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Augsburg: Corona und die soziale Frage: Warum stockt das Impfen in Brennpunkten?

Gerade in schwierigen Wohnverhältnissen leben Menschen oft eng aufeinander. Doch das dürfte nicht der einzige Grund sein, warum sozial Schwächere stark von Corona getroffen werden.
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Corona und die soziale Frage: Warum stockt das Impfen in Brennpunkten?

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    Gefangen in der Pandemie. Zu sechst leben sie in einer Augsburger Wohnung auf 61 Quadratmetern. Der 19-Jährige mit den Eltern, den Geschwistern, dem Onkel. Sein Vater reinigt Busse. Im Dezember passierte es. Der Vater infizierte sich. Und nach ihm alle. Seine ganze Familie. "Mein Vater kann sich nur in der Arbeit infiziert haben, er ist sonst immer daheim", erzählt der junge Mann, der vor fünf Jahren aus Syrien nach Augsburg gekommen ist und eine Ausbildung zum Mechatroniker macht.

    Der Fall aus Augsburg ist kein Einzelfall. Denn auch in Augsburg kann man beobachten, was sich bundesweit nun als drängendes Problem zeigt: Menschen in beengten Wohnverhältnissen, Menschen mit Jobs, in denen Homeoffice nicht möglich ist, Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, Menschen, die sozial schwächer gestellt sind, Menschen, die wenig Geld haben, sie alle tragen ein höheres Risiko, schwer an Corona zu erkranken. Der Anstieg der Covid-19-Todesfälle fiel in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Das schreibt das Robert Koch-Institut. Und ergänzt: Im Dezember und Januar lag die Covid-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen um rund 50 bis 70 Prozent höher als in Regionen mit geringer sozialer Benachteiligung.

    Ist Corona also auch eine Sache des Geldes? Eine Sache des sozialen Standes? Eine Sache der Bildung? Und wenn das so ist, warum wird es erst jetzt thematisiert? Warum werden erst jetzt Konzepte erarbeitet? Warum wird erst jetzt gesehen, dass gerade auch sozial Schwächere oft stärker zum Impfen motiviert werden müssen? Hätte man das nicht früher erkennen müssen? Und was muss überhaupt geschehen?

    Corona trifft im Lauf der Pandemie die sozial Schwächeren

    Gesehen wurden viele Probleme sicher schon früher. Davon ist Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, überzeugt. Auch wenn ganz zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr tatsächlich zuerst eher die Wohlhabenden, die Skiurlauber etwa, erkrankten. Doch sehr schnell habe sich das Blatt gewendet und es habe sich gezeigt, dass das höchste Risiko sich anzustecken andere tragen, Ärmere eben, Menschen in Jobs, in denen Kontakte unumgänglich sind, Pflegekräfte beispielsweise, Kassiererinnen, Beschäftigte in der Lebensmittelverarbeitung. Getan wurde nach Einschätzung von Bentele viel zu lange viel zu wenig. "Diese Menschen zu schützen ist schwierig, ja, aber es fehlte und fehlt an kreativen Konzepten, an Lösungen – bis heute."

    Selbst die Hausärzte wurden ihrer Ansicht nach viel zu spät beim Impfen eingebunden. Denn auch die digitale Registrierung machte es vielen Menschen extrem schwer, zu einem Impftermin zu kommen. Haben doch gerade Ältere, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Ärmere oft nicht die digitalen Möglichkeiten, es fehlt ihnen an Geräten und Zugängen. "Hier müssen mehr niedrigschwellige und auch aufsuchende Angebote zum Impfen gemacht werden", sagt Bentele.

    "Diese Pandemie muss ein Weckruf für die Politik sein."

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    Dass man sich nicht früher intensiver um Menschen, die eines besonderen Schutzes bedürfen, kümmerte, ist für die VdK-Chefin umso unverständlicher, weil man ja seit Langem weiß, dass gerade Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen generell ein wesentlich höheres Risiko haben, schwer zu erkranken. Das war schon vor Corona so. Für Bentele legt die Pandemie damit all die Probleme schonungslos offen, die schon vor Corona bestanden. Umso dringlicher findet sie es, dass endlich Gesundheitsleistungen für alle gleichberechtigt zugänglich sein müssen, unabhängig vom eigenen Geldbeutel, endlich mehr in Präventions- und Reha-Maßnahmen im Gesundheitsbereich investiert wird, endlich mehr Bildungsgerechtigkeit für Kinder realisiert wird und gerade Kinder endlich eine eigene finanzielle Absicherung, nämlich eine Kindergrundsicherung erhalten, mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen und endlich mehr Verkehrsberuhigung in Ballungszentren gewährleistet wird, weil durch diese Umweltbelastungen gerade die Armen am meisten betroffen seien. Bentele sagt: "Diese Pandemie, die eine so massive soziale Spaltung zeigt, muss doch ein Weckruf für die Politik sein. Es muss endlich gehandelt werden und ändern muss sich viel."

    Verena Bentele ist die Präsidentin des Sozialverbands VdK und mehrfache Paralympics-Siegerin.
    Verena Bentele ist die Präsidentin des Sozialverbands VdK und mehrfache Paralympics-Siegerin. Foto: Thomas Rosenthal, VdK

    Die Politik will etwas tun. Auch in Bayern. Ministerpräsident Markus Söder erklärte in dieser Woche, dass die sozialen Brennpunkte beim Impfen eine Herausforderung seien. Dass nun Pläne erarbeitet würden.

    Haben Menschen mit Migrationshintergrund einen Corona-Nachteil?

    Dass die Staatsregierung nun überlegt, wie sie mit ihrer Impfkampagne diese Menschen besser erreichen könne, sei richtig, findet Bayerns SPD-Landeschef Florian von Brunn. Allerdings wirft auch er der Regierung Söder vor, zu lange gewartet zu haben. "Es wäre wichtig gewesen, früher etwas zu unternehmen. Wir haben jetzt endlich mehr Impfstoff, da können wir es uns schon gar nicht erlauben, dass es so eine soziale Spaltung in der Gesellschaft gibt", sagt von Brunn im Gespräch mit unserer Redaktion. Denn auch der SPD-Politiker betont: "Wir haben tatsächlich ein großes Problem bei Menschen, die sozial benachteiligt sind oder einen Migrationshintergrund haben." Das gelte sowohl bei den Impfungen wie auch bei den Infektionen.

    Und so gut es von Brunn findet, dass die Staatsregierung nun überlegt, wie sie mit ihrer Impfkampagne diese Menschen besser erreichen kann, fest steht für ihn: "Mit einem Aufruf an die Menschen, sich impfen zu lassen, ist es nicht getan. Der Freistaat müsste die Kommunen bei dieser Aufgabe stärker unterstützen, damit es in den betroffenen Stadtvierteln entsprechende Projekte geben kann." Die Infos müssten verständlich, leicht zugänglich und mehrsprachig aufbereitet werden, fordert von Brunn. "Es gibt Menschen, die sicher gerne eine Corona-App hätten, aber kein Geld für ein Smartphone haben. Deswegen muss es verschiedene niederschwellige Informationsangebote geben."

    Rückendeckung erhält von Brunn von den Grünen: Man müsse jetzt dringend eingreifen, sagt Christina Haubrich, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag. Die komplizierte Online-Anmeldung beim bayerischen Impfzentrum über die Software BayIMCO etwa müsse in mehreren Sprachen verfügbar sein – derzeit ist dort die Registrierung nur auf Deutsch möglich. "Wir fordern das schon seit Langem", sagt Haubrich und ergänzt: "Ich kann einfach nicht verstehen, dass da bisher nichts passiert ist. Denn so ein großer Aufwand ist das eigentlich nicht." Ihrer Ansicht nach müsste es jetzt schnell mobile Teams geben, die in die betroffenen Viertel fahren und die Menschen direkt vor Ort impfen. "Vielleicht gleich auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt, wo sie ohnehin einkaufen. Und da muss ein Dolmetscher dabei sein, damit Menschen, die kein oder kaum Deutsch sprechen, überhaupt verstehen, worum es geht und was sie da unterschreiben."

    Christina Haubrich aus Merching ist die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag.
    Christina Haubrich aus Merching ist die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag. Foto: Archiv Christina Haubrich

    Aufklärung über Corona-Impfung soll Verschwörungstheorien entgegenwirken

    Aber auch bei der deutschsprachigen Bevölkerung müsse die Informationskampagne verstärkt werden, fährt Haubrich fort. "Wir brauchen auch hier mobile und niederschwellige Angebote." Es würden oft Verschwörungstheorien über die Impfung kursieren, deswegen "muss man da wirklich mehr aufklären, auch über die sozialen Medien. Denn wir haben jetzt die Chance, mit den Impfungen zu verhindern, dass wir im Herbst in eine vierte Welle gehen."

    Professor Axel Heller ist der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Augsburg.
    Professor Axel Heller ist der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Dass man rasch in sogenannten sozialen Brennpunkten aktiv werden und dort mehr impfen muss, fordern längst auch Ärzte. Auch Professor Axel Heller. Er ist der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Denn von einer Entspannung spüren die Ärzte und Pflegekräfte dort noch nichts – auch wenn die Inzidenzen nun sinken. In den Intensivstationen ist die Lage noch immer ausgesprochen angespannt, sagt Heller. Am Mittwochmorgen sei zunächst kein einziges Covid-Bett mehr auf den Intensivstationen frei gewesen. Durch Verlegungen konnte man zwar die Situation entschärfen, doch müsste aufgrund der Covid-bedingten Kapazitätsengpässe immer wieder abgewogen werden, wie rasch Patienten mit anderen schweren Erkrankungen wie etwa Krebs operiert werden können.

    Die jetzigen Covid-Patienten sind jünger, sagt Heller und liegen länger. Auch bestätigt der Mediziner, was bisher in Augsburg meist hinter vorgehaltener Hand berichtet wird: dass es überproportional viele Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen aus sozial schwächeren Stadtteilen wie Oberhausen und Lechhausen sind, die mit schweren Covid-Verläufen in der Uniklinik behandelt werden. Entsprechende Inzidenzverteilungen zeige auch das Lagemonitoring der Stadt, erklärt Heller, der auch der Ärztliche Leiter für die Krankenhauskoordinierung im Rettungszweckverband ist. Und gerade weil man genau weiß, wo die Hotspots liegen, steht für Heller fest, dass die Priorisierung nun angepasst werden sollte und vor allem Menschen in Stadtteilen geimpft werden müssen, die besonders gefährdet sind. Allein einen Impfbus jeweils vor Ort vorfahren zu lassen, reicht seiner Einschätzung nach allerdings nicht aus. "Wir brauchen vor allem Vermittler, beispielsweise Menschen aus Vereinen, die das Vertrauen der Leute genießen."

    Augsburger Arzt sieht viele Corona-Fälle bei Menschen mit Migrationshintergrund

    Vertrauen gerade bei Menschen mit Migrationshintergrund genießen aber auch die Ärzte, die selbst ausländische Wurzeln haben. Dr. Fajr Bannout zum Beispiel. In seiner hellen, geräumigen Praxis im Augsburger Stadtteil Hochfeld liegen Informationsschreiben über Corona-Impfungen in arabischer Sprache aus. Die Hälfte seiner Patienten sind Araber, sagt der Mediziner, der einen im weißen Kittel und mit Maske empfängt. "Sie kommen aus Syrien, dem Irak und aus Nordafrika." Der 67-Jährige ist selbst gebürtiger Syrer, seit über 40 Jahren lebt er in Deutschland. Dass Menschen mit Migrationshintergrund bei der Bekämpfung der Pandemie nun verstärkt in den Fokus rücken, findet er wichtig. Denn die meisten seiner an Covid-19 erkrankten Patienten seien Ausländer. Als eine der Hauptursachen dafür nennt auch er die beengten Wohnverhältnisse. Hinzu komme, dass die Menschen in größeren Familien lebten als die Deutschen. Außerdem seien die Araber mobiler: "Da wird auch mal zu einer Verlobungsfeier in eine andere Stadt gereist."

    Dr. Fajr Bannout behandelt in seiner Praxis in Augsburg viele Augsburger mit Migrationshintergrund.
    Dr. Fajr Bannout behandelt in seiner Praxis in Augsburg viele Augsburger mit Migrationshintergrund. Foto: Silvio Wyszengrad

    Neulich, erzählt Bannout, habe ihm ein Patient von einer Familienfeier mit 30 Teilnehmern berichtet. Er versuche ja, seine Patienten auf die Gefahren hinzuweisen, betont er. "Aber ich schimpfe nicht mit ihnen, wie ich auch meine Patienten nicht schimpfe, die rauchen oder viel Alkohol trinken." Bei der Impfbereitschaft unter den Arabern mache er allerdings gute Erfahrungen. "Ich habe in meiner Praxis einen richtigen Ansturm."

    "Die Nachfrage nach Impfungen ist enorm."

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    Auch Hausarzt Arif Sezer, der in Augsburg vor allem Patienten mit türkischem Hintergrund behandelt, hat derzeit viel zu tun: "Die Nachfrage nach Impfungen ist enorm", sagt er. Die Angst vor Corona spiele dabei eine Rolle. Für viele aber sei es wichtig, problemlos in die Türkei reisen zu können, um Urlaub zu machen oder Verwandte zu besuchen, berichtet der 61-Jährige. Wie sein Kollege Bannout beobachtet auch Sezer, dass ihr Klientel lieber zum Hausarzt geht, der ihre Muttersprache spricht, als in das Impfzentrum. Die meisten schreckten wegen sprachlicher Probleme und vor dem Ausfüllen von Formularen zurück. Neben seinen Stammpatienten riefen jetzt viele Menschen mit türkischem Hintergrund an, die noch nie zuvor bei ihm waren, und bäten um eine Impfung. "Viele von ihnen haben keinen Hausarzt in Augsburg." Umso wichtiger findet es der Mediziner, dass mobile Impfteams in Augsburger Stadtteile wie etwa Oberhausen ausrücken, in denen viele Migranten leben.

    Dr. Arif Sezer behandelt in Augsburg vor allem Patienten mit türkischem Hintergrund.
    Dr. Arif Sezer behandelt in Augsburg vor allem Patienten mit türkischem Hintergrund. Foto: Stefanie Schoene (Archivbild)

    So in etwa sieht auch der Plan der Stadt aus. Augsburgs Sozialreferent Martin Schenkelberg (CSU) will aber gar nicht so weit gehen und von sozialen Brennpunkten in der Fuggerstadt sprechen. Er sehe jene Viertel eher als "Stadtteile mit besonderen Herausforderungen." Diese liegen für ihn in den Wohnverhältnissen und im Bildungshintergrund der Bewohner – unabhängig ihrer Nationalitäten. Ihm und den Verantwortlichen der Stadt, das wird in Gesprächen immer wieder deutlich, ist es wichtig, dass die Verbreitung von Corona nicht am Faktor Migrationshintergrund festgemacht wird. Es sei ein Problem des sozial schwachen Milieus.

    Martin Schenkelberg, Sozialreferent der Stadt Augsburg, will beim Thema Corona den sozialen Frieden wahren.
    Martin Schenkelberg, Sozialreferent der Stadt Augsburg, will beim Thema Corona den sozialen Frieden wahren. Foto: Silvio Wyszengrad

    Für Schenkelberg hat die Stadt drei Aufgaben, die zum Teil längst erfüllt würden: Die Bewusstseinsbildung der Bürger, dass Corona eine Gefahr darstelle und Regeln weiter eingehalten werden müssen, sowie die Impfaufklärung über mehrsprachige Kanäle und unter Mithilfe von Menschen, die in den Vierteln ein gewisses Ansehen genießen, gute Multiplikatoren sind. Die dritte Aufgabe sind künftig gezielte Impfangebote in Stadtteilen mit engen Wohnverhältnissen und geringem Bildungsstand. "Dort sollen aber alle Menschen zum Impfen eingeladen werden", betont Schenkelberg. Man wolle keine Diskussion, dass sich die Stadt nur an bestimmte Gruppen richte. Man wolle nicht stigmatisieren, sondern müsse gerade bei diesem Thema auf die Wahrung des sozialen Friedens achten.

    Die Impfbereitschaft unter Geflüchteten und Migranten ist niedrig

    Ja, man muss in der Tat vorsichtig sein, hier niemanden zu diskriminieren. Das hebt auch Gudrun Brendel-Fischer hervor. Sie ist die bayerische Integrationsbeauftragte. Doch auch sie bestätigt: Die Impfbereitschaft unter Geflüchteten und Migranten ist tatsächlich niedrig. "Mancherorts im einstelligen Prozentbereich würde ich schätzen." Da es bayernweit aber keine Zahlen darüber gebe, wie viele Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund bereits geimpft seien, müsse sie sich bei ihrer Einschätzung auf Berichte und Erfahrungen von Integrationslotsen, Ehrenamtlichen und Engagierten aus Helferkreisen stützen. Und hier werde ihr rückgespiegelt, "dass sich bislang wenige Flüchtlinge und Menschen mit Migrationsbiografie impfen lassen wollen".

    Ähnliches bestätigt auch Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat – jedoch mit einer Differenzierung: "Unserer Erfahrung nach hängt es sehr davon ab, in welcher Einrichtung die Menschen wohnen", sagt er. In mehreren Ankerzentren beispielsweise sei die Bereitschaft vergleichsweise hoch. Die Menschen seien gerade erst in Deutschland angekommen, seien hoffnungsfroh und würden oft von sich aus nach einer Corona-Impfung fragen. "Anders sieht es jedoch in den Sammelunterkünften aus", so Thal. Viele Menschen dort seien den deutschen Behörden gegenüber skeptisch und ablehnend eingestellt. "Nach einer langen Zeit mit Abschiebe-Bescheiden, Duldungen und Arbeitsverboten haben viele die Erfahrung gemacht, dass alles, was vom Staat kommt, sowieso nur etwas Schlechtes bedeuten kann – auch wenn es sich um einen Aufklärungsflyer über die Corona-Impfung handelt." Dabei hätten viele Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Somalia häufig in ihren Heimatländern positive Erfahrungen mit dem Impfen gemacht, betont Thal. "Beispiel Polio. Da haben sie gesehen, wie erfolgreich Impfungen im Kampf gegen solche Krankheiten sein können." Doch warum lassen sich dann trotzdem so wenige gegen Corona impfen?

    "Es braucht Menschen, die das Vertrauen der Geflüchteten genießen."

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    Ein Grund, da sind sich Brendel-Fischer und Thal einig, ist die Sprachbarriere und der komplizierte Weg, um sich für einen Impftermin anzumelden. Ein anderes Problem sieht Brendel-Fischer in Gerüchten, die innerhalb der verschiedenen Kulturkreise die Runde machen. Da gebe es Gerüchte über Unfruchtbarkeit, Lähmungen oder dass der Staat leichter abschieben könne, sobald jemand geimpft sei. "Doch es ist niemand da, der sowas aufklärt und ihnen klar macht: Die Impfung ist etwas Gutes." Alexander Thal und Gudrun Brendel-Fischer setzen ihre Hoffnungen daher in ehrenamtliche Helfer, die auf diese Personen zugehen, sich Zeit nehmen, um aufzuklären und Ängste zu nehmen. "Es braucht Menschen, die das Vertrauen der Geflüchteten genießen", sagt Thal. "und die mit falschen Gerüchten aufräumen können." Wenn das passiert sei und die ersten Flüchtlinge und Migranten geimpft seien, "dann wird sich das mit Sicherheit rumsprechen, dass die Impfung etwas Gutes ist".

    In dieser Reihenfolge wird in Deutschland gegen Corona geimpft

    Die Reihenfolge der Impfungen ist in einer Verordnung des Gesundheitsministeriums festgelegt.

    Zunächst sollen Menschen an die Reihe kommen, die unter "höchste Priorität" eingestuft sind. Dazu gehören Bürgerinnen und Bürger, die älter als 80 Jahre sind, ...

    ...genauso wie Menschen, die in Pflegeheimen betreut werden oder dort arbeiten.

    Auch Pflegekräfte in ambulanten Diensten und Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen mit erhöhtem Expositionsrisiko gehören dazu. Darunter fallen: Mitarbeiter in Corona-Impfzentren, Notaufnahmen oder Intensivstationen.

    "Höchste Priorität" haben außerdem Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen, die Risikogruppen behandeln. Darunter ist zum Beispiel die Transplantationsmedizin gelistet.

    Als nächstes sollen Menschen geimpft werden, die unter "hohe Priorität" kategorisiert sind. In erster Linie sind das jene, die über 70 Jahre alt sind.

    Auch wer bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen aufweist, fällt in diese Kategorie. Dazu gehören Trisomie 21 und Demenz. Auch wer eine Organtransplantation hatte, wird mit hoher Priorität geimpft.

    Es genügt außerdem, Kontaktperson von Menschen in Risikogruppen zu sein, um mit hoher Priorität geimpft zu werden werden. Dazu gehören enge Kontaktpersonen von Menschen über 80, von Schwangeren oder Bewohnern von Pflegeheimen. Auch Personen, die in Einrichtungen für Senioren oder für Menschen mit geistiger Behinderung leben, sollen mit hoher Priorität geimpft werden. Außerdem fallen Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen mit Behinderung stationär oder ambulant betreuen, in diese Kategorie.

    Auch bestimmte Berufsgruppen sollen schnell an die Reihe kommen. Vor allem solche, die in der Öffentlichkeit aktiv sind und viel Kontakt zu Bürgern haben. Dazu gehören Polizisten und Ordnungskräfte, die auf Demonstrationen unterwegs sind, sowie Mitarbeiter in Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften oder Krankenhäusern.

    Als dritte Kategorie definiert das Gesundheitsministerium Menschen mit "erhöhter Priorität". Dazu gehört die Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren.

    Außerdem sollen dann Menschen geimpft werden, die zwar in medizinischen Berufen arbeiten, aber einem niedrigerem Expositionsrisko ausgesetzt sind. Dazu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Laboren.

    Erhöhte Priorität haben auch Menschen mit folgenden Krankheiten: Adipositas, chronische Nierenerkrankung, chronische Lebererkrankung, Immundefizienz oder HIV-Infektion, Diabetes mellitus, diversen Herzerkrankungen, Schlaganfall, Krebs, COPD oder Asthma, Autoimmunerkrankungen und Rheuma.

    Auch bestimmte Berufsgruppen fallen in diese Kategorie. Darunter Lehrer und Erzieher, Polizisten, Regierungsmitarbeiter, Verwaltungsangestellte, Feuerwehrmänner und -frauen, Katastrophenschutz, THW oder Justiz.

    Erhöhte Priorität haben außerdem Menschen, die in kritischer Infrastruktur arbeiten. Dazu gehören Apotheken und Pharmawirtschaft, öffentliche Versorgung und Entsorgung, Ernährungswirtschaft, Transportwesen, Informationstechnik und Telekommunikation.

    Auch Personen mit prekären Arbeits- oder Lebensbedingungen werden mit erhöhter Priorität geimpft.

    Wer nicht in eine dieser drei Kategorien fällt, wird ohne Priorität geimpft. Also erst dann, wenn Menschen aus diesen Kategorien an der Reihe waren.

    Gudrun Brendel-Fischer macht sich darüber hinaus für eine Reihe politischer Maßnahmen stark. In Absprache mit Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) will sie etwa verstärkt Impfteams einrichten, die zu den Unterkünften und in die Stadtviertel fahren. Überhaupt setzt die Integrationsbeauftragte auf niederschwellige Angebote. "Ich finde Söders Idee von den Impfungen in den Supermärkten zum Beispiel auch gar nicht schlecht", sagt sie. Oder man richte Impfstationen in Suppenküchen oder an den Tafeln ein. "Auch gegen Angebote wie ein warmes Essen, das es zu einer Impfung dazu geben könnte, habe ich nichts einzuwenden." Aber auch die geplanten Freiheiten für Geimpfte und Genesene werden aus ihrer Sicht ein Anreiz für eine Impfung sein.

    Ob man mit Versprechen für mehr Freiheit auch diejenigen erreicht, die oft alles verloren haben? Denn eine Gruppe darf bei den Anstrengungen fürs Impfen nicht vergessen werden: Menschen, die auf der Straße leben. In der Augsburger Einrichtung des Sozialdienstes Katholischer Männer erhalten sie und Menschen, denen das Geld kaum zum Leben reicht, eine kostenlose, warme Mahlzeit. Mit der Impfbereitschaft unter den Besuchern der Wärmestube ist es nicht immer einfach, berichtet Sozialpädagogin Carina Huber. "Viele leiden unter Vorerkrankungen – auch als Folge ihres Alkoholkonsums. Sie haben Angst vor möglichen Nebenwirkungen einer Impfung." Zwar versuche man die Menschen aufzuklären und zu beraten, helfe ihnen auch bei der Online-Registrierung, aber bei manchen seien die Bemühungen einfach aussichtslos.

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