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Augsburg: Augsburgs Kliniken streiten um die Behandlung von 1250 kranken Kindern

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Augsburgs Kliniken streiten um die Behandlung von 1250 kranken Kindern

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    Das Josefinum in Oberhausen ist ein markanter Baukörper im Stadtteil.
    Das Josefinum in Oberhausen ist ein markanter Baukörper im Stadtteil. Foto: Ulrich Wagner (Archivfoto)

    Für Eltern von Kindern, die motorische, sprachliche und geistige Entwicklungsstörungen haben, war es über acht Jahre hinweg eine wichtige Anlaufstation: das sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) der Hessing-Stiftung. In Göggingen wurden Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten, Aufmerksamkeitsstörungen oder Behinderungen betreut. 15 Mitarbeiter, darunter Kinder- und Jugendärzte sowie Psychologen, Therapeuten und Sozialpädagogen, kümmerten sich um die jungen Patienten, die dort stunden- oder tageweise in Therapie sind. Zum Jahresende kommt für die Einrichtung in Göggingen nun überraschend das Aus. Die Patienten werden künftig im Josefinum in Oberhausen betreut, der Übergang soll nahtlos zum 2. Januar erfolgen. Doch hinter den Kulissen gibt es Ärger.

    "Die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde, hat mich mehr als enttäuscht", sagte Roland Kottke, Direktor der Hessing-Stiftung, am Mittwoch. Das Hessing-Förderzentrum habe im April einen Neuantrag gestellt, das sozialpädiatrische Zentrum weiter betreiben zu dürfen, und dazu ein 40-seitiges Konzept eingereicht. Die Kassenärztliche Vereinigung habe laut Kottke dafür gestimmt, die Hessing-Stiftung erneut mit dieser Aufgabe zu betrauen. Doch dann kam es anders: Der Zulassungsausschuss Ärzte Schwaben, dem Mediziner und Vertreter der Krankenkassen angehören, übergab den Betrieb in seiner Sitzung am 16. Dezember der Klinik Josefinum, die das Zentrum nun ab 1. Januar betreiben wird. Warum die Hessing-Stiftung nicht mehr zum Zug kam und weshalb die Entscheidung so kurzfristig fiel, dafür gibt es laut Kottke bislang keine Begründung.

    Ärger in der Hessing-Stiftung: 15 Mitarbeiter vor ungewisser Zukunft

    Entsprechend verärgert ist der Direktor der Hessing-Stiftung: „Ohne jede Vorwarnung wurde uns quasi von heute auf morgen die Grundlage für die Behandlung von 1250 Kindern und Jugendlichen entzogen." 15 Mitarbeiter stünden vor einer ungewissen Zukunft, denn ab 1. Januar könnten nicht mehr alle Leistungen des Hessing-Förderzentrums mit den Krankenkassen abgerechnet werden. Mindestens so bedrückend, so Kottke, sei der Umgang mit den Kindern, Jugendlichen und deren Familien. „Den Draht zu extrem wichtigen Bezugspersonen quasi von jetzt auf gleich zu kappen, ist schlicht unverantwortlich.“

    Die Ermächtigung zum Betrieb des sozialpädiatrischen Zentrums wird alle fünf Jahre neu vergeben, zweimal bekamen die Hessing-Kliniken den Zuschlag. Diesmal hatten sich neben Hessing und dem Josefinum auch die Uniklinik beworben. Der Wechsel von Hessing zum Josefinum wird auch in der Augsburger Kommunalpolitik mit Unverständnis aufgenommen. „Ich weiß, dass die Hessing-Stiftung gerade auf diesem Feld seit Jahren hervorragende Arbeit leistet. Ich bin mit Blick auf die Situation der betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in großer Sorge. Ohne einen vernünftigen Übergang kann eine solch einschneidende Maßnahme nicht umgesetzt werden", sagte am Mittwoch Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU), Verwaltungsratsvorsitzende der Hessing-Stiftung.

    Die Hessing-Stiftung hat ihren Sitz in Göggingen.
    Die Hessing-Stiftung hat ihren Sitz in Göggingen.

    Auch viele Augsburger Stadträte beschäftigt das Thema. "Mich hat eine Mitarbeiterin über die Sorgen der Belegschaft informiert", sagte Peter Grab (WSA) am Mittwoch. Für ihn sei es schwer nachvollziehbar, warum jetzt alles so schnell gehen müsse: "Das könnte auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden." Andere Stadträte äußern sich in einer überparteilichen Erklärung. „Die kurzfristige und für uns alle überraschende Entscheidung ist falsch“, so der Gögginger CSU-Chef Matthias Fink, „wir haben hier über Jahre eingespielte Strukturen, von denen Kinder und Eltern profitieren.“ „Wie sollen Eltern, Kinder und Therapeuten darauf reagieren?“, fragt die stellvertretende Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Jutta Fiener. Aus Sicht der Kommunalpolitiker ist es nötig, die Entscheidung in einem etwaigen Einspruchsverfahren zu revidieren. „Das Mindeste wäre, dass die Kinder, Eltern und Therapeuten eine angemessene Übergangsfrist erhalten“, so Beate Schabert-Zeidler (Pro Augsburg). Regina Stuber-Schneider (Freie Wähler) sagt: „Wir halten die Entscheidung für falsch, aber durch geeignete Übergangszeiträume könnte wenigstens ein nahtloser Übergang erreicht und eine abrupte Therapie-Unterbrechung verhindert werden.“

    Zwischen Hessing-Stiftung und Josefinum gibt es schon länger einen Konflikt

    Der Konflikt zwischen Hessing-Stiftung und Josefinum ist nicht neu. Die Katholische Jugendfürsorge (KJF) der Diözese Augsburg wollte bereits vor Jahren ein eigenes SPZ in der Region errichten, die Zulassungsgremien hatten dies verweigert. Dagegen klagte die Katholische Jugendfürsorge mit dem Hinweis, das bestehende SPZ der Hessing-Stiftung sei "nachweislich überlastet", weil es nicht nur die Stadt, sondern auch das Umland versorge. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in München wies die Klage des Josefinums ab, auch die Revision hatte keinen Erfolg. Eine erste Klage gab es bereits vor 15 Jahren. Es ging damals um die Frage, ob es in Augsburg überhaupt ein SPZ geben darf. Diese Klage der KJF war erfolgreich, den Zuschlag erhielt dann aber Hessing.

    Dr Johannes Stoffels, Oberarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche der KJF Klinik Josefinum, übernimmt die Leitung des SPZ.
    Dr Johannes Stoffels, Oberarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche der KJF Klinik Josefinum, übernimmt die Leitung des SPZ. Foto: Kjf Augsburg, Carolin Jacklin

    Ab 2021 kommt nun das Josefinum zum Zug, das am Mittwoch im Rahmen einer Video-Pressekonferenz informierte. Das Zentrum wird unter Leitung von Dr. Johannes Stoffels, Oberarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche, stehen. „Wir freuen uns sehr, dass der Zulassungsausschuss mit dieser Entscheidung die umfassende Expertise der Klinik anerkennt“, sagt Direktor Markus Mayer. Er ist Vorstandsvorsitzender der Katholischen Jugendfürsorge Augsburg, einem der größten Anbieter für Gesundheits-, Sozial- und Bildungsdienstleistungen in Bayern.

    Im SPZ im Josefinum werden Kinder und Jugendliche vom Babyalter bis zu 18 Jahren mit chronischen oder komplexen Erkrankungen individuell und mit ihren Familien betreut, insbesondere, wenn Störungen der Entwicklung drohen. „Es ist uns ein wesentliches Anliegen, dass alle Patienten des bisherigen Hessing-Zentrums weiterbetreut werden“, sagt Privat-Dozent Dr. Thomas Völkl, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche der Klinik Josefinum.

    So will das Josefinum jetzt mit der Behandlung der Kinder starten

    Geschaffen werden nach seinen Worten 15 Vollzeitstellen, die sich auf drei Teams mit jeweils fünf Spezialisten verteilen. Man gehe derzeit davon aus, dass pro Jahr rund 2000 Kinder und Jugendliche betreut werden. Völkl sagt: "Wir starten jetzt mit einem Personalkonzept, bei dem drei Teams aufgebaut werden und somit ab 4. Januar." Diese Teams würden in den nächsten Wochen nach Bedarf durch Neueinstellungen ergänzt. Denkbar sei, dass Mitarbeiter aus dem jetzigen SPZ Hessing eingestellt werden. Völkl betont: "Natürlich sind die Arbeitsinhalte und organisatorischen Anforderungen zum Teil abweichend und umfassender zum Profil des SPZ Hessing, da das neue SPZ am Josefinum in eine Kinderklinik eingegliedert ist."

    Die räumlichen Voraussetzungen in Oberhausen sind gegeben. Bereits jetzt gibt es eine Anlaufstelle mit Erfahrung in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen. Im Jahr 2014 wurde das Gebäude bezogen. Sieben Millionen Euro hatte der Träger, die Katholische Jugendfürsorge, in den modernen Bau in unmittelbarer Nähe zur Klinik investiert. Alle Bereiche der Frühförderung befinden sich hier unter einem Dach - auch die Praxen der Ärzte, die für Diagnose und die Verordnung der Behandlungen zuständig sind. Es handelt sich dabei bislang allerdings um eine ambulante Versorgung. Dazu gehören die 24-Stunden-Notfallaufnahme, sogenannte Spezialsprechstunden und eine Frühförderstelle. Jetzt, da das Josefinum zum SPZ aufgewertet wird, können weitere Räume im Gebäude genutzt werden. Auf die vorhandenen Strukturen werde jetzt aufgebaut, heißt es. Eine Terminvereinbarung ist ab sofort telefonisch unter 0821/2412-444 und per E-Mail unter: spz@josefinum.de möglich.

    Hessing-Klinik befürchtet plötzlichen Abbruch von Heilbehandlungen

    Bei Hessing in Göggingen sorgen sich die Mitarbeiter derweil um das Wohl ihrer Patienten. „Mit der Entscheidung kommt es zu einem plötzlichen Abbruch vieler Heilbehandlungen. Schon unter normalen Umständen besteht bei einem solch jähen Therapieende eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten“, sagt die Leiterin des Förderzentrums, Gudrun Keller-Buchheit. Sie befürchtet auch Folgen im Diagnostikbereich: „Unsere Wartezeit für Diagnostiktermine beträgt zur Zeit etwa sechs Monate, was den hohen Bedarf widerspiegelt. Also warten einige Familien schon seit einem halben Jahr auf Untersuchungstermine, die nun alle abgesagt werden müssen.“

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Der Klinik-Streit wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen

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