Sibylle Lang kam aus Wuppertal zum Medizinstudium nach Augsburg. Die 25-Jährige ist jetzt im fünften Semester. In dreieinhalb Jahren will sie eine gut ausgebildete Ärztin sein. Lang ist eine der Studierenden im bayernweit einmaligen Modellstudiengang für Humanmedizin. Aus ihm sollen Ärztinnen und Ärzte einer neuen Generation hervorgehen. Was die Wuppertalerin nicht auf der Rechnung haben konnte, war Corona. Die Pandemie hat für sie und die anderen jungen Pioniere vieles schwieriger gemacht. Nicht nur sie stehen vor ungeahnten Herausforderungen - auch die Organisatoren.
Als der Augsburger Modellstudiengang 2019 startete, war die Nachfrage enorm. Über 8000 Interessenten aus ganz Deutschland bewarben sich auf die ersten 84 Studienplätze. Wie es aktuell aussieht, ist schwer einzuschätzen. Wegen Änderungen im Ablauf des Zulassungsverfahrens gibt es keine vergleichbaren Zahlen mehr. Deutschlandweit seien die Anträge für Medizinstudienplätze zuletzt leicht zurückgegangen, sagt Augsburgs Medizin-Gründungsdekanin Martina Kadmon. "Im Moment geht aber keiner davon aus, dass unser Modellstudiengang an Attraktivität verloren hat." Jedenfalls ist es so, dass die Zahl der Augsburger Medizinstudierenden kontinuierlich wächst. Aktuell sind es über 250. Jedes Jahr kommen mehr hinzu, sodass es im Endausbau 1500 sein werden.
So läuft das Medizin-Modellstudium in Augsburg
Der Aufbau eines neuen Modellstudiengangs ist an sich schon keine einfache Sache. Es gab keine Blaupause aus anderen Universitätsstandorten. Denn in Augsburg werden die üblichen klassischen Medizinfächer aufgebrochen. Grundlagenwissen wird hier vernetzt vermittelt. Studierende kommen schon sehr bald in Kontakt mit Patienten. Sie werden auch sehr früh als Wissenschaftler fit gemacht. So weit der Plan. Doch die Corona-Pandemie hat für Studierende und Organisatoren ungeahnte Probleme gebracht, etwa tiefe Einschnitte in die Präsenzlehre und den weitgehenden Wegfall des Campuslebens.
"Nur unser erster Jahrgang hatte ein normales Semester", erzählen die Studentenvertreterinnen Luise Heinrich und Sibylle Lang. Im zweiten Jahrgang hätten die Studierenden wegen der Kontaktbeschränkungen schon keine Chance mehr gehabt, ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen wirklich kennenzulernen. Mit dem vorübergehenden Rückgang der Infektionszahlen hofften die Medizinstudierenden des dritten Jahrgangs in diesem Winter auf bessere Bedingungen. "Die Gruppe hatte eine super Einführungswoche", erzählen sie. Doch dann kam die vierte Welle der Pandemie.
Corona-Regeln sind gerade im Medizinstudium eine Hürde
"Es war nicht einfach, reiner Online-Unterricht ohne wirklichen Kontakt zu Mitstudierenden hängt einem irgendwann zum Hals heraus", sagt Heinrich. Auch die ständige Anpassung an immer neue Regelungen sei anstrengend. Für Lang kam erschwerend hinzu, dass sie als Pionierin keine älteren Studienkollegen in Augsburg hatte, von denen sie sich Tipps holen konnte - nach dem Motto: Welche Lehrbücher sind besonders gut? Oder worauf muss man bei Prüfungen achten? Alle Beteiligten im Modellstudiengang hätten sich dennoch die größte Mühe gegeben, dass es gut läuft, sagen die beiden.
Auch Dekanin Kadmon bestätigt: "Corona hat eine beachtliche Mehrbelastung gebracht, weil das Studium noch im Aufbau ist." Grundsätzlich gehe es darum, mit oder ohne Pandemie die gleiche Qualität der Ausbildung zu gewährleisten. Sie spricht von einem Balanceakt, um Online-Lehre, die Ausbildung am Krankenbett und alle sonst nötigen Qualifikationen auszutarieren. Für jedes einzelne Unterrichtsformat habe man separate Regelungen erstellen oder nach Alternativen suchen müssen. "Aber auch die angespannte Lage an der Uniklinik macht die Lehre belastend", sagt Kadmon. Die Dozenten, die ja auch Ärzte sind, stehen derzeit extrem unter Druck. Für die wahrscheinlich größte Herausforderung hält sie jedoch das Fehlen des Zwischenmenschlichen, persönliche Kontakte würden von den Studierenden, aber auch von Lehrenden vermisst.
Zahl der Studienabbrecher liegt bei unter fünf Prozent
Dennoch zieht die Dekanin eine positive Bilanz: "Uns zeichnet Flexibilität aus." Trotz der Augsburger Sondersituation laufe es ähnlich wie in anderen deutschen Medizinfakultäten. Das weiß sie als Vizepräsidentin des Medizinischen Fakultätentags und durch den Austausch mit Fachkollegen. Auch bei der Quote der Studienabbrecher im Fach Humanmedizin sei Augsburg im deutschlandweiten Schnitt, der bei unter fünf Prozent liegt. Das ist im Vergleich mit vielen anderen Studienfächern sehr wenig. Kadmon ist deshalb auch zuversichtlich, was kommende Herausforderungen angeht.
Die Augsburger Medizinstudierenden der ersten Generation haben jetzt erfolgreich den ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung - das erste Staatsexamen - absolviert. Auf die feierliche Zeugnisübergabe müssen sie noch warten, weil der geplante Festakt im Dezember wegen Corona verschoben werden musste. Andererseits können sie sich darauf freuen, dass im zweiten Teil ihres Studiums die praktische Ausbildung weiter zunehmen wird - etwa in den Teams auf den Stationen der Uniklinik. Luise Heinrich aus Donauwörth ist nach wie vor sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hat. "Es wäre zwar schöner, wenn alle Läden und Kneipen ganz normal offen wären, aber Augsburg hat für mich als Studienstadt die erste Priorität."