Viele Frauen kennen die Situation: Man pfeift ihnen auf offener Straße hinterher, Männer in vorbeifahrenden Autos hupen sie an, sie werden im Vorbeigehen unsittlich berührt oder mit zweideutigen Sprüchen bedacht. Im Englischen gibt es einen Ausdruck für diese Form der sexuellen Belästigung: Catcalling. Immer mehr Frauen gehen durch ungewöhnliche Aktionen dagegen vor. Auch Aylin, 19, und Theresa, 17, aus Augsburg.
Als Aylin in den sozialen Medien von Aktivistin Sophie Sandberg las, hatte sie ein Vorbild gefunden. Sandberg lebt in New York und macht dort sexuelle Belästigung sichtbar, indem sie die Stellen in der Stadt markiert, an denen Frauen herabgewürdigt wurden. Auf ihrer Instagram-Seite "catcallsofny" finden sich zahlreiche Fotos von öffentlichen Plätzen in New York, auf denen Sandberg mit Kreide die Sprüche aufgeschrieben hat, die Frauen dort hinterhergerufen wurden.
Catcalling ist auch in Augsburg ein Thema
Auch Aylin und Theresa haben nun eine solche Seite ins Leben gerufen, "catcallsofaugsburg", bislang haben sie gut 1000 Follower. Mit dieser Seite wollen die beiden jungen Frauen auch hier auf ein alltägliches Problem aufmerksam machen. Mehrmals pro Woche bekommen die Aktivistinnen Nachrichten von Frauen zwischen zwölf und 34 Jahren, die ihnen erzählen, wo sie wie verbal sexuell belästigt wurden. Aylin und Theresa gehen dann an den „Tatort“ und schreiben mit Kreide eine kurze Passage der Erzählung auf den Boden. Sie nennen das „Ankreiden“.
Oft werden sie beim Aufschreiben von Passanten angesprochen - und das selten positiv. "Vor allem Männer verstehen oft nicht, weshalb Frauen manche Aussprüche nicht als Kompliment, sondern als Beleidigung oder gar sexuelle Belästigung wahrnehmen", erzählt Theresa, die schon oft mit diesen Männern darüber diskutiert hat. Ab wann ein Ausspruch kein Kompliment mehr ist, sondern eine verbale sexuelle Belästigung, hänge von der Wahrnehmung der Frauen ab. „Wenn aber jemand einer Frau hinterherruft: Oida! Knackarsch!, dann ist das definitiv kein Kompliment“, sagt Aylin. "Es ist Respektlosigkeit."
Nicht nur der Rathausplatz ist ein Tatort von Catcalling
Viele Frauen, die von Männern derart belästigt werden, fühlen sich schlecht oder gar schuldig. Auch Aylin und Theresa fragten sich oft, was sie falsch gemacht hatten, sie fühlten sich entmachtet. Bis sie von Catcalling erfuhren. Mit dem Ankreiden möchten sie den Opfern eine Stimme geben und ihnen damit die Macht über den "Tatort" zurückgeben.
Hören Sie sich dazu auch unsere Podcast-Folge mit Aylin an:
Solche Orte sind unter anderem die Wertachbrücke, der Königsplatz oder der Rathausplatz. Dort haben die Aktivistinnen bereits den Frauen, die verbal sexuell belästigt wurden, eine Stimme gegeben. "Wir wollen uns wehren und nicht mehr leise sein", sagen Aylin und Theresa. "Wir wollen auch deutlich machen, dass es immer noch keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt und dass etwas wie Catcalling für viele Frauen Alltag ist, aber nicht sein soll."
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