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Augsburg: Darum streiken Augsburger Bus- und Tramfahrer trotz Corona

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Darum streiken Augsburger Bus- und Tramfahrer trotz Corona

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    Wer am Königsplatz mit der Straßenbahn fahren wollte, musste lange Wartezeiten in Kauf nehmen. In Augsburg wurde im öffentlichen Nahverkehr gestreikt.
    Wer am Königsplatz mit der Straßenbahn fahren wollte, musste lange Wartezeiten in Kauf nehmen. In Augsburg wurde im öffentlichen Nahverkehr gestreikt. Foto: Ulrich Wagner

    Etwas ratlos steht kurz nach 8 Uhr ein etwa siebenjähriger Bub mit seinem Schulranzen ganz allein an der Haltestelle der Tramlinie 1 am Augsburger Königsplatz und wundert sich, warum die Straßenbahn nicht fährt. Eigentlich wollte er schon längst in der Friedrich-Ebert-Schule in Göggingen sein - doch jetzt ist er hier in der Stadt gestrandet. Ein Mitarbeiter der Stadtwerke sieht das Kind und zeigt auf die Anzeigetafel. Erst in einer Stunde geht die nächste Straßenbahn nach Göggingen. Vielleicht will der Bub doch lieber seine Eltern anrufen?

    Die Gewerkschaft Verdi hatte für Dienstag im öffentlichen Nahverkehr in etlichen Regionen zu Warnstreiks aufgerufen. Viele Bus- und Straßenbahnfahrer sowie Werkstattmitarbeiter der Stadtwerke beteiligten sich laut Verdi an dem 24-stündigen Warnstreik. Anlass ist die festgefahrene Situation in der laufenden Tarifrunde der Nahverkehrs-Beschäftigten. Die Gewerkschaft Verdi verhandelt mit den kommunalen Arbeitgebern. Um Druck aufzubauen, wurden die Streiks verschärft.

    Streik in Augsburg: Haltestellendreieck am Königsplatz wirkt wie ausgestorben

    Das Haltestellendreieck am Königsplatz wirkt mitten im Berufsverkehr wie ausgestorben. Wo sich sonst die Fahrgäste drängen, sitzen nur vereinzelt Menschen auf den Bänken und warten. Es scheint kein Muster zu geben, ob und wann eine Straßenbahn oder ein Bus fährt. Am Bahnsteig der Linie 3 ist auf der einen Seite die Bahn im 15-Minuten-Takt angezeigt, gegenüber müssen die Fahrgäste fast 40 Minuten warten.

    Angelina Eisele will in die Fachoberschule - den Streik hatte sie am Vortag zwar mitbekommen, sich aber nicht betroffen gefühlt. "Jetzt warte ich eben 40 Minuten, aber das stört mich nicht wirklich", sagt die Schülerin. Auch Ayaz Drujov bleibt ruhig. "Man kann ja nichts machen", sagt der Berufsschüler, der an diesem Tag ebenfalls unpünktlich in den Unterricht kommen wird.

    Der sonst so belebte Königsplatz wirkte am Tag des ÖPNV-Streiks wie ausgestoben.
    Der sonst so belebte Königsplatz wirkte am Tag des ÖPNV-Streiks wie ausgestoben. Foto: Ulrich Wagner

    Der Großteil der Nahverkehrskunden steigt auf andere Verkehrsmittel, etwa das Fahrrad, um. Wegen des schlechten Wetters dürften viele stehengelassene Fahrgäste aber auch das Auto genommen haben. Der Navi-Hersteller und Verkehrsdaten-Dienstleister Tomtom verzeichnet am Dienstag mittels GPS-Daten seiner Geräte morgens um kurz vor 8 Uhr mehr als 70 Staus mit gut 60 Kilometern Gesamtlänge in Augsburg. Der Höhepunkt ist gegen 8.30 Uhr erreicht, als Autofahrer aufgrund von Stauungen statistisch 77 Prozent mehr Zeit brauchen als bei freier Strecke nachts. Üblich sind um diese Uhrzeit 45 Prozent Verzögerung. Auch im Berufsverkehr ab dem Nachmittag kommt es zu deutlich mehr Staus als vor einer Woche zur selben Zeit. Ein Verkehrschaos bleibt aber aus, zumal die Fahrgastzahlen coronabedingt momentan ohnehin nur bei etwa 60 Prozent der sonstigen Werte liegen.

    Sechs Straßenbahnen sind im Einsatz

    Die Kunden, die trotz Streik da sind, nähmen es überraschend gelassen, sagt Erwin Ludwig von den Stadtwerken, der am Königsplatz gestrandeten Fahrgästen Auskunft gibt. "Die meisten sind durch die Medien gut informiert und haben sich anderweitig nach einer Fahrtmöglichkeit umgetan", glaubt er. Die Fahrgäste, die es trotzdem mit der Straßenbahn versuchen wollten, nähmen die Wartezeit in Kauf. Ein anderer Mitarbeiter erklärt, insgesamt seien sechs Straßenbahnen im Einsatz - diese würden dort eingesetzt, wo es gerade besonders klemmt - beispielsweise morgens im Schülerverkehr. "Aber wenn der Fahrer dann einrücken muss, kann es sein, dass sein Kollege am Streik teilnimmt und die Bahn dann stehen bleibt", beschreibt er das Dilemma.

    Vor dem Busdepot an der Berliner Allee in Augsburg stehen Streikposten.
    Vor dem Busdepot an der Berliner Allee in Augsburg stehen Streikposten. Foto: Fridtjof Atterdal

    Die sechs Fahrer, die nicht streiken und den Verkehr nach Kräften aufrechterhalten, sind den streikenden Kollegen ein Dorn im Auge, wie man Gesprächen im Busdepot an der Berliner Allee entnehmen kann. Dort hat sich ein Teil der Streikenden mit gelben Westen zur Streikwache versammelt. "Die Kollegen haben nichts verstanden", schimpft ein Fahrer über "Streikbrecher" und schüttelt den Kopf. Um bessere Bedingungen herauszuholen, müssten jetzt alle Fahrer zusammenhalten, glaubt er. Beinahe wären es sieben Fahrer gewesen, die den Streik nicht unterstützten - doch einen Kollegen habe man in letzter Minute umstimmen können. "Der war schon rausgefahren und ist wieder umgedreht", wird berichtet.

    Was die Fahrer sagen: Streik für bessere Arbeitsbedingungen

    Fürchten sie nicht den Ärger der Fahrgäste, die wegen Corona ohnehin schon ausbleiben? "Wir streiken für die jungen Kollegen und für bessere Arbeitsbedingungen", sagt Betriebsrat Karl Schneeweis, der selbst 30 Jahre lang Bus gefahren ist. Es gehe nicht in erster Linie um mehr Geld, sondern um eine Arbeitsentlastung. "Der Arbeitsrhythmus, der von uns verlangt wird, ist auf die Dauer nicht durchzuhalten", glaubt der Betriebsrat.

    Durch zu viele Tage Arbeit am Stück und zu wenig Freizeitausgleich würden die Fahrer aufgerieben. Im Fünf-Minuten-Takt würden viele Fahrer tagsüber nichts trinken, weil die kurzen Pausen an den Endhaltestellen nicht einmal für einen Toilettengang reichten, berichtet sein Kollege Reinhold Zuckriegl aus der Leitstelle. "Uns geht es um eine Entlastung der Kollegen", betont er.

    Sein 23-jähriger Kollege André Schnetzer ist bei der Augsburger Verkehrs-Servicegesellschaft (ASG), einer Tochter der Stadtwerke, angestellt und streikt aus Solidarität zu den Kollegen. Auch bei der ASG stünden demnächst Verhandlungen an, berichtet er. "Wir sind immer für die Fahrgäste da, auch während Corona, und haben als Fahrer eine Riesenverantwortung", sagt er. "Es wäre schön, wenn das nicht nur beklatscht, sondern auch finanziell ordentlich honoriert würde", findet der junge Fahrer. Er hofft, dass dann der Beruf auch wieder ein besseres Image bekommt. "Aktuell will doch kein junger Mensch mehr Busfahrer werden", glaubt er.

    Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg sagt, mit den wenigen Straßenbahnen und Bussen, die ausgerückt seien, sei am Dienstag kein Notfahrplan möglich gewesen. Zeitweise waren nur vier Bahnen und ein Bus unterwegs. Einzig die Linien 21 und 24/25 konnten fahrplanmäßig verkehren, weil diese von Subunternehmern bedient werden. Trotzdem habe es keine größeren Probleme gegeben. "In solch besonderen Umständen sind die Augsburger in der Regel sehr verständnisvoll", lobt er die Fahrgäste. Am Donnerstag fahren Busse und Straßenbahnen wieder im üblichen Takt.

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