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Augsburg: 1000 Tage Klimacamp in Augsburg: "Es bleibt viel Arbeit für uns"

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1000 Tage Klimacamp in Augsburg: "Es bleibt viel Arbeit für uns"

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    Das Klimacamp neben dem Rathaus existiert seit 1000 Tagen. Die Aktivisten wollen weiter durchhalten.
    Das Klimacamp neben dem Rathaus existiert seit 1000 Tagen. Die Aktivisten wollen weiter durchhalten. Foto: Silvio Wyszengrad

    Am 1. Juni 2020 haben Sie mit dem Klimacamp begonnen, am 27. März 2023 sind Sie seit 1000 Tagen aktiv. Hätten Sie das damals gedacht?
    INGO BLECHSCHMIDT: Wir dachten, das hält vielleicht zwei Tage. Aber wir haben jeden Abend im demokratischen Plenum gefragt, wer am nächsten Tag weiter protestieren mag. Da sind immer alle Hände hoch gegangen. Irgendwann haben wir aufgehört, zu fragen, weil klar war, dass wir weitermachen würden. 

    Wie fällt Ihre Bilanz nach 1000 Tagen aus?
    BLECHSCHMIDT: Wir erreichen einen breiten Querschnitt der Bevölkerung. Jeden Tag kommen Passanten und Passantinnen vorbei, die sich informieren möchten. Hinzu kommen konkrete politische Erfolge: Beim CO₂-Restbudget, das sich die Stadt gesetzt hat, ist sie unserer Rechnung gefolgt. Das andere ist der Fahrradvertrag mit der Stadt, den wir zusammen mit Allgemeinem Deutschen Fahrradclub und dem Forum Augsburg lebenswert erzielt haben. Und das Letzte ist die Rettung des Forsts Kasten bei München. Da waren wir treibende Kraft. Das war vielleicht das Beste, was ich in meinem Leben gemacht haben werde. 

    Jetzt könnten Sie sagen: Drei konkrete Erfolge, das reicht jetzt doch nach 1000 Tagen ...
    BLECHSCHMIDT: Könnte man sagen, wenn es nicht um die Zukunft der jungen Generation ginge und das Leben der Menschen im globalen Süden, die noch viel stärker unter der Klimakrise leiden als wir hier in Augsburg. Wir reden hier über eine 1,5-Grad-Grenze bei der Erdaufheizung, aber die Staaten im Süden wollten eine 1,0-Grad-Grenze. Die 1,5-Grad-Grenze ist ein Kompromiss, der das Leid vieler Menschen in Kauf nimmt. Und Augsburg ist nicht auf einem klimagerechten Pfad. Es bleibt viel Arbeit für uns.

    Die EU hat eine Pflicht zur energetischen Sanierung angekündigt, die Bundesregierung will neue Öl- und Gasheizungen verbieten, in Augsburg arbeitet man an einem Plan zur künftigen Wärmeversorgung und streicht Parkplätze zugunsten von Radwegen. Es geht doch was voran.
    BLECHSCHMIDT: Es reicht nicht. Wir stehen unter Zeitdruck. Es reicht nicht, hier einen Radweg zu bauen und dort einen Plan zu entwickeln. Wir brauchen ein Konzept aus einem Guss. Die Stadt nutzt ihre Spielräume zu wenig. Beispiel Mobilitätswende: 2012 beschloss der Stadtrat, dass Augsburg Fahrradstadt werden soll. Die Ziele wurden bisher nicht erfüllt. Dafür ist die Zahl der zugelassenen Autos gestiegen. Und Bus und Tram in Augsburg werden nicht nur ständig teurer, sondern jetzt wird auch noch der Takt ausgedünnt. Die Stadt scheitert mit der Verkehrswende im kritischsten Moment. Es wird momentan schwerer gemacht, sein Auto stehen zu lassen oder ganz ohne Auto unterwegs zu sein.

    Aber wenn man solche Räder wie Mobilität oder Wärmeversorgung drehen will, geht es doch nur mit Plan. 
    BLECHSCHMIDT: Es ist super, auf die lange Sicht zu planen. Aber dann mit ambitionierten Zielen. Die städtische Klimaschutz-Studie schlägt etwa vor, den fossilen Autoverkehr bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. In den aktuellen Planungen taucht das aber nicht auf. Und die Stadt sollte nicht so tun, als müsste sie alle Pläne neu erfinden – es gibt schon viele Ansätze. Man könnte jetzt schon an die Umsetzung gehen, während man sich allgemeine Gedanken macht. 

    Wie hat sich das Klimacamp selbst in den 1000 Tagen geändert? Wie viele von denen, die anfangs dabei waren, sind noch an Bord?
    BLECHSCHMIDT: Das ist unterschiedlich. Manche sind ununterbrochen dabei, andere haben mal Pause gemacht oder sind weggezogen, weil sie nach dem Schulabschluss ein Studium in einer anderen Stadt aufgenommen haben. Es kommen aber immer auch wieder neue dazu.

    Wie einfach oder schwierig ist es denn, genug Aktive für die Besetzung der Schichten zu finden? Für eine Versammlung verlangt die Stadt die Anwesenheit von mindestens zwei Personen, im Dezember wurde es bei Ihnen eng.
    BLECHSCHMIDT: Der Aufruf im Dezember war nötig, weil es damals kipplig war. Der Aufruf war aber erfolgreich. Im kommenden Sommer erwarte ich keine größeren Probleme. Aktuell gibt es etwa 30 Personen, die sich an den Schichten beteiligen. Weil immer zwei Personen im Camp sein müssen, macht das im Schnitt zwei Einsätze pro Monat, wobei manche etwas mehr, andere etwas weniger machen. Natürlich wäre es toll, wenn mehr Augsburger und Augsburgerinnen aktiv würden. Klar haben viele im Alltag viel um die Ohren und als Aktivist muss man auch mit zornigen Blicken rechnen. Aber wenn man sich nicht engagiert, muss man sich in 20 Jahren die Frage anhören: "Papa, warum hast du nicht gehandelt, als Zeit war?" Jetzt können noch viele Weichen für die Zukunft gestellt werden. 

    Wie lange will das Klimacamp weitermachen?
    BLECHSCHMIDT: Es gibt viele schöne Momente, aber es ist arbeitsintensiv. Alle paar Monate eine Demonstration auf die Beine zu stellen, wäre einfacher, aber es zeigt sich ja, dass es nicht reicht. Man muss ja nur mal schauen, was Bundesverkehrsminister Wissing tut oder nicht tut. Ich weiß nicht, wie lange wir weitermachen – das ist eine demokratische Entscheidung. Wir können auch einfach aufhören und auf andere Formen setzen, wie es andere Klimacamps getan haben. Momentan ist aber viel Schwung drin. Im April haben wir an jedem Tag eine Aktion geplant. Die einfachste Möglichkeit wäre natürlich, wenn die Oberbürgermeisterin zu uns kommt und glaubhaft versichert, dass sie jetzt den Ernst der Lage verstanden hat und die Klimakrise zur Chefinnen-Sache macht.

    Die Perlachturmsanierung ab Herbst bedeutet, dass Sie das Lager umquartieren müssen. Was wäre denn ein realistischer Alternativort?
    BLECHSCHMIDT: Wir hatten ja die Karlstraße ins Gespräch gebracht. Es wäre ein tolles Symbol für die Verkehrswende, den größten Unort in Augsburg zu einer grünen Oase zu machen. Von der Verkehrsberuhigung würden alle profitieren. Falls wir das nicht durchsetzen können, brauchen wir einen alternativen Ort, an dem wir mit einem Querschnitt der Bevölkerung in Kontakt kommen können. Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Aber es gibt keinen Ort, der so gut geeignet ist wie der jetzige, nämlich in unmittelbarer Nähe zur Stadtpolitik. 

    Zur Person

    Ingo Blechschmidt, 34, ist Mitinitiator des Klimacamps. Der promovierte Mathematiker arbeitet nach dem Auslaufen seines Vertrags an der Uni Augsburg ab dem Sommersemester als Dozent an der Universität Padua, bleibt aber in Augsburg wohnen. 

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