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Augsburg: Klimacamper im Interview: "Meistens gehe ich unglücklich schlafen"

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Klimacamper im Interview: "Meistens gehe ich unglücklich schlafen"

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    Janika Pondorf und Ingo Blechschmidt vom Augsburger Klimacamp.
    Janika Pondorf und Ingo Blechschmidt vom Augsburger Klimacamp. Foto: Silvio Wyszengrad

    Altersunterschiede sind egal, wenn man die Welt retten will. So ein Ziel vereint. Die 17-jährige Schülerin Janika Pondorf und der 32 Jahre alte Mathematikdozent Ingo Blechschmidt engagieren sich leidenschaftlich für mehr Klimagerechtigkeit. Beide haben das Augsburger Klimacamp mitgegründet, deren Aktivistinnen und Aktivisten teilweise immer wieder Grenzen überschreiten. Scharfen Gegenwind aus Politik und Gesellschaft sind die beiden inzwischen gewöhnt, auch Zustimmung. Wer sind die jungen Menschen, die scheinbar unbeeindruckt von allen Widerständen ihren Kampf gegen die Klimakatastrophe weiterführen?

    Bei Ingo Blechschmidt reicht ein Blick in seine Kindheit, um seine Naturverbundenheit zu verstehen. Seine Eltern, der Vater Geografieprofessor, die Mutter Geografin, Lektorin und Journalistin, haben ihn dabei geprägt. "Sie unternahmen mit uns Kindern viele Ausflüge in die Berge. Die Ferien verbrachten wir beim Campen", erzählt der Mann mit der Brille, der gerne mal seine bunte Krawatte mit den Klimastreifen trägt.

    Augsburger Klimacamp-Aktivist Ingo Blechschmidt und seine Klimakrawatte

    "Die Krawatte zeigt für jedes Jahr seit 1870 einen Streifen. Je kälter, desto blauer, je heißer, desto röter. Ich trage also oft eine wichtige Klimastatistik direkt am Körper", erklärt er. Seine Liebe zum Bergsteigen hat Blechschmidt wohl von seiner Mutter. 50 sogenannte 4000er-Berge habe sie erklommen. "Das ist sehr außergewöhnlich", findet er. Vor rund 20 Jahren gründete seine Mutter den Verein Mountain Wilderness zum Erhalt der Berge. Stolz schwingt in seiner Stimme mit, wenn er über seine Familie spricht.

    Ingo Blechschmidt trägt bisweilen seine Klimakrawatte.
    Ingo Blechschmidt trägt bisweilen seine Klimakrawatte. Foto: Michael Hochgemuth

    Der Unterstellung, Klimacamper seien Nichtstuer und hätten nichts "Gscheits" gelernt, kontert Blechschmidt mit Verweis auf seinen Beruf. Der 32-Jährige ist Doktor der Mathematik, lehrt an der Universität Augsburg und an der Uni im italienischen Padua. Eigentlich steckt er mitten in seiner Habilitation - wäre da nicht das Klimacamp, das so viel Zeit kostet. Auch für Janika Pondorf ist es eine Herausforderung, Schulalltag und Klimacamp unter einen Hut zu bringen.

    Bei der 17-Jährigen begann alles mit dem Fleischverzicht. Seit der Grundschule ist sie Vegetarierin. "Aus ethischen Gründen", wie die Schülerin des Holbein-Gymnasiums, die Brille trägt und ihr Haare mit einem Tuch zusammenhält, erklärt. Ihren Aktivismus habe sie nicht von ihren Eltern. "Ein gutes Stück kam von mir selbst - und durch das Internet." Im Netz geriet sie in eine entsprechende Bubble, zu Deutsch "Blase". Das heißt heutzutage so, wenn man sich überwiegend im Kreis Gleichgesinnter bewegt. "Mein Einstieg waren Nachhaltigkeitstipps für den Alltag im Internet", sagt sie und fügt hinzu: "Wobei ich vielen Sachen heute kritisch gegenüberstehe."

    Klimacamperin Janika Pondorf: "Bis dahin immer das brave Mädchen"

    Müllsparende Alternativen etwa. Viele seien teuer. Längst nicht jeder könne es sich leisten, zum Beispiel in einem Unverpacktladen einzukaufen, sagt Janika Pondorf. Die tatsächliche Klimakatastrophe, da sind sich sie und Ingo Blechschmidt einig, werde nicht von einzelnen Menschen ausgelöst, sondern von Konzernen. "Für mich geht es darum, dass Politik Anreize schafft und großen Konzernen ihre Grenze aufzeigt", sagt die 17-Jährige mit Nachdruck. So selbstbewusst, wie die Gymnasiastin wirkt, war sie vor über zwei Jahren noch nicht, als alles anfing - mit Greta Thunberg und der Bewegung Fridays for Future (FFF).

    Als FFF über die sozialen Netzwerke viral ging, sei es für sie eine große Überwindung gewesen, Schule zu schwänzen und das erste Mal an einer Demonstration in Augsburg teilzunehmen. "Ich war bis dahin immer das brave Mädchen. Schon als kleines Kind wollte ich es allen recht machen. Ich hatte immer Angst vor Fehlern." Pondorf überwand ihre Zweifel, demonstrierte im Alter von 14 Jahren mit, begegnete bei FFF Menschen, die ähnlich dachten wie sie. Bis dahin hätte sie lediglich gewusst, dass die Menschen "an Plastik ersticken". "Aber wie drastisch die Klimakrise tatsächlich ist, wurde mir erst bei der ersten Demo bewusst, als ich den Leuten zuhörte."

    Klimaaktivistin Janika Pondorf, als sie noch 14 Jahre alt war.
    Klimaaktivistin Janika Pondorf, als sie noch 14 Jahre alt war. Foto: Elena Winterhalter

    Pondorf, die mal Politikerin werden will, sagt, sie habe sich mit ihrem Engagement verändert, sei daran gewachsen. Heute mache es ihr nichts aus, vor einer Menschenmenge zu reden, oder vor dem Augsburger Stadtrat. Das stellt auch Ingo Blechschmidt für sich fest. Sie alle hätten in den letzten Jahren viel gelernt, sagt er, von dem Akt der Anmeldung einer Demo, über den Umgang mit Behörden, Pressemitteilungen, Diskussionen und Interviews, Konfrontationen mit der Polizei. "Wir waren das erste Klimacamp in Deutschland und leisteten für andere Unterstützungsarbeit." Dass die Aktivisten mit ihren Anliegen nicht gehört würden, treibt sie weiter an.

    "Ich bin promovierter Wissenschaftler, ich mache nichts leichtfertig"

    Auf die Frage, ob er befürchte, in eine extreme Ecke zu gleiten, entgegnet Blechschmidt, das eigentliche Radikale sei das Versagen der Politik. "Ich wünschte, ich könnte damit aufhören", sagt Blechschmidt. "Ich mache nichts leichtfertig. Ich bin promovierter Wissenschaftler, ich kenne die Fakten und überprüfe die Statistiken selber." Aber angesichts des zunehmenden Klimawandels mit seinen Katastrophen fühle er sich der jüngeren Generation gegenüber verpflichtet, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen. Die Politik jedenfalls mache es seiner Meinung nach nicht. Der 32-Jährige sagt das mit einem Brustton der Überzeugung.

    "Wenn wir in 30 Jahren Hungersnöte, Dürren, Wassernot und Kriege haben, dann wird es meinen Job als Mathematiker auch nicht mehr geben", glaubt er. Katastrophen wie in Ahrweiler zeigten, dass man auch in Deutschland von den Folgen nicht mehr verschont bleibe. Ingo Blechschmidt und Janika Pondorf, das wird im Gespräch immer wieder deutlich, sorgen sich schlichtweg um die Zukunft.

    "Meistens gehe ich unglücklich schlafen", gibt Blechschmidt zu. Er sagt, er würde viel lieber an der Uni Mathematik unterrichten, sich auf die jährlichen Mathecamps mit Jugendlichen an der Uni konzentrieren, seine Professur vorantreiben. Oder wenn er mal wieder auf eine Mathematik-Konferenz irgendwo in Europa eingeladen ist und mit dem Zug dort hinreist, einfach ein paar Tage dranhängen, dort wandern gehen und auf Berggipfeln übernachten. Dort könne er immer gut über mathematische Zusammenhänge nachdenken. "Denn eigentlich ist die Mathematik das, wofür ich brenne." Aber man lasse ihnen ja keine andere Wahl.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast "Augsburg, meine Stadt" mit Janika Pondorf an:

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