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Augsburg: Augsburger Jugendgangs: Warum die Polizei mehrere Gruppen im Blick hat

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Augsburger Jugendgangs: Warum die Polizei mehrere Gruppen im Blick hat

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    Graffiti an einer Wand am Drei-Auen-Platz in Oberhausen: Es ist einer der Orte, den die Polizei als Treffpunkt von Jugendgruppen genauer im Blick hat. Vor allem Drogenhandel sei hier ein Thema, heißt es.
    Graffiti an einer Wand am Drei-Auen-Platz in Oberhausen: Es ist einer der Orte, den die Polizei als Treffpunkt von Jugendgruppen genauer im Blick hat. Vor allem Drogenhandel sei hier ein Thema, heißt es. Foto: Silvio Wyszengrad

    Keiner will das Wort sagen. Bei der Polizei spricht man lieber von "Jugendgruppierungen", um das Problem nicht noch größer zu machen, als es ist. Auch Sozialarbeiter vermeiden das Wort, es erinnere zu sehr an Spielfilme aus den USA. Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) hat es nach der Krawallnacht in der Innenstadt aber getan. Sie sprach von Gangs, die sich dort mit der Polizei angelegt hätten. Unabhängig davon, wie man es nennen mag: Die Polizei bestätigt, dass sie in Augsburg mehrere Jugendgruppierungen im Blick hat, die auch durch Kriminalität auffallen. Es geht vor allem um Drogenhandel, teils auch in größerem Stil.

    Mehr als 100 Jugendliche, die solchen Gruppen angehören, haben die Beamten derzeit im Blick. Es ist ein Problem, dass es schon vor Corona gab. Bereits nach dem tödlichen Schlag vom Königsplatz hatte die Polizei angekündigt, die Gruppen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und es bleibt die Frage: Wie soll man mit diesen Jugendlichen umgehen?

    Polizeikontrolle nach einer Messerattacke im Reesepark Ende Februar.
    Polizeikontrolle nach einer Messerattacke im Reesepark Ende Februar.

    Dass sich bei einem kleinen Teil der Augsburger Jugend etwas zusammenbraut, zeichnet sich seit einigen Jahren ab. Immer wieder rückten bestimmte Treffpunkte in den Blick, an denen es Ärger gab - unter anderem, weil sich Anwohner über Lärm und Schmutz beschwerten. Etwa im Umfeld der City-Galerie, am Drei-Auen-Platz in Oberhausen oder auch im Reese- und Sheridanpark. Doch im Hintergrund ist da noch mehr. Es gibt Rivalitäten zwischen einzelnen "Gangs", zuletzt wurde ein Streit im Reesepark mit einem Messer ausgetragen. Ein 21-Jähriger soll dort Ende Februar drei Jugendliche verletzt haben, er sitzt in Untersuchungshaft. Und ein Problem ist offenbar der Drogenhandel. Es gebe in den Jugendgruppen Dealer, die mit dem Verkauf von

    54er, 65er: Die Jugendgruppierungen benennen sich nach dem Stadtteil

    Es sei zunächst immer die Suche nach einer Gruppe, mit der man sich identifizieren könne, erklärt der erfahrene Pädagoge Erwin Schletterer. Schletterer leitet den Verein Brücke, der sich mit Projekten um straffällige Jugendliche kümmert. Seit gut 30 Jahren kennt er die Szene in Augsburg. Die Jugendlichen definierten sich über die Zugehörigkeit zu ihrem Stadtteil, sagt er. Die letzten beiden Ziffern der Postleitzahl sind das Erkennungszeichen. Die "54er" kommen aus Oberhausen, die 65 steht für Lechhausen. In den Vierteln sieht man die Zahlen oft auch als Graffiti. Das sei ein neueres Phänomen, sagt Schletterer.

    Früher habe man sich eher an der Herkunft orientiert. Da gab es dann etwa Konflikte zwischen türkischstämmingen und russlanddeutschen Jugendlichen. Schletterer warnt davor, die Jugendlichen zu kriminalisieren. Längst nicht jeder Jugendliche, der sich zum Beispiel zu den "54ern" zähle, begehe auch Straftaten. Aber auch er bestätigt: Es gibt eine kleinere Zahl von Jugendlichen, die für Polizei, aber auch für die Sozialarbeiter nicht mehr zu erreichen sei. Jugendliche, die keinen Anlass dafür sehen, sich ihr Geld anders zu verdienen als mit Drogenhandel. Für diese Jugendlichen müsse man sich etwas überlegen.

    Bei der Polizei will man vor allem verhindern, dass Mitläufer in den Gruppen den Rädelsführern nacheifern und selbst ins kriminelle Milieu abrutschen. Man nehme diese Mehrfachtäter deshalb genau in den Blick, sagt Monika Krawehl. Die Gruppen fänden sich, weil die Jugendlichen ihre Freizeit miteinander verbringen wollten - so, wie es andere im Fußballverein tun. Die Zugehörigkeit könne auch wechseln. Anders als echte "Gangs", etwa Rockergruppen, hätten sie keine klare Struktur. Auch früher habe es schon Gruppen gegeben, die sich treffen, um Spaß zu haben - und dabei auch Drogen zu nehmen. Neu sei aber, dass es auch darum gehe, mit Drogenhandel Geld zu verdienen. Eine "mittlere einstellige Zahl" an Gruppierungen, die als problematisch eingestuft werden, ist aktuell polizeibekannt. Teils gehören ihnen nur zehn bis 15 Jugendlichen an, teils auch 30 oder 40.

    Auch bei der Kö-Tat in Augsburg ging es im Hintergrund um das Thema "Gangs"

    Nach Informationen unserer Redaktion sollen auch einige der Jugendlichen, die beim tödlichen Schlag gegen Roland S., 49, im Dezember 2019 am Königsplatz anwesend waren, einer solchen Jugendgruppierung angehört haben. Darunter auch Halid S., 17, der wegen des Schlags zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist. In diesem Fall ging es um die 54er-Gruppierung aus Oberhausen. Bereits damals lagen der Polizei Hinweise vor, dass zumindest einzelne "54er" in Drogengeschäfte verwickelt sind, auch Erpressungen und Bedrohungen waren bekannt. Als ein Treffpunkt gilt der Drei-Auen-Platz in Oberhausen. Die Polizei ist bei vielen Jugendlichen dort das Feindbild Nummer eins. Beamte berichteten voriges Jahr schon, dass sie dort attackiert und beleidigt wurden - und dass es fast unmöglich sei, noch normal mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Die Jugendlichen umgekehrt sagen, sie würden von der Polizei schikaniert.

    Dass die Fronten zwischen manchen Jugendlichen und der Polizei verhärtet sind, beobachtet auch Erwin Schletterer vom Verein Brücke. Das sei während Corona nicht besser geworden. Die Jugendlichen berichteten davon, dass sie häufig kontrolliert worden seien. Normales, jugendtypisches Verhalten, das Treffen mit Freunden etwa, war über Monate verboten. Auch den Einsatz in der Krawallnacht hätten manche, mit denen er gesprochen hat, als zu hart empfunden. Schletterer plant, bei der Arbeit mit den Jugendlichen künftig häufiger Gesprächsrunden mit Polizisten einzubauen. "Diese Gespräche können viel positives bewirken", ist er überzeugt.

    Die Augsburger Polizei versucht, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen

    Auch die Polizei selbst versucht, Schlagstock und Pfefferspray nur als letztes Mittel einzusetzen. In der Maximilianstraße etwa sind an den Wochenenden abends auch Beamte unterwegs, die gezielt das Gespräch suchen. In der aufgeheizten Stimmung in der Krawallnacht aber, als sich hunderte Nachtschwärmer gegen die Polizei verbündeten und Beamte mit Flaschen beworfen wurden, sei das nicht mehr möglich gewesen, sagte Polizeipräsident Michael Schwald. Dass auch Jugendliche aus den polizeibekannten Gruppen in der Krawallnacht in der

    Auch bei der Polizei ist man überzeugt, dass nur Prävention dauerhaft etwas bewirken kann. Man sei dazu auch in engem Austausch mit der Stadt, sagt Monika Krawehl. Ob jemand anfällig sei für Kriminalität, ist nach ihrer Einschätzung weniger eine Frage des Migrationshintergrunds, sondern des sozialen Status. Meist sei es so, dass die Eltern - aus verschiedenen Gründen - mit der Erziehung überfordert seien. Ein Streetworker, der auch am Drei-Auen-Platz im Einsatz ist, berichtete im vorigen Jahr etwa von Fällen, in denen Eltern einfach zusehen, wie ein 14-Jähriger draußen auf der Straße kifft oder mit dem Krankenwagen abgeholt werden müsse - da gerate dann auch Sozialarbeit an ihre Grenzen.

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