Petra Dirbach, 48 Jahre alt: Die erste Bewohnerin, die hier mit Kindern einzog.
Als Petra Dirbach das dritte Mal Nachwuchs erwartete, war die Beziehung mit dem Vater ihrer Kinder gerade in die Brüche gegangen. Die von da an alleinerziehende Frau brauchte eine neue Wohnung. Sie wusste nicht, wie sie das alles zahlen soll, wie es wird, wenn das Baby auf die Welt kommt und sie arbeitet. Petra Dirbach aus Pfersee fiel in ihrer Verzweiflung die Fuggerei ein. Schließlich wohnten ihre Eltern bereits in der im Jahr 1521 von Jakob Fugger gestifteten Sozialsiedlung. Sie bewarb sich. Ein Jahr wartete sie, bis sie die Zusage erhielt. „Meine Erleichterung war groß. Ich war die Erste, die mit Kindern in die Fuggerei einzog.“ Neun Jahre sind seither vergangen.
Dierbach, die beiden Söhne und ihre Tochter wohnen in einer der größten Wohnungen mit rund 90 Quadratmetern im ersten Stock. Das Dachgeschoss ist zum Teil ausgebaut. Dort oben ist das Reich der Kinder. Vinzent (9), Fiona (11) und Raphael (13) teilen sich den Raum mit der Dachschräge. An jeder Wand steht ein Bett. „Es heißt immer, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer braucht. Aber wer soll das bezahlen?“, sagt Dirbach. „Meine Kinder haben hier ein schönes Leben. Es ist friedlich hier und sie können auch mal im Schlafanzug schnell zu Oma und Opa rüberlaufen.“ Dirbach ist eine der wenigen Bewohner, die ein Auto besitzt. Das muss sie natürlich außerhalb der Mauern parken. Nur zum Ausladen darf sie damit in die Fuggerei. Denn wenn die Mutter zum Einkaufen fährt, nimmt sie gleich sämtliche Bestellungen ihrer Nachbarn mit.
Wer darf in die Fuggerei ziehen und was kostet das?
Noel Guobadia, 23 Jahre alt: Der jüngste Alleinlebende.
„Ohne die Fuggerei hätte ich meine Weiterbildung nie durchgezogen“, sagt Noel Guobadia. Der junge Mann macht nächstes Jahr den Abschluss zum Wirtschaftsfachwirt. Von der Industrie- und Handelskammer (IHK) hat er dafür ein Stipendium bekommen. Nebenbei verdient er etwas Geld in einem Elektrofachmarkt. Er ist stolz auf das, was er bislang erreicht hat. Denn es sah nicht immer rosig aus im Leben des 23-Jährigen, der früher mit seiner Familie in Lechhausen wohnte. Die Eltern ließen sich scheiden, er geriet auf die schiefe Bahn, wie er es nennt. „Wir ziehen in die Fuggerei“, habe seine Mutter eines Tages ihm und dem Bruder verkündet. Guobadia war überrascht: „Ich meinte zu ihr: Aber das ist doch ein Museum. Da geht man doch nur mit der Schule hin.“
Seit drei Jahren hat er im „Museum“ seine eigene Wohnung. Eine Küche, ein Zimmer, ein Bad auf insgesamt 36,5 Quadratmetern. Die Fuggerei habe etwas Märchenhaftes. „Die Menschen sind alle nett zueinander. „Ich bekam hier schon einige Weisheiten mit auf den Weg, die ich im grauen Wohnblock nie erhalten hätte.“ Etwa den Tipp von älteren Frauen, zum Einkaufen keine Plastiktüten, sondern einen Trolley zu benutzen. „Sonst machst du dir deine Gelenke kaputt“, hätten sie ihm gesagt. Seitdem sieht man den gebürtigen Augsburger oft seinen grünen Trolley hinterherziehen. Dafür richte er einem älteren „Fuggerianer“ auch mal ein neues Smartphone ein. Auch die Bewohner, die sich mit den Nachtwächterschichten abwechseln, kennen ihn. Der junge Mann kommt freilich auch mal nach 22 Uhr nach Hause, wenn die Siedlung schon abgesperrt ist. Guobadia muss dann am Seiteneingang klingeln, damit das Tor geöffnet wird. „Als ich Freunde das erste Mal mitbrachte, waren die schon verdutzt.“
Christine Thoma, 66 Jahre alt: Die gute Seele, die im Fuggerei-Treff das Frühstück macht.
Christine Thoma ist ein geselliger Mensch. Das liegt der fröhlichen Frau, die in der Ulmer Straße aufgewachsen ist, im Blut. Ihre Eltern betrieben in Oberhausen die Wirtschaft „Bayerischer Löwe“. Damals war in der Straße jedes zweite Haus eine Wirtschaft mit bayerischer Küche, erinnert sie sich. „Man wusste, welcher Gast welches Bier trank, und wenn einer ein paar Tage nicht kam, machte man sich Sorgen.“ Eine gewisse Ordnung habe dort geherrscht. „Ich konnte mir nicht vorstellen, von der Ulmer Straße wegzugehen.“ Christine Thoma selbst arbeitete 25 Jahre lang im König von Flandern. Die Fuggerei sei für sie früher immer eine Siedlung für arme, alte Leute gewesen. Mehr nicht. Eines Tages lernte die Augsburgerin drei Frauen kennen, die in der Fuggerei lebten. Diese zeigten Thoma dort ihre Wohnungen. „Ich wusste, was für eine Rente ich nach 42 Jahren Arbeit zu erwarten hatte. Das sah nicht rosig aus“, erzählt Thoma. Sicherheitshalber stellte sie sich in der Sozialsiedlung vor.
Zwei Jahre dauerte es, dann kam der Anruf. „Ich war wie gelähmt vor lauter Glück. Ich hätte die Welt umarmen können.“ Seit sechs Jahren nun hat sie die Wohnung im ersten Stock, direkt neben dem Biergarten. Wenn Thoma mitkriegt, dass es dort eng wird, hilft sie auch mal mit. Die „gute Seele“ aus der Fuggerei kümmert sich außerdem um das Frühstück, zu dem immer dienstags die Bewohner im Fuggerei-Treff zusammenkommen. Was Thoma gut gefällt, ist, dass man sich umeinander kümmert. Gibt ein Bewohner Anlass zur Sorge, wird durchaus mal eine der Sozialpädagoginnen der Fuggerei eingeschaltet, berichtet die 66-Jährige. Es herrsche eine gewisse Ordnung in der kleinen eigenen Stadt mitten in der Stadt Augsburg. Und Fürsorge – wie früher in der Ulmer Straße.
Johanna Grünwald, 62 Jahre: Sie wird hin und wieder für eine Statistin gehalten.
Johanna Grünwald hat in die Fenster ihrer rund 50 Quadratmeter großen Erdgeschosswohnung Gardinen gehängt. Das hält manche Touristen trotzdem nicht davon ab, neugierig hineinzublicken oder im Sommer gar die Köpfe reinzustrecken. „Darf ich Ihre Wohnung anschauen?“ und „Haben Sie auch einen Kaffee für mich?“ sei sie schon gefragt worden. Oder: „Bekommen Sie als Statist das Essen umsonst?“ Grünwald kann darüber schmunzeln. Seit vier Jahren lebt sie in der Fuggerei. Die Krankenpflegerin bekam eines Tages eine Sehbehinderung. Von heute auf morgen durfte sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Eine Welt brach für sie zusammen. Mit einer schmalen Rente wusste sie nicht, wie sie weiterhin Miete zahlen sollte. Die Zusage der Fuggerei war für sie ein Glücksfall. Auch wenn sie kurz mit sich haderte. „Ich wollte nicht als Bettler dastehen. Aber dann sagte ich mir, nehme es doch an.“ Die 62-Jährige schätzt in der Fuggerei ebenfalls den Gemeinschaftssinn.
Für Grünwald ist das besonders wichtig. Denn inzwischen sieht sie kaum noch etwas. „Johanna, wie schaut’s mit deinem Garten aus?“, habe neulich ein Nachbar gefragt. „Da musst du schon selber schauen“, lautete ihre trockene Antwort. Natürlich half er ihr im Garten, der hinter dem Haus liegt und nicht einsehbar ist. So wie sich hier immer alle gegenseitig helfen. „Man achtet aufeinander. Aber es kann auch jeder für sich bleiben.“ Ihre Freunde würden sie um die Wohnung beneiden. Grünwald ist dankbar, dass sie hier wohnen kann.
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