Ein trotziges „Nicht schuldig“. Ein lautes „Nein!“ – hineingebellt in den Saal des Nürnberger Justizpalastes und damit hinaus in die Welt. Die Arroganz, mit der das Gros der Nazi-Größen im ersten und spektakulärsten Kriegsverbrecherprozess der Geschichte die Verantwortung von sich wies, hallt bis heute nach. Knapp 70 Jahre später sind die Schwarz-Weiß-Bilder noch immer allgegenwärtig: der betont lässige Reichsmarschall Hermann Göring mit Sonnenbrille, der herrische Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der verwirrte England-Flieger Rudolf Heß.
Weit weniger oft wird über die unteren und mittleren Chargen gesprochen. Fanatisierte NSDAP-Funktionäre, brutale KZ-Aufseher, Denunzianten oder Verbrecher in Uniform. Doch auch sie wurden nach 1945 im ganzen Land gesucht. Mit besonderer Hartnäckigkeit von den amerikanischen Besatzern. Für viele, die hofften, dass sie und ihre Untaten im Nachkriegschaos unentdeckt bleiben würden, war der 1.November 1946 kein guter Tag. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nahm an jenem Donnerstag in Augsburg eine neue Einheit ihre Arbeit auf: die „7708 War Crimes Group“ – später nur „die Nazi-Jäger“ genannt.
Für einige Monate schlug also das Herz des beispiellosen Programms der US-Regierung zur Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen in der früheren Arras-Kaserne im Augsburger Stadtteil Kriegshaber. Und dennoch war über die Tätigkeit der 7708er – insbesondere in Deutschland – nicht viel bekannt. Die Quellenlage war dürftig.
Augsburger stößt im Internet auf US-Bericht mit 249 Seiten
Es ist dem Verein „Amerika in Augsburg“ zu verdanken, dass sich das jetzt ändern dürfte. Dabei spielte – wie so oft – der Zufall eine Rolle. Als das Vereinsmitglied Thomas Dollrieß auf der Suche nach Dokumenten zur Geschichte der US-Armee in Schwaben im Internet surfte, stieß er auf einen Bericht, der ihn elektrisierte. Er hatte in dem gigantischen Online-Archiv der Library of Congress, der Forschungsbibliothek des US-Kongresses in Washington, den „Report of the Deputy Judge Advocate for War Crimes“ entdeckt – der bis in die 90er Jahre unter Verschluss gehaltene Bericht der zuständigen Justizinstanz der US-Streitkräfte über die Verfolgung von Nazi-Verbrechern in der Zeit von Juni 1944 bis Juli 1948. Viele der 249 Seiten befassen sich mit der Arbeit der 7708er, bei der rund 600 Juristen, Dolmetscher und Verwaltungsexperten tätig waren.
Gerhard Rankl, Wirtschaftsjurist aus Bobingen, hat sich daran gemacht, den Bericht für den Verein Amerika in Augsburg zu sichten und einzuordnen. Er suchte alte Fotos, las sich in das Konzept der US-Administration zur Entnazifizierung ein, beschäftigte sich mit den Dachauer Prozessen gegen Nazi-Verbrecher. Je tiefer er in das Thema eintauchte, desto größer wurde sein Respekt, mit welcher Hartnäckigkeit die US Army ihr Projekt verfolgte: „Was da umgesetzt wurde, ist eine riesige Leistung und ein unschätzbarer Beitrag zur Demokratisierung Deutschlands.“
Ein Urteil, das die Münchner Historikerin Edith Raim teilt: „Man hätte ja auch einfach Rache nehmen können, aber genau diesen Weg wollten die USA bei den Militärtribunalen eben nicht gehen. Die Verfahren wurden trotz der schwierigen Umstände meist fair und nach rechtsstaatlichen Standards geführt.“ Die Expertin für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen nennt ein weiteres Indiz für die Ernsthaftigkeit, mit der die USA vorgingen: „Die Amerikaner betrauten nicht etwa unerfahrene junge Anwälte mit dieser gewaltigen Aufgabe, sondern die besten und versiertesten Juristen und Fachleute – darunter auch deutsche Emigranten, die bis ins Detail wussten, wie die Behörden im Dritten Reich strukturiert waren.“
Nazi-Jagd: 1946 reift die Entscheidung, eine Spezialeinheit zu gründen
Doch zunächst musste Washington einen schmerzhaften Lernprozess durchlaufen. Als die US-Truppen am 6. Juni 1944 zusammen mit den Alliierten in der Normandie landeten, verfügte jede Einheit über einen Juristen, dem wiederum ein Techniker, ein Übersetzer, ein Fotograf sowie ein Fahrer nebst Jeep unterstellt wurden. Diese kleine Mannschaft hatte die Aufgabe, Verbrechen der Feinde an den Kameraden zu dokumentieren. Da ging es um Massenerschießungen von gefangenen US-Soldaten wie im belgischen Malmedy, oder Fälle, in denen Piloten, die einen Absturz überlebt hatten, von der aufgepeitschten Zivilbevölkerung gelyncht wurden. Doch in den letzten Wochen des Krieges, insbesondere nach der Befreiung der ersten Konzentrationslager, dämmerte Washington, dass es damit nicht getan sein würde. „Als immer deutlicher wurde, dass von Deutschen systematische Verbrechen begangen worden waren, reagierten die USA mit grundlegenden Umstrukturierungen“, sagt Gerhard Rankl.
Wurden die Ermittlungen zunächst zentral von Washington aus gesteuert, liefen die Fäden nach der Befreiung von den Nazis in Paris zusammen. 1946 reifte die Entscheidung: Die Ermittler und Juristen sollen in eine eigene Einheit mit eigenem Budget zusammengefasst werden. Und: Diese gehört nach Deutschland. „Ehrliches Entsetzen über das Ausmaß der deutschen Verbrechen hatte letztlich zu diesem Schritt geführt“, sagt Edith Raim.
Warum aber wählte die US-Justiz ausgerechnet Augsburg als Domizil für ihre War Crimes Group? Ganz einfach: Die Stadt verfügte über weitgehend intakte und beheizbare Kasernen und lag nicht allzuweit entfernt von Dachau. Im Osten der Kleinstadt betrieben die Nazis ein berüchtigtes KZ, das die Amerikaner nach der Befreiung kurzerhand als Internierungslager für mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher nutzten. Zudem fanden sich in Dachau drei intakte Gerichtssäle, in denen das US-Militär 460 Verfahren durchführte. 1600 Kriegsverbrecher wurden dort verurteilt.
---Trennung _Verurteilte Nazi-Schergen in Landsberg hingerichtet_ Trennung---
Nicht weit entfernt lag die Haftanstalt Landsberg, in der Hitler 1923 als Häftling sein berüchtigtes Werk „Mein Kampf“ verfasst hatte. Die US-Administration nutzte das Gefängnis als „War Criminals Prison No.1“ – dort wurden die Verurteilten inhaftiert oder hingerichtet. 258 Todesurteile wurden zwischen 1947 und 1951 vollstreckt. Noch näher an Dachau als Augsburg liegt allerdings München. Dort, genauer in der McGraw-Kaserne, landete die Einheit 1947 nach einem kurzen Gastspiel in Freising. Trotz der 600 Mitarbeiter drohte die Einheit 7708 ständig in der Flut an Informationen über Verdächtige unterzugehen. Rankl hat die Zahlen. Danach lagerten nach dem Krieg „in 1200 Kisten bis zu 12,5 Tonnen Material“ zu den Dachau-Prozessen. Ein guter Teil davon dürfte durch die Hände der Männer und Frauen der War Crimes Group gegangen sein.
Natürlich lief bei der Masse der Fälle, die in einer langen Liste von Angeklagten in dem Bericht über die Nazi-Jäger-Einheit belegt ist, nicht alles glatt. So wurden mitunter Prozesse durch sogenannte „Berufszeugen“, die für Kost und Logis Personen belasteten, verfälscht. Gleichzeitig erschwerte die gezielte Vernichtung von NS-Akten durch deutsche Behörden in der letzten Kriegsphase die Recherchen.
Anfang der 50er Jahre wuchs in Teilen der Bevölkerung der Widerstand gegen die Prozesse und Hinrichtungen. Ihnen lag ein völlig neues Rechtsverständnis zugrunde. Danach konnten auch einfache Soldaten oder Zivilisten wegen Verbrechen „gegen den Frieden“ oder „gegen die Menschlichkeit“ vor Gericht gestellt werden. Verfolgt wurden auch Taten, die im Dritten Reich nicht strafbar waren, und zwar rückwirkend. Viele Deutsche taten das als „Siegerjustiz“ ab.
Im Januar 1951 kam es in Landsberg zu einer großen Demonstration gegen die US-Militärjustiz. Klaus Weichert, der die Geschichte des dortigen Gefängnisses aufgeschrieben hat, glaubt nicht, dass die Proteste von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen wurden. „Den meisten Landsbergern war egal, wer in der Haftanstalt einsaß. Der Widerstand und auch die Demonstranten kamen eher von außen“, sagt Weichert, der viele Jahre Anstaltslehrer war. Die Proteste seien meist von Angehörigen der Verurteilten initiiert worden. Unterstützt oft von straff organisierten, zunächst illegal operierenden Kameradschaftsverbänden früherer Angehöriger der SS oder der Wehrmacht.
„Aus Besatzern wurden Freunde“
Der Grund dafür, dass in Landsberg im Juni 1951 die letzte Hinrichtung stattfand und die US-Militärjustiz im Laufe der 50er Jahre weit milder urteilte, war aber ein anderer: Washington erkannte angesichts der immer schärfer werdenden Konfrontation zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion, dass Westdeutschland auf Dauer als starker Verbündeter nützlicher sein würde denn als Feind. „Hinzu kam, dass die US-Soldaten immer mehr private Kontakte zu den Deutschen knüpften, ja teilweise begeistert waren von bayerischem Brauchtum und den malerischen Alpen“, fügt Edith Raim hinzu. Zunächst war Verbrüderung mit dem Feind verboten, später wurden die Begegnungen sogar gefördert. „Aus Besatzern wurden Freunde“, lautet der viel zitierte, aber zutreffende Satz über das, was sich daraus entwickelte.
Ein Punkt, an dem der Vorsitzende von Amerika in Augsburg, Georg Feuerer, ansetzt. „Wir wollen eine Lücke schließen. Wir wollen, dass die Epoche der amerikanischen Präsenz in Augsburg lebendig bleibt“, sagt er und klopft anerkennend auf das dicke Blech eines alten US-Militärfahrzeuges. Der fahrtüchtige Koloss parkt in Halle 116 der ehemaligen Sheridan-Kaserne in Augsburg-Pfersee. In dem riesigen Schuppen, neben dem Offizierskasino der letzte steinerne Zeuge der militärischen Vergangenheit des Areals, künden Möbel, Maschinen, Bierhumpen, Straßenschilder und Wimpel von den Jahrzehnten, in denen die US-Präsenz das Leben in Augsburg prägte. Die Sammlung umfasst über 1000 Objekte, die nach „wissenschaftlichen Gesichtspunkten“ erfasst werden, wie Feuerer, Mitarbeiter des Augsburger Stadtarchivs, versichert. Es geht Feuerer und Rankl aber um mehr als um die Freude am Entdecken und Sammeln. „Wir haben ein Ziel vor Augen. In dieser Halle wollen wir ein Museum installieren, das die Geschichte der US-Streitkräfte in Augsburg und Bayern dokumentiert.“ Für die Historikerin Edith Raim ist eine solche Initiative überfällig: „Das Phänomen der US-Truppen in Bayern ist weitgehend unerforscht. Das ist traurig.“
Gerhard Rankl setzt alles daran, die Mission der Nazi-Jäger von der 7708 War Crimes Group dem Vergessen zu entreißen. Eine Mission, ohne die die spätere Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit durch deutsche Juristen und Politiker nur schwer denkbar gewesen wäre.
Wie der Verein „Amerika in Augsburg“ das US-Erbe in der Stadt pflegt
Der Verein: Im Jahr 2005, also zum 60. Jahrestag des Einmarsches amerikanischer Truppen, wurde der Verein „Amerika in Augsburg“ gegründet. Der Zweck des Vereins ist die Sammlung, Auswertung und Dokumentation von materiellen und immateriellen Zeugnissen der 50-jährigen Präsenz der US-Streitkräfte und deren Familienangehöriger in Augsburg. Rund 30 Mitglieder – eine bunte Mischung von Architekten, Juristen und auch ehemaligen US-Soldaten – haben sich diesem Ziel verschrieben.
Das Museum: Der Verein setzt alles daran, eines Tages ein Museum in der Halle 116 der ehemaligen Sheridan-Kaserne zu installieren. Es existiert bereits ein Beschluss des Augsburger Stadtrats, dass das Gebäude für museale Zwecke vorgesehen ist.
Die Partner: Der Verein kooperiert auf wissenschaftlichem Gebiet mit der Universität Augsburg. Gleichzeitig ist vorgesehen, mit der Augsburger „Denkort-Initiative“ zusammenzuarbeiten. Die Initiative setzt sich für eine Gedenkstätte in der Halle 116 ein, die zwischen Februar 1944 und Mai 1945 als KZ-Außenlager für bis zu 2500 Zwangsarbeiter genutzt wurde. Die Gefangenen schufteten in den Messerschmitt-Rüstungswerken in Haunstetten. Im Gespräch ist, Museum und Gedenkstätte zu einem Lernort zu verschmelzen, der insbesondere auch von Schülern besucht werden könnte. Unklar ist die Finanzierung des Projekts. Die Initiatoren suchen nach einem Träger und denken dabei an einen Zweckverband oder eine Stiftung.