Es kommt in Augsburg nicht allzu oft vor, dass sich ein Polizist vor Gericht verantworten muss. Schon allein deshalb ist außergewöhnlich, was wohl im Lauf des Frühjahrs am Augsburger Landgericht zu beobachten sein wird. Doch dieser Fall birgt noch viel mehr. Der Beamte, der dann voraussichtlich auf der Anklagebank Platz nimmt, hat im vergangenen August am Rande eines FCA-Heimspiels einen Schuss aus seiner Dienstwaffe abgegeben – ohne, dass es dazu einen erkennbaren dienstlichen Anlass gab. Monatelang liefen Ermittlungen, nun hat die Staatsanwaltschaft Augsburg Anklage gegen den Verantwortlichen erhoben. Gerade zwischen den Zeilen lässt dabei einiges aufhorchen.
Es ist heiß an jenem Samstag, 19. August, die Temperaturen liegen teils deutlich über 30 Grad. Auch in der WWK-Arena wird es hitzig, der FC Augsburg und Borussia Mönchengladbach liefern sich beim 4:4 ein rasantes Duell. Als die Partie in ihren letzten Momenten angekommen ist, hallt über das Stadiongelände ein Knall. Seinen Ursprung hat er offenbar in einem abgegrenzten Bereich – dort, wo sich Beamte, die zum Unterstützungskommando (USK) der Bereitschaftspolizei gehören, in Rufbereitschaft aufhalten. Schnell ist klar: Ein USK-Beamter, damals 27 Jahre alt und seit knapp vier Jahren in dieser Einheit, hat einen Schuss aus seiner Dienstwaffe abgegeben. Das Projektil durchschlägt zunächst die Scheibe eines Dienstfahrzeugs und trifft dann einen leeren Fanbus der Gastmannschaft. Fans werden nicht verletzt, vier Polizeibeamte schon. Sie erleiden ein Knalltrauma, ein Beamter zusätzlich Schürfverletzungen im Gesicht durch einen Glassplitter. Kurz darauf macht die "Fanhilfe Mönchengladbach" den Fall in sozialen Netzwerken öffentlich.
Polizeibeamter des USK gibt Schuss am FCA-Stadion ab
Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat nun Anklage gegen den verantwortlichen USK-Beamten erhoben – wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt sowie Sachbeschädigung. Zur Begründung hieß es, der Schuss sei den Ermittlungen zufolge "ohne nachvollziehbaren Grund" aus der Dienstwaffe abgegeben worden. Ob die Anklage zugelassen und ein Hauptverfahren eröffnet wird, muss nun das Landgericht Augsburg entscheiden. Dass der Fall dort liegt, und nicht beim Amtsgericht, ist bemerkenswert. Landgerichte sind in der Regel zuständig, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren zu erwarten ist. Auf eine derart hohe Strafe wird es im Fall der Schussabgabe am Stadion vermutlich nicht hinauslaufen, auch wenn der Strafrahmen für das Delikt zwischen sechs Monaten und zehn Jahren liegt.
Das Landgericht kann allerdings auch ins Spiel kommen, wenn das Verfahren als besonders umfangreich oder bedeutsam eingeschätzt wird, etwa wegen seiner Tragweite. Diesen „Joker“ habe die Staatsanwaltschaft hier offenbar gezogen, sagt der renommierte Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das spricht auch dafür, dass man ein Exempel statuieren und deutlich machen will, dass man in Zukunft mit Fällen von polizeilichem Fehlverhalten grundsätzlich rigider umgeht, als dies in der Vergangenheit möglicherweise der Fall war."
Staatsanwaltschaft Augsburg erhebt Anklage gegen Polizisten
Dass in der Angelegenheit überhaupt Anklage erhoben wurde, hat Feltes nach eigener Aussage "überrascht – weil dabei zumindest bedingter Vorsatz unterstellt wird." Vorsatz muss nicht zwangsläufig ein absichtliches Vorgehen bedeuten, sondern kann auch heißen, dass eine Konsequenz billigend in Kauf genommen wurde. Nach allem bislang Bekannten sei beim USK-Beamten Vorsatz bislang "noch nicht zu erkennen" gewesen, sagt Feltes. "Offensichtlich liegen weitere Aussagen vor, die darauf hindeuten, dass die Schussabgabe nicht einfach so versehentlich geschehen ist, sondern dass da mit der Waffe gespielt wurde oder Ähnliches." Nach dem Vorfall hatte die Bereitschaftspolizei mitgeteilt, dass sich die beteiligten Beamten unmittelbar vor der Schussabgabe "aufgrund der hohen Außentemperaturen gegenseitig mit Wasser bespritzt" hätten. Warum der Schütze dann zur Waffe griff, ist nach wie vor unklar. Offenbar hielt er sich zum Zeitpunkt der Schussabgabe außerhalb des getroffenen Dienstfahrzeugs auf. Der Schuss war ersten Erkenntnissen zufolge in etwa auf Kopfhöhe unterwegs und hätte im schlimmsten Fall wohl tödlich enden können.
Dass nun, rund fünf Monate nach dem Vorfall, Anklage erhoben wurde, ging nach Einschätzung von Experte Feltes "vergleichsweise schnell". Auch dies spreche dafür, dass die Staatsanwaltschaft klarmachen wolle, "dass bei polizeilichem Fehlverhalten nichts unter den Tisch gekehrt werden soll". Mögliche Verhandlungstermine stehen noch nicht fest. Mit einem Beginn vor März ist aber nicht zu rechnen. Die Entscheidung, welche dienstrechtlichen Konsequenzen auf den USK-Beamten zukommen, liegt bei der Bereitschaftspolizei. Dem Vernehmen nach kommt es bei dieser Bewertung insbesondere auf den Ausgang des Strafverfahrens an. Der Verantwortliche ist nach wie vor suspendiert. Die anderen Beteiligten, die nach dem Vorfall befragt und zwischenzeitlich vom USK abgezogen worden waren, sind inzwischen dort wieder im Einsatz.
USK-Beamte sind im Umgang mit Dienstwaffen geübt
Der Schuss am FCA-Stadion wurde aus einer SFP9 von Heckler und Koch abgefeuert. Die Waffe gehört zum polizeilichen "Standardrepertoire", gerade USK-Beamte üben regelmäßig den Umgang mit ihr. Dies hängt auch mit ihrer Sonderrolle zusammen. Das USK kommt in der Regel in Ausnahmesituationen zum Einsatz – etwa, wenn von einem möglicherweise erhöhten Gewaltpotenzial auszugehen ist. Duelle zwischen dem FCA und Borussia Mönchengladbach gelten grundsätzlich nicht unbedingt als außerordentlich brisant, dennoch stufte die Polizei das Aufeinandertreffen am 19. August als "Begegnung mit erhöhtem Risiko" ein. Warum genau, teilt die Polizei mit Verweis auf "einsatztaktische Gründe" nicht mit. Grundsätzlich hänge das Ausmaß der eingesetzten Polizeikräfte aber von einer Risikobewertung ab. Dabei könnten neben der Vorgeschichte eines Aufeinandertreffens auch aktuelle Ereignisse oder der Tabellenstand einfließen.