Markus Linder steigt zwischen den Stangen durch das Tor, das den Hinterausgang des Elefantengeheges im Augsburger Zoo verschließt. Er geht zwei Schritte auf Burma zu, streichelt sie kurz. Dann dreht er sich um, Targa bekommt ihre Streicheleinheit. Markus Linder ist ein bulliger Kerl, seine Unterarme werden dick wie XXL-Colaflaschen, wenn er sie verschränkt. Er macht nicht den Eindruck, als könne ihn etwas einschüchtern, nicht einmal Targa und Burma. Dabei sieht selbst er neben den beiden aus wie ein Zwerg. Und doch ist er das Super-Alphamännchen im Elefantengehege. Körperkontakt mit den Tieren ist für ihn Alltag. Aber nicht mehr lange. Und dann ist auch das Dasein als Super-Alpha Geschichte.
Denn seit Wochen tut sich etwas bei den Augsburger Elefanten. Anfang Februar wurde das neue Gehege eröffnet, seit Mai haben Targa und Burma zudem Mitbewohnerinnen: Frosja und Louise haben das Elefantenhaus bezogen, sie sind aus Berlin gekommen. Das neue Gehege ist ausgestattet mit Hightech, wenn alle vier Elefanten einmal dort eingezogen sind, werden die Pfleger nicht mehr zu ihnen steigen. Das ermöglicht eine kontaktlose Pflege.
Elefantengehege im Zoo Augsburg soll jetzt sicherer sein
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Elefanten sind tonnenschwere Tiere. Wenn es zu einem Unfall kommt, kann dieser tragisch enden. So wie vor über 50 Jahren im Münchener Tierpark Hellabrunn: Damals kam es zu einem Gefecht zweier Elefanten, weil ein Pfleger im Gehege war. Die Leitkuh ging auf den Mann los, eine Artgenossin rettete ihn und rammte die Leitkuh derart heftig in eine Wand, dass diese an den Verletzungen starb. Zudem verletzen sich gelegentlich Pfleger bei der Arbeit mit Elefanten, auch in jüngerer Vergangenheit, und auch in Augsburg.
2011 traf Sabi, eine afrikanische Elefantenkuh, einen Pfleger mit ihrem Stoßzahn. Sie musste Augsburg kurz darauf verlassen. Die Tierschutzorganisation Peta sprach damals von einem "bewussten" und "vorhersehbaren Angriff", da die Tiere der bislang gängigen Pflegepraxis nach geschlagen worden seien. Dieses Prinzip, bei dem die Pfleger in direktem Kontakt zu den Tieren stehen und das Fachleute "Hands-on" nennen, beruhe auf Unterwerfung und Demütigung der Tiere. Die Vorwürfe schlugen hohe Wellen, so wie es für Peta typisch ist: Die Organisation hat einen umstrittenen Ruf, ihr Grundsatz beruht darauf, Aufmerksamkeit zu erregen. Der damalige Zoo-Kurator Wilhelm Möller dementierte jedenfalls, bezeichnete es als "Quatsch", dass die Tiere geschlagen würden. Und auch dass die Pflege nun umgestellt werde, habe nichts mit derartigen Vorwürfen zu tun. "Da geht es um die Sicherheit der Tiere und der Pfleger", sagt Markus Linder.
Neues Gehege im Zoo Augsburg ermöglicht kontaktlose Pflege
Schon seit Jahren wurde deshalb diskutiert, die Pflege umzustellen. 2011 sagte Kurator Möller noch, dass dies kaum möglich sei: "Dazu müssten wir alles umbauen." Mithilfe von Spenden und einer Förderung der Stadt Augsburg gelang dies fast ein Jahrzehnt später, das neue Elefantengehege ist das teuerste Projekt in der Geschichte des Zoos. Was daran so besonders ist, sieht man am besten, wenn man hinter die Kulissen schauen kann.
Dort finden sich jetzt Boxen, vier Stück, die abschnittsweise von schweren Betonwänden und dicken Stahlgittern umgeben sind. In den Gittern, die das Gehege nach außen hin begrenzen, sind Einsparungen. Etwa eine vertikale, die so breit ist, dass ein Mensch sich hindurchzwängen könnte. Vom Elefant passt hingegen nur der Rüssel hinein. "Durch diese Lücke kann man den Tieren etwa ein Spritze verabreichen", sagt Linder. Auf Hüfthöhe finden sich zudem einige Sprossen, auf die die Elefanten ihre Füße stellen können. Diese pflegen die Mitarbeiter dann von außen – ohne dass die Tiere sie durch das Metall hindurch verletzen könnten.
Frosja und Louise sind neue Elefanten in Augsburg
Um die Elefanten in Position zu bringen, erfordere es ihren Gehorsam, sagt Linder. Diesen erreiche man durch Erziehung mithilfe von Anreizen. Dominieren müsse man sie nicht mehr – den unantastbaren Platz außerhalb der Rangordnung werden die Pfleger deshalb verlieren. Bei den Neuankömmlingen Frosja und Louise hätten sie diesen ohnehin nie gehabt: Bei ihnen hat der Augsburger Zoo die kontaktlose Pflege sofort etabliert. "Ich bin jetzt der nette Onkel, der das Futter bringt", sagt Linder. Der Zoo ist Mitglied der Europäischen Vereinigung von Zoos und Aquarien, in welcher alle Elefantengehege auf das neue Prinzip umgestellt werden.
Mehr Freude macht Linder die alte Methode, bei denen er direkt mit den Tieren in Kontakt ist. Doch weil die Vorkehrungen im neuen Gehege die Sicherheit erhöhen, begrüßt er den Umbau dennoch. Auch wenn Targa und Burma in über 30 Jahren im Augsburger Zoo in keinen Unfall involviert waren, sich nie aggressiv gezeigt hätten. Denn abgesehen von der Technik haben die Elefanten nun auch schlicht mehr Platz – nämlich vier mal so viel wie zuvor. Die Außenanlage ist so groß wie ein Fußballplatz, die Halle, in der sich unter anderem die Boxen befinden, hat die Größe eines Handballfelds.
Im Zoo lebt Burma, einer der ältesten Elefanten der Welt
Doch Targa und Burma scheinen noch ein wenig skeptisch zu sein. Kein Wunder: Targa gehört mit ihren 64 Jahren zu den ältesten Elefanten der Welt, auch Burma ist schon rund 50. Noch einmal umzuziehen, ist in diesem Alter keine Freude. Deshalb lässt der Zoo den beiden die Zeit, die sie brauchen. Die Tür zwischen altem und neuem Gehege steht offen, sie dürfen bestimmen, wann sie hinüber möchten. Targa hat sich das schon gelegentlich getraut, Burma bleibt bisher lieber, wo sie ist.
Denn in dem neuen Gehege sind schließlich nicht nur eine neue Halle und andere Wände – sondern auch die zwei neuen Artgenossinnen. Die sind beide auch schon jenseits der 40, ein Alter, in dem weibliche Elefanten den Anspruch ausprägen, zur Leitkuh zu werden. Das Zusammenleben der vier Tiere sei deshalb keine optimale Konstellation, da die Hierarchie offen sei, sagt Linder. "Doch das ist keine Situation, die wir hier verursacht haben." Die Tiere wurden vor Jahrzehnten in Asien gefangen, leben inzwischen lange in Gefangenschaft und brauchen schlicht ein Zuhause. Aber bis tatsächlich alle vier Tiere ins neue Gehege gezogen sind, kann es noch dauern. Auch Targa meidet dies nun, seit Frosja und Louise in Augsburg sind. "Sie hat sich die Neuen einmal angesehen", sagt Linder und schmunzelt. "Dann hat sie sich umgedreht und ist wieder gegangen."