nur schwer zu bändigen, ständig überholen sich Vorgaben, die Bevölkerung wird der Pandemie immer überdrüssiger. Die Folge: Alles auf einmal geht schlicht nicht mehr. Die knapp 300 Menschen, die am Gesundheitsamt dem sind dazu übergegangen, Prioritäten zu setzen.
     

    Beata Gelfert ist Kontakt-Nachverfolgerin im Augsburger Gesundheitsamt.
    Beata Gelfert ist Kontakt-Nachverfolgerin im Augsburger Gesundheitsamt. Foto: Silvio Wyszengrad

    Tür auf, einmal rechts, Tür auf, einmal links, und es öffnet sich ein kleiner Teil der Welt, in der die Jagd läuft. Hier, in der Berliner Allee, verteilt auf ein halbes Dutzend nüchterner Büroräume, sitzt seit März das Indexteam. Mit "Index" sind Personen gemeint, die aktuell positiv getestet wurden. Marion Benda, Leiterin des Indexbereichs mit rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hat an ihrem Schreibtisch Platz genommen und ihr E-Mail-Postfach geöffnet. 300 bis 400 Formulare flattern dort pro Tag rein - vor allem Fragebögen, die von positiv Getesteten stammen. "Lange haben wir die wichtigsten Infos eintelefoniert", sagt Benda und zeigt auf ihren Bildschirm, der einen frisch hereingekommenen Fragebogen zeigt. "Symptome, Impfstatus, Beruf, Variante, diese Sachen. So ein Telefonat dauert aber schon mal eine Stunde. Diese Zeit haben wir nicht mehr."

    Corona: Bundeswehr hilft bei der Pandemie-Bekämpfung

    Und so ist es still in der Berliner Allee. Kein hektisches Treiben, keine lauten Gespräche über die Headsets, kaum Telefonklingeln. Dafür viele konzentrierte Blicke in Bildschirme, viel routiniertes Tastaturtippen, vieles Abarbeiten. Der Job hier ist außergewöhnlich, aber letztlich doch wie viele andere. Das zeigt sich auch an den beruflichen Biografien des "Index"-Teams: Hier arbeitet eine ehemalige Zahnarztassistentin mit einem Ex-Dolmetscher zusammen, eine vorübergehend abgeordnete Stadtmitarbeiterin mit einem Mann, der von einem Allgäuer Gesundheitsamt nach Augsburg wechselte. Seit Mitte Dezember helfen auch wieder rund ein Dutzend Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten mit. Sie verarbeiten vor allem Fragebögen, von Dillingen aus. Aber auch die meisten anderen arbeiten ja dezentral, entweder im Homeoffice oder in Räumlichkeiten über das Stadtgebiet verteilt.

    Marion Benda ist Leiterin des Indexbereichs, der sich im Gesundheitsamt um aktuell positiv getestete Personen kümmert.
    Marion Benda ist Leiterin des Indexbereichs, der sich im Gesundheitsamt um aktuell positiv getestete Personen kümmert. Foto: Peter Fastl

    Tritt ein positiver Fall auf, werden über den Fragebogen auch Kontaktpersonen abgefragt. Sie alle zeitnah persönlich zu kontaktieren, ist aufgrund der schieren Masse aber unmöglich geworden. Die Gesundheitsämter konzentrieren sich daher inzwischen bei der Kontaktaufnahme auf Haushaltskontakte und vulnerable Personengruppen. Was auch bedeutet, dass sich die Verantwortung verlagert hat - von den Behörden hin zu den Menschen. Das klappt nicht selten, bei Weitem aber nicht immer. "Oft werden Kontakte, gerade im Haushalt, nicht angegeben", sagt Thomas Wibmer, stellvertretender Leiter des Augsburger Gesundheitsamts. "Die tauchen dann 'zufällig' auf, wenn sie selbst positiv getestet wurden. Relativ häufig kommt es auch zu Verzögerungen, weil Angaben unklar sind, fehlen, mehrfach oder viel zu spät nachgereicht werden. Das macht die Ermittlungen nicht einfacher." Dennoch, betont Wibmer, sei man im Rahmen der Prioritäten "immer auf der Höhe" gewesen.

    Eigene Software CorTrac ermöglicht persönliche "Corona-Akten"

    Dabei hilft auch ein Instrument, das das Augsburger Gesundheitsamt exklusiv hat: CorTrac. So heißt die Software, in die die Infos aus den Fragebögen übertragen werden. Der große Vorteil: In einer Art persönlicher "Corona-Akte" haben die Teams auf einen Blick alle Daten, die sie für die jeweilige Person brauchen. Die

    Medizininformatiker Gerhard Rammel hat eine Software entwickelt, die die Corona-Kontaktnachverfolgung erleichtert.
    Medizininformatiker Gerhard Rammel hat eine Software entwickelt, die die Corona-Kontaktnachverfolgung erleichtert. Foto: Silvio Wyszengrad

    Auf Rammels Schreibtisch liegen fünf Dokumente, in denen mehrere Passagen farblich markiert sind - Wünsche aus den Teams und Vorgaben aus Ministerien, die der 64-Jährige lesen, verstehen und anschließend in die Software übersetzen muss. "Der Fluss reißt eigentlich nie ab, ich bin ständig mit Anpassungen beschäftigt", sagt Rammel. Der Aufwand sei "extrem", aber: "Je schneller wir sind, desto besser können die Kollegen arbeiten. Also sind wir schnell." Habe eine Systemanpassung anfangs zwei bis drei Wochen gedauert, liege man inzwischen bei "ein oder zwei Tagen".

    Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen und Kitas werden speziell betreut

    Selbes Gebäude, zwei Gänge weiter. In einem kleinen Einzelbüro sitzt Sabine Imhof, 43 Jahre alt, seit 2011 Amtsärztin am Gesundheitsamt, eigentlich als Gutachterin von angehenden Beamtinnen und Beamten. Von Welle eins bis drei war dieser Bereich geschlossen, und Imhof widmete sich zusammen mit einem kleinen Team einem besonders sensiblen Bereich: medizinischen Einrichtungen. Dazu zählen allen voran Krankenhäuser und Pflegeheime, aber auch Arztpraxen oder Einrichtungen für behinderte Menschen. Wenn Corona dort zuschlägt, ist Imhof Mittelsfrau und Ansprechpartnerin. Sie schickt Hygienekontrolleure, die Kontaktpersonen ermitteln, das Hygienekonzept überprüfen, selbst Abstriche machen und bei Bedarf Tipps geben, etwa zur Isolierung von Infizierten.

    Genau dieser Bedarf hat aber abgenommen, sagt Imhof. "Seit der vierten Welle ist die Abstimmung deutlich entspannter. Die Abläufe haben sich eingespielt, die Zuständigkeiten sind klarer - auch die Häuser haben gelernt, schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen." Die Aufgaben in ihrem Zuständigkeitsbereich derzeit seien "weniger, aber anspruchsvoller - zum Beispiel, wenn es darum geht, je nach Haus individuelle Beratung zu den aktuell gültigen Vorgaben durchzuführen". Was zusätzlich dabei half, die Belastung zu regulieren: Der zwischenzeitlich enorme Datenhunger übergeordneter Stellen - in früheren Pandemie-Tagen musste das Gesundheitsamt pro Corona-Fall täglich ein Update an die Regierung von Schwaben übermitteln - hat wieder alltagstaugliche Maße angenommen. Imhof betont aber, man müsse aufmerksam und sensibel bleiben. Schon ab einem positiven Test kommt ein Heim auf ihre Liste, aktuell stehen dort mehrere.

    "Datenhunger": Ständig prasseln neue Vorgaben der Politik ein

    Langsam bricht der Abend an und Beata Gelfert fragt, wie es dem kleinen Franz gehe. Gelfert ist Teil des Teams, das im Hohen Weg sitzt - und dessen Auftrag so speziell ist, dass es regelmäßiger Telefonate bedarf. Es geht um die Betreuung und Kontaktnachverfolgung an Schulen und Kitas. Mit der vierten Corona-Welle hat es in Augsburg so gut wie alle von ihnen erwischt - die kleineren Einrichtungen mit einer Handvoll Kindern, die größte mit 90. Seit Monaten ist die Sieben-Tage-Inzidenz nirgendwo höher als unter jenen Altersgruppen, die Schulen und Kitas besuchen. Gleichzeitig soll der Betrieb dort unter fast allen Umständen weitergehen. Im Hohen Weg, wo sie vor Corona vorwiegend Einschulungsuntersuchungen gemacht haben, zeigt sich das Ergebnis davon.

     Dr. Thomas Wibmer ist stellvertretender Leiter des Augsburger Gesundheitsamtes. Unser Bild zeigt ihn mit Abstrichproben.
    Dr. Thomas Wibmer ist stellvertretender Leiter des Augsburger Gesundheitsamtes. Unser Bild zeigt ihn mit Abstrichproben. Foto: Silvio Wyszengrad

    Gerade ist es wieder so weit. Bernhard Bobinger, in der Kontaktnachverfolgung Leiter des Bereichs Schule und Kitas, hat vor sich Dokumente ausgebreitet. Er zählt auf, was kürzlich kam und quasi gleichzeitig umzusetzen ist: ein Schreiben vom Kultusministerium, eines vom Gesundheitsministerium, eines vom Sozialministerium und eine Allgemeinverfügung. Kann all das ohne Widersprüche bleiben? "Eigentlich nicht, das liegt in der Natur der Sache", sagt Bobinger mit irgendwas zwischen Gelassenheit und Erschöpfung. "Vieles müssen wir noch mal nachfragen - während gleichzeitig die Einrichtungen und Eltern erwarten, dass wir alles gleich sofort im Detail wissen. Aber wie?" Er, gerade er, habe großes Verständnis, wenn die Menschen immer mehr den Überblick darüber verlören, was noch gelte und was nicht. Doch gebe es immer wieder auch Fälle, in denen sein Verständnis an Grenzen stoße.

    Quarantäne oder nicht? Es kommt auch zu Konflikten

    So wie damals, ein Corona-Fall in einer Schule, drei Kontaktpersonen waren ebendort ermittelt. Grundlage waren die Angaben einer Lehrerin. "Wir haben das am Vormittag geklärt. Dann kam ein Brief von der Lehrerin", erinnert sich Bobinger und hebt seine Stimme. Der Inhalt des Briefs: Die Eltern hätten den Angaben der Lehrerin widersprochen. Laut Eltern habe eine Kontaktperson jetzt doch genug Abstand gehalten, die zweite sei inzwischen nicht mehr die beste Freundin der Infizierten und habe im Unterricht keinen Kontakt gehabt. Nur bei der Dritten könne man die Quarantäne aufrechterhalten, weil es keine Beschwerden der Eltern gegeben habe. "Die Schule hat dann einen Anruf von mir bekommen, um die Lage zu klären. Wir machen diese Ermittlungen doch nicht aus Lust und Laune, wie manche Eltern glauben", sagt Bobinger. Letztlich habe sich herausgestellt, dass die ursprünglichen Angaben der Lehrerin korrekt gewesen seien. Es sei dann bei der Maßnahme geblieben.

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