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Augsburg: Das Geschäftsmodell Jesus: So funktioniert die "Weniger-Konferenz"

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Das Geschäftsmodell Jesus: So funktioniert die "Weniger-Konferenz"

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    Lobpreis statt Händefalten, Hymnen statt Nachsprechen: Zur Weniger-Konferenz des Augsburger Gebetshauses kommen an vier Tagen rund 4000 Besucherinnen und Besucher.
    Lobpreis statt Händefalten, Hymnen statt Nachsprechen: Zur Weniger-Konferenz des Augsburger Gebetshauses kommen an vier Tagen rund 4000 Besucherinnen und Besucher. Foto: Peter Fastl

    Ganz ruhig sitzt er auf dem Stuhl. In sich versenkt, die Füße fest auf dem Boden, die Beine locker gespreizt, die Augen geschlossen. Er ist ein Ingenieur aus Stuttgart. Heute hat er frei und ist zum Beten in das 24-Stunden-Gebetshaus nach Augsburg gekommen. Warum geht er nicht in den Dom? „Hier ist es freundlich, jeder kann sein, wie er will. Ich fühle mich wohl hier, befreit“, sagt er. Gebetszeit mit Live-Musik im 24-Stunden-Gebetshaus. Etwa 20 Menschen sind an diesem Abend im modernen, freundlich-bunten Zentrum im Gögginger Industriegebiet. Ihr Durchschnittsalter liegt bei etwa 30 Jahren. 

    Vorne spielt die Band mit Sebastian Bartram, „Missionar“ und Sänger im Gebetshaus. In der heutigen Abendschicht ist der Verwaltungsökonom aus Bad Segeberg für den „Lobpreis“ zuständig. Dieses poppig, rockige religiöse Musikgenre ist ein Markenzeichen der weltweiten sogenannten Charismatischen-Erneuerungsbewegung, zu der das Gebetshaus gehört. Die Band ist professionell, das Mischpult extra mit Personal bestückt. 

    Der Verein, den der Theologe und Philosoph Johannes Hartl 2007 zunächst in Hochzoll gründete, erwarb 2012 ein ehemaliges Fitnesszentrum an der Pilsener Straße in Göggingen und baute es zu einem Zentrum mit Gebetsraum, Café und Büros um. Im Foyer gibt es das Merchandising rund um Hartls Publikationen: Bücher, T-Shirts und einzelne sowie gesammelte Ansprachen auf CD. Waren hier 2013 noch 13 „Missionare“ beschäftigt, wurde dieses Personal inzwischen auf 47 Männer und Frauen aufgestockt. Eine eigene „Jüngerschaftsschule“ unter dem poppigen Namen „Flame-Academy“ verspricht Stimmbildung, Lobpreis und Gebet „nonstop“. 2500 Euro kostet die zehnmonatige Ausbildung, die auch die Grundlage ist für die Tätigkeit als Missionar im Gebetshaus. Nach Auskunft von Julia, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung sehen möchte, seien die Missionare beim Verein fest angestellt, bringen jedoch ihren eigenen „Spenderkreis“ mit, der ihr Gehalt zur Verfügung stelle. 

    Das Augsburger Gebetshaus bietet auch einen Beherbergungsbetrieb

    2019 investierte eine Gebetshaus Services GmbH mit Sitz in der Pilsener Straße zudem in einen Beherbergungsbetrieb. Der kubistische Anbau hat 13 Gästezimmer, genannt Prayer Homes, und ein mit dunklem Eichenholz ausgelegtes, würfelförmiges, ganz in Schwarz gehaltenes Oratorium, in dessen Mitte ein großes goldenes Kreuz von der Decke hängt. 

    Auch auf der Weniger-Konferenz, die das Augsburger Gebetszentrum an diesem Wochenende in der Schwabenhalle der Augsburger Messe erstmals seit 2020 wieder abhält, prangt zentral über der Bühne ein gleichschenkliges Kreuz. Statt Stillhalten, Händefalten und gehorsames Nachsprechen liturgischer Texte gibt es hier eine „Lobpreisband“, zu den Hymnen heben die Menschen die Arme, tanzen, manche wälzen sich auf dem Boden, einige brechen zuckend in Tränen aus. Das Durchschnittsalter der etwa 4000 Weniger-Besucherinnen und Besucher liegt zwischen 30 und 40. Sie kommen mit und ohne Kinder, haben Rastalocken oder Tätowierungen. Aus ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien sind sie angereist, wie die Moderatorin und ihr Kollege, beide Missionare des Gebetshauses, per Handyabstimmung eruieren lassen. Auch sie sind um die 30, witzig, gewandt, verheiratet. 

    Johannes Hartl ist Gründer des Gebetshauses Augsburg.
    Johannes Hartl ist Gründer des Gebetshauses Augsburg. Foto: Peter Fastl

    Wie der Veranstalter versteht sich auch das Publikum als Teil der Erneuerungsbewegung, manche sind Protestanten, manche katholisch, die Grenzen sind aufgehoben. „Die Kirchen haben keinen zeitgemäßen Input zu bieten“, sagt Matthias (37). Er beschäftige sich das ganze Jahr über mit den Videos, der Musik und den Texten dieser Szene und freue sich, jetzt live dabei zu sein. Sechs Kinder hat er, seine Frau ist Krankenschwester. 320 Euro haben sie zusammen für ihre Tickets ausgegeben. Essen und Trinken kommt extra. Zu teuer? „Nein, das Programm ist toll, wir nehmen hier ganz viel mit“, sagt die 33-Jährige. Auch Edgar (54), Informatiker aus Köln, ist seit langem Anhänger der Szene. Er schätzt die Happenings als Ergänzung zur herkömmlichen Messe. Er erklärt, an dem Augsburger Zentrum komme man im deutschsprachigen Raum nicht vorbei. Schlüsselfiguren aus ganz Deutschland der charismatischen Bewegung seien inzwischen hier beschäftigt. 

    Gebetshaus-Gründer Hartl gibt allen das Gefühl, persönlich gemeint zu sein

    Auf der Bühne wechseln sich Predigten und Lobpreis ab. Johannes Hartl selbst spricht über die „Reise heimwärts“, über Mose und einen Bären, der seine Identität verlor. Hartl ist quirlig, dabei strukturiert, gibt Zuhörern das Gefühl, persönlich gemeint zu sein. Der „Vortrag“ funktioniert eher wie ein Motivationscoaching mit Lebenshilfen, ein wenig C. G. Jung und Adorno kommt auch vor. Er ermutigt, nicht bequem mit der Mehrheit zu gehen, sondern „das Richtige“ zu tun. „Geh raus in die Wüste, Jesus ist gekommen, um uns heim zu holen. Deine Reise hat ein gutes Ziel.“

    Ein Top-Act am ersten Weniger-Tag ist die „geweihte Jungfrau“ Bernadette Lang aus Österreich. Die 31-Jährige erzählt von ihrem Erweckungserlebnis als Teenager und von ihrer Entscheidung, lebenslang keusch zu leben. Unter gewaltigem Medienrummel hatte der Salzburger Bischof die 31-Jährige vor einem halben Jahr zur „ewigen Jungfrau“ geweiht. Interviews gibt sie keine, auch die Augsburger Allgemeine erhält eine Absage. In Salzburg besitzt sie das „Home“, ein gemeinnütziges Unternehmen, das funktioniert wie das Augsburger Modell: ein Haus in der Innenstadt, mit Gebetsraum, angeschlossener Herberge und einer „Jüngerschaftsakademie“. Ihre Vita vermarktet sie auf ihrer Homepage brautjesu.at. Geweihte Jungfrau ist ein offizieller Status in der katholischen Kirche, auch im Bistum Augsburg leben zur Zeit 26 „Virgines consecratae“. Sie sind zwischen 39 und 89 Jahre alt, wie der Bischöfliche Beauftragte für das Gottgeweihte Leben, Andreas Miesen, auf Anfrage mitteilt.

    Bei der Weniger-Konferenz des Gebetshauses in der Schwabenhalle darf auch getanzt werden.
    Bei der Weniger-Konferenz des Gebetshauses in der Schwabenhalle darf auch getanzt werden. Foto: Peter Fastl

    Die Weniger-Konferenz geht am Wochenende weiter. Sie findet am Samstag, 7. Januar, von 10 Uhr bis 22.30 Uhr und am Sonntag, 8. Januar, von 9 Uhr bis 16 Uhr in der Schwabenhalle, Messezentrum Augsburg, statt. Am Sonntag ab 16 Uhr halten Augsburgs Bischof Bertram Meier und Weihbischof Florian Wörner die Eucharistiefeier ab. Tickets für das zweitägige Event gibt es vor Ort an der Tageskasse für 149 Euro. Infos: www.weniger.gebetshaus.org

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