Der Krieg in Nahost beschäftigt die Augsburger Bürger. Durch Solidaritätskundgebungen, Demonstrationen, aber auch die Vorfälle um die Israel-Flagge vor dem Rathaus, die zweimal heruntergerissen wurde, ist der Konflikt spürbar näher gekommen. Jüdinnen und Juden in Augsburg stellen einen Anstieg von antisemitischen Vorfällen fest - nicht erst seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Die Stadt Augsburg bemühe sich darum, auf allen Ebenen ihre Verpflichtung als Friedensstadt wahrzunehmen, so Martina Wild (Grüne), Referentin für Bildung und Migration. Gleichwohl stellte die Stadt fest, dass der Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft zunehme – "im rechten Spektrum, im linken Spektrum wie auch in islamischen Kreisen".
Zehn Jahre hat eine Augsburgerin in Israel gelebt - der Liebe wegen. 2022 ist sie mit ihrem Mann und den beiden kleinen Kindern zurück nach Augsburg gezogen. Persönlich sei sie noch nie antisemitisch angegriffen worden, aber im Alltag spüre sie eine wachsende antisemitische Stimmung. Etwa das Herunterreißen der israelischen Flagge am Rathausplatz und der Versuch, sie anzuzünden, sei für sie wie "ein Schlag ins Gesicht" gewesen. Das habe sie traurig gemacht, genauso wie Kommentare voller "Hass und Missgunst", die sie in den sozialen Netzwerken liest. Das habe dazu geführt, dass sie mit ihren Kindern, die zweisprachig aufwachsen, in der Öffentlichkeit nur noch Deutsch und nicht Hebräisch spreche. Auch ihr Mann ist lieber vorsichtig. Als er in einem Augsburger Barbershop gefragt wird, woher er stamme, sagt er aus Rumänien und nicht aus Israel.
Von antisemitischen Vorfällen an der Schule ihrer Tochter berichtete Natalie Hünig, Schauspielerin am Staatstheater Augsburg und Jüdin, auf der Solidaritätskundgebung für Israel, zu der das Bündnis für Menschenwürde aufgerufen hatte. Tags darauf habe sich der Schulleiter bei ihr gemeldet und sie hätten sich zum Gespräch getroffen. Er habe von den Vorfällen nichts gewusst, was ihm sehr leid getan habe. Auch dem Augsburger Schulamt und Bildungsreferat sind keine antisemitischen Vorfälle bekannt.
Schulamtsleiter Markus Wörle berichtet davon, dass die Lehrer aufgefordert sind, das Thema im Unterricht zu besprechen, vor allem bei Anfragen aus der Schülerschaft. Es gebe für jeden Bezirk die sogenannten Beauftragten für Demokratie, die die Schulen bei Bedarf unterstützen. Daneben habe das bayerische Kultusministerium nach dem terroristischen Angriff auf Israel ein Schreiben an alle Schulen verschickt und auf Unterstützungsangebote hingewiesen.
Vorfälle an Antidiskriminierungsstelle und Polizei melden
"Ich möchte nochmals deutlich an Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte appellieren, jeden Vorfall sowohl bei der Antidiskriminierungsstelle wie auch bei der Polizei zu melden. Nur so können wir unsere Programme zielgerecht umsetzen und die Opfer sowie die Lehrkräfte bestmöglich unterstützen", sagt Bürgermeisterin Martina Wild. Projekte gebe es viele: Etwa das Theaterstück samt Workshop "Tacheles" vom Jungen Theater Augsburg, "Meet2respect" bei dem Unterrichtsbesuche von einem Imam und einem Rabbiner stattfinden oder demokratische Bildung durch „Lernort Rathaus“. Daneben gebe es eine Vielzahl von Aktionen außerhalb des Schulbetriebs, wie bei den jährlichen Wochen gegen Rassismus, der Veranstaltungsreihe "Respekt" oder dem Projekt "Komma" - Kommunale Allianzen und Strategien gegen Rassismus und Hass.
Im Jüdischen Museum Augsburg würden auch Workshops für Schüler, Erwachsene und auch Lehramtsstudenten angeboten, so Direktorin Carmen Reichert. Sie stelle einen wachsenden Antisemitismus seit 2008 fest. "Das hat mit der Wirtschaftskrise angefangen und hat sich seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 nochmals verstärkt." Sie bemerke es, wenn in Nachfragen und in Kommentaren negative Stereotype zur Sprache kommen, wie dass Juden überdurchschnittlich wohlhabend seien oder es israelbezogene antisemitische Äußerungen gebe. Sie hält es für bedenklich, dass nur eine Frau dem jungen Mann auf dem Rathausplatz widersprach, der die israelische Flagge herunterriss und verbrennen wollte. Erschreckend sind für sie die Davidstern-Schmierereien an Berliner Wohnhäusern.
"Tiefe Verunsicherung" bei den Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde
Hermann Bredl, Beauftragter gegen Antisemitismus der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben Augsburg (IKG), bemerkt eine "tiefe Verunsicherung" bei den Mitgliedern der IKG. Ängste führten zur Einschränkung des Lebensraumes. Umso wichtiger seien Solidaritätsbekundungen, etwa von Oberbürgermeisterin Eva Weber, Vertretern der Polizei und der Kirchen. Seit Jahren würden islamische Organisationen in die Synagoge eingeladen. "Gekommen ist kaum jemand", teilt Bredl mit. Bedauert werde die "in weiten Teilen fehlende Stellungnahme der meisten Moscheevereine und islamischen Verbände in Augsburg zu den Massakern der Hamas". Es müsse "deutlich mehr kommen", fordert Bredl, so auch die Anerkennung des Existenzrechts Israels, ein "als Partner in der Demokratie mit Deutschland eng verbundener Staat". Diese Erklärung würde zu einer "Beruhigung der tiefen Beklemmung vieler Juden in Augsburg beitragen".