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Augsburg: Corona als Antrieb: Wie "Reichsbürger" Gerichte und Ämter herausfordern

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Corona als Antrieb: Wie "Reichsbürger" Gerichte und Ämter herausfordern

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    Die Szene der Reichsbürger wächst. Auch in Augsburg sind öffentliche Stellen zunehmend mit der Szene konfrontiert.
    Die Szene der Reichsbürger wächst. Auch in Augsburg sind öffentliche Stellen zunehmend mit der Szene konfrontiert. Foto: Christophe Gateau, dpa (Symbolbild)

    An eine Frau kann sich Johanna Mittermair (Name geändert) besonders gut erinnern. Der Vorgang als solcher war gewöhnlich – eine Augsburgerin war aufgefordert worden, Ausweis und Pass zu beantragen, da jeweils ausgelaufen. Die Antwort war es nicht. Mittermair, Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, erhielt ein Schreiben, gerichtet an Eva Weber als "Chefin der Stadt Augsburg GmbH". Der Brief enthielt eine Urkunde, angeblich aus den USA, die bezeugen sollte, dass die Augsburgerin aus der "BRD GmbH" ausgetreten sei und deshalb keinen Ausweis benötige. Signatur: ein Fingerabdruck – und eine Unterschrift in einem Farbton, der Blut ähnelte. "Da denkt man schon: Du meine Güte, was ist denn da los?", sagt Mittermair, als sie sich an den Brief im vergangenen Jahr erinnert. Es ist ein Fall, wie sie sich seit Beginn der Pandemie häufen – und öffentliche Stellen zunehmend herausfordern.

    Die Reichsbürger-Szene gilt als diffus. Kleinster gemeinsamer Nenner ist die Überzeugung, dass der Staat, seine Behörden und Gerichte nicht legitimiert sind. Stattdessen bezeichnen viele Angehörige Deutschland als Firma, als "GmbH". Sie berufen sich dabei häufig auf den angeblichen Fortbestand des Deutschen Reichs und "verschwörungstheoretische Argumentationsmuster", wie es im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt. 2021 rechnete das Landesamt für Verfassungsschutz der Szene in Bayern 4605 Anhänger zu, davon 450 als "harter Kern" – Tendenz steigend. Als einen Grund für den Aufwind sieht Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Corona-Protestszene, deren teilweise Staatsfeindlichkeit ein "idealer Anknüpfungspunkt" für Reichsbürger gewesen sei.

    Reichsbürger veranstalteten Corona-Demos in Augsburg

    Auch in Augsburg wurden vereinzelt Schnittmengen zwischen Reichsbürgern und den sogenannten Corona-Demos sichtbar. Einerseits im Teilnehmerfeld: Insgesamt sehr selten, aber doch immer wieder waren entsprechende Schilder zu sehen, etwa mit der Aufschrift "BRD GmbH". Auch nach Auskunft der Polizei nahmen Angehörige der Szene "in Augsburg vereinzelt an Demonstrationen in Zusammenhang mit Corona teil". Und mehr noch: "In Einzelfällen" seien diese auch als Veranstalter entsprechender Kundgebungen aufgetreten. "Diese Demonstrationen verliefen ohne nennenswerte Vorkommnisse und ohne erkennbare Bezugnahmen zur Reichsbürgerszene", so ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben-Nord, das neben der Stadt auch die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg, Dillingen und Donau-Ries abdeckt. In diesem Bereich wird laut Polizei "eine niedrige dreistellige Anzahl von Personen der Reichsbürgerbewegung zugeordnet". Regionale Schwerpunkte gebe es nicht.

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Nach Polizeiangaben liegt die Zahl der jährlichen Straftaten, die in Augsburg auf Reichsbürger zurückgehen, seit 2017 gleichbleibend im einstelligen Bereich. Hauptdelikte seien Erpressung, Nötigung und Beleidigung. Um mögliche Szene-Angehörige zu identifizieren, geben Behörden bei Verdachtsfällen einen Hinweis an die Polizei. Dort wird überprüft, ob es sich tatsächlich um einen Reichsbürger handelt. Bestätigt sich der Verdacht, geht eine Meldung an die Stadt Augsburg – auch da diese dafür zuständig ist, waffenrechtliche Erlaubnisse auszustellen. Nach Auskunft von Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) hat die Stadt "in den vergangenen fünf Jahren bei sechs Reichsbürgern waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen". Ein weiteres Verfahren laufe aktuell.

    "BRD GmbH" und Co: Stadt und Amtsgericht erreichen Schreiben

    Pintsch spricht von "sehr umfangreichen und tendenziell schikanösen Schreiben", die die Stadt erreichten. Bisweilen handle es sich um eine "Mischung aus verschiedenen Ideologien in Verbindung mit persönlichen Verbalangriffen und Drohungen gegen Amtsträger". Die Schreiben würden "nicht oder sehr knapp auf Sachebene beantwortet". Am häufigsten sind demnach die Bürgerbüros, die Bußgeldstelle und die Stadtkasse der Stadtverwaltung betroffen. Zuletzt habe es wieder vermehrt "Berührungspunkte" im Zusammenhang mit der Vollstreckung von Bußgeldbescheiden wegen "Corona-Verstößen" gegeben.

    Auch am Amtsgericht sind Reichsbürger und deren Gedankengut vor dem Hintergrund der Pandemie präsenter geworden, wie Sprecherin Simone Bader sagt. Eine direkte Zuordnung sei nicht immer einfach: "Oft können wir nicht sagen, ob es sich um "echte" Reichsbürger handelt oder Angehörige der Querdenker-Szene, die sich aus dem Reichsbürger-Repertoire bedienen." Dass das Problem zugenommen habe, sei aber "sehr deutlich spürbar". Als Beispiele nennt Bader "Unterlagenflut", "abstruse Forderungen gegenüber Richtern, zuletzt etwa in Höhe von 18 Millionen Dollar in Gold" oder Versuche, angesetzte Verhandlungen zu verzögern. Zugenommen hat demnach auch die "Malta-Masche". Dabei wird versucht, eine unberechtigte Geldforderung über ein Inkassounternehmen rechtswirksam werden zu lassen – um diese Forderung dann von Gerichtspersonal einzutreiben.

    Körperliche Auseinandersetzungen mit Reichsbürgern sind sehr selten

    Der weit überwiegende Anteil der Auseinandersetzungen findet auf Papier statt. Körperliche Zwischenfälle sind die absolute Ausnahme, Personal im öffentlichen Dienst ist in der Regel auch für den Umgang geschult. Trotzdem, sagt Stadt-Mitarbeiterin Johanna Mittermair, gebe es Momente, in denen sich "ein bissle mulmiges Gefühl" einstelle. Nämlich dann "wenn mal wieder etwas passiert ist", wie 2016, als ein Reichsbürger in Georgensgmünd einen Polizisten tötete. Wenn dann ein Termin mit einem Reichsbürger anstehe, sei das "im Hinterkopf". Die meisten seien aber harmlos. "Wenn man nicht auf ihre abstrusen Gedankenspiele eingeht, merken die schnell: Hier komme ich nicht weiter."

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