"Theaterviertel? Was genau soll das sein?" Das junge Pärchen, das Samstagabend in der Augsburger Ludwigstraße auf Freunde wartet, schaut etwas verwirrt. Man kenne die Ludwigstraße mit ihren Kneipen, aber vom Theaterviertel habe man noch nie etwas gehört, sagen die jungen Nachtschwärmer. Während in der Politik und Kneipenszene über ein "Theaterviertel" gerade kontrovers diskutiert wird, scheint dieser Kunstbegriff bei den Menschen, die hier zum Essen, Trinken und Feiern unterwegs sind, noch nicht angekommen zu sein.
Offiziell gibt es ein Theaterviertel in Augsburg nicht. Bisher sprechen die Menschen meist vom Domviertel, wenn sie die nördliche Innenstadt jenseits der Verkehrsachse Karlstraße/Grottenau meinen. Doch auch dieser Begriff existiert bei der Stadt nicht. Stattdessen gibt es einzelne Stadtbezirke, etwa "St. Ulrich – Dom", Georgs- und Kreuzviertel oder das Bahnhofs- und Bismarckviertel. Dem setzt die Initiative "Theaterviertel jetzt" den neuen Begriff entgegen. "Das Theaterviertel ist wesentlich mehr, als nur die Straßen rund um das Staatstheater", sagt Kneipenwirt Sebastian Karner vom Weißen Lamm, der als einer der treibenden Kräfte der Initiative das Viertel voranbringen möchte.
Nach Ansicht der Initiative gehört hierzu der Hofgarten ebenso wie der geplante Fuggerboulevard, der Stadtmarkt, die Stadtbibliothek, die Grottenau mit dem Leopold-Mozart-Zentrum oder die Blaue Kappe. Ein Viertel, in dem sich – getrieben vom Theater – künftig Akteure aus dem Theater, der Kunst, Kultur, aber auch Gewerbe ansiedeln sollen. Vor allem die "Barriere" Karlstraße, die den Bereich von der Innenstadt abtrennt, solle mit dem Gedanken eines "großen Theaterviertels" aufgebrochen werden, sagt Karner.
Nicht warten, bis das Staatstheater in Augsburg wieder öffnet
Auch Stadtrat Raphael Brandmiller (Generation Aux) setzt sich für ein Theaterviertel ein. "Als das Theater noch da war, gab es in den Straßen rundherum jede Menge Leben und Kultur", sagt er. Jetzt erlebe das Viertel einen "Downgrade", eine Verschlechterung. Klubs und Läden müssten schließen, die Leerstände seien nicht mehr zu übersehen. "Wir können nicht warten, bis das Theater wieder öffnet, um das Theaterviertel attraktiv zu machen", findet der Stadtrat. Es komme nicht oft vor, dass die Stadt die Gelegenheit bekomme, ein Gebiet mitten im Stadtzentrum neu zu überdenken und zu gestalten.
Ein Anliegen der Initiative ist es, das Sommernächte-Stadtfest in diesem Jahr bis ins Theaterviertel auszuweiten. Dagegen regt sich allerdings Widerstand – vor allem von der Veranstalterin, der Stadtmarketinggesellschaft, die das Vorhaben als nicht finanzierbar ablehnt. Spricht man mit Gastronomen im Theaterviertel, wird die Idee differenziert gesehen. "Wenn hier mehr los ist, ist das immer gut", findet Gastronom Grigorij Suslovskiy von Giovannis Trattoria. Seit das Theater geschlossen sei und saniert werde, kämen vor allem tagsüber wesentlich weniger Gäste in sein kleines Lokal. Vor allem die Theaterbaustelle halte viele Gäste ab, tiefer ins Viertel und bis zu seiner Trattoria zu gehen.
Auch Edelgastronom Hendrik Ketter (Nose & Belly) hat ein Problem mit den Baustellen. "Es gibt im näheren Umfeld gerade vier große Baustellen – wer plant denn sowas?", fragt er sich. Von der Parksituation im Viertel müsse man gar nicht sprechen. Sonst hat Ketter mit seinem Angebot kein Problem mit der Kundenfrequenz – die Menschen kämen schließlich gezielt in sein Lokal. Ein Negativtrend sieht er so nicht. "Im Viertel ist für jeden etwas geboten und es wird immer mehr", findet er.
Das Theaterviertel in Augsburg hat ein überwiegend ruhiges, friedliches Flair
Dass die Ausweitung der Sommernächte eine Auswirkung auf ihr Geschäft haben könnte, kann sich Olga Laski vom Café und Restaurant "Kostas am Theater" nicht vorstellen. Das Lokal liegt gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche. "Als vor zwei Jahren die Ludwigstraße gesperrt wurde, riss der Gästestrom auf der Höhe vom Weißen Lamm ab – bis zu uns ist kein Mensch gekommen", sagt sie. Sie findet, dass das Viertel ums Theater auch so ein schönes Flair hat, das für Gäste attraktiv ist. "Vor allem im Sommer ist es hier schön, man kann draußen sitzen, es ist ruhig und sehr friedlich", so Laski.
Dieses Flair schätzen auch viele Anwohner. "Ich bin ganz bewusst in die Nähe des Theaters gezogen", sagt Rentnerin Hannelore Schmitt. Sie genieße es, im Sommer auf der Terrasse zu sitzen und die Stimmen und die Musik der Kneipen unten auf der Straße zu hören. "Wenn ich in die Stadt ziehe, weiß ich doch, dass es nicht leise ist", so die Anwohnerin. Dafür habe sie eine große Auswahl an guten Lokalen, die sie zu Fuß in wenigen Minuten erreichen könne. "Und ich freue mich so darauf, wenn das Theater wieder eröffnet."
Nicht alle sehen das so. Von der Stadt heißt es, es gebe vor allem im Bereich der Ludwigstraße immer wieder Beschwerden einzelner Anwohner wegen nächtlichen Lärms. Student Elias ist hingegen bewusst in eine Wohnung über dem Weißen Lamm eingezogen. "Ich bin hierhergezogen, weil meine Freunde hier wohnen", sagt er. Das Schlafzimmerfenster könne man am Wochenende wegen des Geräuschpegels nicht öffnen – aber das störe ihn nicht. Auch er sagt: "Ich habe ja gewusst, dass ich in die Innenstadt ziehe."