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Augsburg: Das Ende des Lebens im Hospiz verbringen

Christina W. ist unheilbar an Krebs erkrankt. Seit Anfang Oktober ist sie Gast im St.- Vinzenz-Hospiz in Augsburg.
Augsburg

Das Ende des Lebens im Hospiz verbringen

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    Neun Tage lang hat Christina W. an dem Puzzle gearbeitet. 2000 Teile hat sie zusammengefügt. Jetzt ist das Bild fertig. Es zeigt den Strand von St. Peter Ording. Am Horizont versinkt langsam die Sonne im Meer. Dass das Puzzle, das ihre Tochter ihr gegeben hat, ausgerechnet einen Sonnenuntergang zeigt, ist Zufall. Und doch wirkt das Motiv wie ein Symbol für die Lebensphase, in der sich Christina W. befindet. Seit Anfang Oktober ist sie Gast im St. Vinzenz-Hospiz in Augsburg. Wie lange sie ihrer Krebserkrankung noch Paroli bieten kann, ob sie ihr zweites Enkelkind, das Ende Januar zur Welt kommen wird, noch im Arm halten wird: Die 61-Jährige weiß es nicht. Doch sie kämpft um jeden einzelnen Tag. Und mit ihr kämpfen viele andere Menschen. Pflegepersonal und Hospizbegleiter. Für einen Abschied in Würde, ohne Schmerzen. Umgeben und geborgen von einfühlsamen Begleitern auf diesem, ihrem letzten Weg. 

    Als sogenannte grüne Dame hat sich die zweifache Mutter früher selbst ehrenamtlich im Krankenhaus um die Patienten gekümmert. Christina W. saß bei ihnen am Bett, hatte ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen. Nun selbst auf er anderen Seite zu stehen, das sei ihr anfangs nicht leicht gefallen, sagt sie. "Es war für mich die ersten Tage sehr, sehr schwer zu begreifen, dass ich jetzt loslassen kann, dass sich jetzt andere Menschen um mich kümmern und mir hier geholfen wird." 

    
Markus Entter engagiert sich als ehrenamtlicher Hospizhelfer im St. Vinzenz-Hospiz. Er unterhält sich mit den Gästen, unterstützt die Pflegekräfte oder bringt ein Stück Kuchen mit Sahne. Dort wo er gebraucht wird, packt er mit an.
    Markus Entter engagiert sich als ehrenamtlicher Hospizhelfer im St. Vinzenz-Hospiz. Er unterhält sich mit den Gästen, unterstützt die Pflegekräfte oder bringt ein Stück Kuchen mit Sahne. Dort wo er gebraucht wird, packt er mit an. Foto: Annette Zoepf

    Menschen wie Markus Entter. Seit knapp einem Jahr ist er als ehrenamtlicher Hospizbegleiter im St.-Vinzenz-Hospiz im Einsatz. Als Logistikprojektleiter bei BMW in München ist der 44-jährige Familienvater unter der Woche beruflich stark eingespannt. Trotzdem verbringt er nun zweimal im Monat seinen Samstagnachmittag hier in Oberhausen. "Ich wollte einfach eine Ergänzung zu meiner beruflichen Tätigkeit", erklärt er seine Motivation. In seinem Arbeitsalltag hat Entter auch viel mit Menschen zu tun. Doch die Begegnungen, die er im Hospiz hat, die sind für ihn etwas Besonderes. Hier, sagt der Mann aus Ried im Landkreis Aichach-Friedberg, komme man in Kontakt mit Menschen, die man vielleicht sonst nicht treffen würde. Sie alle bringen unterschiedliche Geschichten und Erfahrungen mit. "Und in den Gesprächen geht es hier sehr schnell in die Tiefe. So, als würde man mit einem guten Freund oder der Familie sprechen." 

    Das Augsburger St. Vinzenz-Hospiz

    Das St. Vinzenz-Hospiz Augsburg ist ein im Registergericht eingetragener und anerkannt gemeinnütziger Verein. Zugleich ist er ein privater kirchlicher Verein diözesanen Rechts. Mit der Unterstützung von rund 100 ehrenamtlichen und etwa 60 hauptberuflichen Mitarbeitern ermöglicht er jährlich vielen Schwerstkranken ein menschenwürdiges Leben und Sterben. Unabhängig von ihrer Nationalität, Herkunft, religiöser oder politischer Anschauung.

    Zu den Angeboten und Leistungen gehören die ambulante Hospizbegleitung und Palliativberatung, das stationäre Hospiz, die Trauerbegleitung sowie die Ausbildung und Begleitung von ehrenamtlichen Hospizbegleitern.

    Das St. Vinzenz-Hospiz verfügte bei der Eröffnung 1997 über sechs Betten, mittlerweile stehen für 16 Gäste barrierefreie Einzelzimmer zur Verfügung. Die Leistungen, Hilfen und Angebote sind grundsätzlich für alle Betroffenen kostenfrei.

    Die Aufnahmekriterien für das stationäre Hospiz sind das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung ohne Aussicht auf Heilung oder langfristiger Besserung, die Information des Patienten über seine Erkrankung und deren Prognose sowie die Tatsache, dass alle ambulanten Versorgungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Im Durchschnitt sind die Gäste 29 Tage im Hospiz.

    Das stationäre Hospiz finanziert sich zu 95 Prozent durch einen Pflegesatz und zu fünf Prozent über Spenden. Um die Kosten für die Hospizdienste und die Trauerbegleitung finanzieren zukönnen, muss der Verein jedes Jahr rund 400.000 Euro an Spenden und Mitgliedsbeiträgen aufbringen.

    Daneben bietet das Hospiz schwerkranken und sterbenden Menschen sowie deren Angehörigen auch eine Begleitung in ihrer häuslichen Umgebung, auf Wunsch auch im Krankenhaus an. Dazu organisiert das Team den Einsatz der ehrenamtlichen Hospizbegleiterinnen und Hospizbegleiter und arbeitet eng mit anderen Diensten, u.a. Palliativstation, Sozialstationen, Ärzten und Seelsorgern zusammen.

    Die Kunst für einen Hospizbegleiter, sagt Markus Entter, sei zu spüren, was der Gast gerade braucht. Manche wollen sich unterhalten, manche lieber schweigen. Andere einfach nur eine Hand, an der sie sich festhalten können. Daneben versuchen er und die anderen Hospizhelfer, die hier im Einsatz sind, den Gästen ihre Wünsche zu erfüllen. Kürzlich wollte jemand vier Kugeln Eis mit Sahne. "Die hat er dann natürlich auch bekommen und komplett aufgegessen." Ist einem Gast nicht nach dem, was zum Abendessen auf den Tisch kommt, dann stellt sich Entter in die Küche und kocht ihm einen Grießbrei, wenn er den lieber möchte. "Dafür bin ich da." Und auch zur Unterstützung der Pflegekräfte. Sind die an einem Tag mal besonders gefordert, halten ihnen die Hospizbegleiter, so gut es geht, den Rücken frei. Räumen die Spülmaschine aus, machen die Wäsche, helfen beim Essenausteilen oder Umlagern. 

    Das Motto des St. Vinzenz Hospiz in Augsburg lautet: "Den Tagen mehr Leben geben"

    Alle zwei Wochen am Samstag im Hospiz mitarbeiten, das sei eine Sache, sagt Markus Entter. Doch die Arbeit der Pflegekräfte, das sei noch einmal etwas ganz anderes. Jeden Tag sind sie mit sterbenden Menschen konfrontiert. Einen Mittelweg zu finden zwischen Sich-Einlassen und ernsthaftem Interesse an den Gästen und der nötigen Distanz auf der anderen Seite – das sei nicht immer leicht. "Deshalb habe ich sehr große Hochachtung vor ihrer Arbeit." Entter selbst hat für seine Arbeit vor allem einen Satz aus der Ausbildung mitgenommen: "Man kann dem Leben nicht mehr Tage geben. Aber den Tagen mehr Leben." 

    So sieht es auch Christina W. Verglichen mit vielen anderen Gästen im Hospiz ist sie noch vergleichsweise mobil. Und so versucht sie jeden Tag, der ihr noch bleibt, auszukosten. Mit ihrer Tochter hat sie schon einen Ausflug in den Zoo gemacht oder war in der Stadt beim Einkaufen. Wenn es ihr Gesundheitszustand erlaubt, nimmt sie auch die Angebote des Teams wahr. Dienstags Musiktherapie, donnerstags Klangschalenmassage. "Und am Montag, Mittwoch und Freitag kommt der Pfarrer. Ich hätte nicht gedacht, dass im Hospiz so viel Leben ist", erzählt sie und lacht. Denn ja, natürlich wird im Hospiz auch gelacht. Das bedeutet nicht, dass Christina W. nicht auch mit ihrem Schicksal hadert. "Natürlich sitze ich hier manchmal im Bett, heule mir die Augen aus dem Kopf und denke mir: verdammt und zugenäht." Trotzdem wolle sie nicht in Selbstmitleid zerfließen. "Ich bin durch mein Hiersein, durch das Team, ruhig geworden, und hab das jetzt auch angenommen", sagt die 61-Jährige und blickt auf das Puzzle vor ihr auf dem Tisch. "Und wenn ich mal sage, mir ist nicht nach Sonnenuntergang, dann ist das eben ein Sonnenaufgang."

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