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Augsburg: Zu Besuch in der Seniorenresidenz des "Corona-Rebellen"

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Zu Besuch in der Seniorenresidenz des "Corona-Rebellen"

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    Karl-Heinz Habereder (links) und Luitgard Röhrich wohnen in der Seniorenwohnanlage Albaretto. Beide sehen die aktuellen Corona-Regeln kritisch - ähnlich wie Geschäftsführer Bernhard Spielberger.
    Karl-Heinz Habereder (links) und Luitgard Röhrich wohnen in der Seniorenwohnanlage Albaretto. Beide sehen die aktuellen Corona-Regeln kritisch - ähnlich wie Geschäftsführer Bernhard Spielberger. Foto: Silvio Wyszengrad

    Normalerweise wären sie jetzt alle da, im großen Restaurant in Haus 1. Rund zwei Dutzend Senioren zum Bingospielen, mehrere Schafkopf-Runden, vielleicht auch eine Geburtstags-Gesellschaft. Es ist früher Nachmittag im Albaretto, der großen Seniorenwohnanlage im Augsburger Stadtteil Kriegshaber. In Corona-Zeiten könnte man auch von einer Hochrisiko-Anlage sprechen. Rund 600 ältere Menschen leben hier in mehreren großen Apartmenthäusern, sie gehören praktisch alle zu der Gruppe, die bei einer Infektion mit dem Virus mit besonders schweren Folgen rechnen muss. Im Restaurant ist deutlich weniger los, auch zum Bingospielen darf sich nur eine Handvoll Senioren versammeln, alle sitzen in großem Abstand. Die Corona-Regeln haben den Alltag der Menschen hier massiv verändert. Und längst nicht alle sind damit einverstanden. Karl-Heinz Habereder, 84, sagt: „Die Regierung muss nicht auf mich aufpassen. Das kann ich selber.“

    Habereder ist gebürtiger Augsburger, er stammt aus Pfersee. Er hat mit seiner Frau lange in Stadtbergen gelebt. Jetzt sind sie umgezogen in eine Drei-Zimmer-Wohnung im Albaretto. Um vorbereitet zu sein für den Fall, dass einer von beiden pflegebedürftig wird. Als er geboren wurde, war der Zweite Weltkrieg noch nicht ausgebrochen. Der Rentner sagt, er habe in seinem Leben so viel überstanden, er fürchte sich nicht vor dem Virus. „Ich bin 84, was soll mir noch passieren?“, fragt er.

    Corona-Regeln: Kein Besuch bei einer schwer kranken Verwandten

    Ihn ärgern die starken Einschränkungen, die die Ausbreitung des Virus bremsen sollen. Er traut auch der Regierung nicht mehr, spricht von „Panikmache“. Karl-Heinz Habereder erzählt von seiner Cousine, die schwerstkrank in einem Augsburger Krankenhaus liegt. Er darf sie nicht besuchen. In der Klinik habe man ihm gesagt, er sei eine zu große Gefahr für sie. Seine Stimme bebt, als er darüber spricht. Er sagt: „So sterben die Leute doch an Einsamkeit.“

    In der Seniorenresidenz Albaretto an der Bgm.-Ackermann-Straße leben rund 600 Menschen.
    In der Seniorenresidenz Albaretto an der Bgm.-Ackermann-Straße leben rund 600 Menschen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Bernhard Spielberger, 53, ist Geschäftsführer des Albaretto. Er sagt, viele der Bewohner würden so oder ähnlich denken. Er hat Verständnis dafür. „Wenn jemand 80 oder 90 Jahre alt ist, dann weiß er nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt“, sagt Spielberger. Und er fragt: „Soll man wirklich das womöglich letzte Jahr in Einsamkeit verbringen?“ Er erzählt von einer verunsicherten Bewohnerin, die ihn in diesen Tagen unter Tränen gefragt habe, ob sie denn ihre zwölfjährige Lieblingsenkelin in den Arm nehmen dürfe, wenn sie sie treffe.

    Corona in Augsburg: Albaretto-Chef sieht den aktuellen Teil-Lockdown kritisch

    Spielberger sieht den aktuellen Teil-Lockdown und viele Einschränkungen kritisch. Er hat schon den Lockdown im Frühjahr kritisiert – und ist bei seiner Haltung geblieben. Spielberger sieht sich nicht als Corona-Leugner, er glaube auch an keine Verschwörungen. Man müsse die Krankheit ernst nehmen, sagt er, die Maßnahmen aber hält er für übertrieben. Er könne in seiner Seniorenresidenz sehen, wohin diese führten. Er nennt das Beispiel einer älteren Frau, die man kürzlich dehydriert in die Klinik haben bringen müssen, da sie aus Angst vor dem Virus nicht mehr aus ihrer Wohnung gegangen sei und offensichtlich zu wenig getrunken habe. Er sagt, während der Grippewelle 2018 seien alleine im Albaretto in einem Monat 30 Bewohner gestorben, damals habe es aber keinen Aufschrei gegeben.

    Spielberger wird ständig gegrüßt und angesprochen, während er an einem Tisch des Restaurants sitzt und seine Sicht der Dinge schildert. Das Lokal darf während des Teil-Lockdowns offen bleiben, aber nur als „Kantine“ für die Albaretto-Bewohner. Gäste dürfen nicht rein. Er schätzt, dass rund 90 Prozent seiner Bewohner die Corona-Regeln zumindest teilweise kritisch sehen. Etwa zehn Prozent dagegen hätten große Angst. Das sorgt auch für Spannungen. Immer wieder bemerkt Spielberger, dass sich Bewohner über die Aktivitäten anderer bei den Behörden beschweren. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr sei von Bewohnern auch mehrfach die Polizei gerufen worden, wenn sie in einer anderen Wohnung Corona-Verstöße gewittert hätten.

    Das Restaurant im Albaretto darf derzeit nur für Bewohner öffnen.
    Das Restaurant im Albaretto darf derzeit nur für Bewohner öffnen. Foto: Bernhard Weizenegger

    Luitgard Röhrich, 83, sagt, sie komme mit den Beschränkungen ganz gut zurecht. Das liege daran, dass sie sich auch alleine gut beschäftigen könne. Außerdem gehe sie viel raus an die frische Luft. Sie trifft sich auch noch mit Verwandten und Bekannten – im erlaubten Rahmen. Trotzdem sieht auch sie es kritisch, dass viele ältere Menschen verunsichert oder sogar stark verängstigt seien. Sie sagt, sie nehme Corona durchaus ernst. Aber sie fürchte sich nicht. „Es kommt, wie es kommt.“ Und eines fehlt auch ihr: Sie trifft sich seit Jahrzehnten regelmäßig alle paar Wochen mit Freundinnen, die sie noch von ihrer Schulzeit in Maria Stern kennt. Derzeit fallen die Treffen aus.

    Corona-Regeln: Ob sich alle Bewohner des Albaretto daran halten?

    Das Albaretto ist kein Seniorenheim im klassischen Sinn. Die meisten Bewohner leben so eigenständig wie möglich in eigenen kleinen Wohnungen. Deshalb gibt es hier auch keine Besuchsbeschränkungen wie in einem Heim. In einem Haus leben zwar rund 90 besonders pflegebedürftige Personen – aber in Form von Betreutem Wohnen. Dort gelten strengere Regeln, etwa eine derzeitige Beschränkung auf einen Besuch pro Tag. Die anderen Bewohner sind selbst dafür verantwortlich, sich in ihren Räumen an die Corona-Regeln zu halten.

    Ob sie das immer tun? Spielberger hat da seine Zweifel. „Glauben Sie, dass jetzt wirklich alle ihre Schafkopf-Runde ausfallen lassen?“, fragt er. Weil er auch die Zwangsschließung der Gastronomie für falsch hält, klagt er derzeit vor dem Verwaltungsgericht. Spielberger betreibt auch das Palladio, ein Restaurant in der Nähe des Albaretto. Im Frühjahr war er erfolgreich gegen die vorgezogene Sperrzeit für die Außengastronomie vor Gericht gezogen. Das hat ihm den Ruf des Augsburger "Corona-Rebellen" eingebracht.

    Aktuell hat er aber noch ganz andere Sorgen. Die Hausarztpraxis neben der Seniorenwohnanalage ist wohl noch zehn Tage lang zu, weil es beim Personal einen Corona-Fall gegeben hat. Das Gesundheitsamt hat alle Mitarbeiter der Praxis und die beiden Ärztinnen in Quarantäne geschickt. Die meisten der Bewohner sind Patienten in dieser Praxis. Sie stehen jetzt vor einem Problem, wenn sie Rezepte für wichtige Medikamente oder Therapien brauchen – und die benötigt fast jeder hier. So viele Patienten kämen nicht ohne Weiteres bei anderen Ärzten unter, schon gar nicht so kurzfristig, sagt Spielberger. Er stehe mit den Behörden in Kontakt, eine Lösung sei aber noch nicht gefunden.

    Er fürchtet, dass er Fitnessräume und Schwimmbad nun auch schließen muss

    Und er fürchtet, dass er den Bewohnern nun womöglich auch noch die Gelegenheit nehmen muss, Sport zu treiben. Bisher hat er die Fitnessräume und das Schwimmbad offengehalten. Unter der Maßgabe, dass immer nur zwei Personen gleichzeitig in einem Raum sein dürfen. Nun aber hat der Freistaat die Regeln für Sport im Innenbereich noch einmal verschärft. Er muss nun prüfen, was das für das Albaretto bedeutet. Er hofft noch, dass für ihn andere Maßstäbe gelten als für öffentliche Fitnessstudios. Bewegung und Sport seien schließlich wichtig, um gesund zu bleiben. Notfalls müsse er sich auch hier vor Gericht wehren, sagt Spielberger.

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