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Zeitgeschichte: Goodbye America - 1998 zog das US-Militär aus Augsburg ab

Zeitgeschichte

Goodbye America - 1998 zog das US-Militär aus Augsburg ab

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    Die amerikanischen Soldaten waren auch ein Wirtschaftsfaktor – unter anderem für die Gaststätten der Stadt.
    Die amerikanischen Soldaten waren auch ein Wirtschaftsfaktor – unter anderem für die Gaststätten der Stadt. Foto: Wolfgang Diekamp

    Aus. Amerika verschwand. Der 19. Juni 1998 beendete das Leben, das Gisela und Harry Mayo in den Jahren zuvor so genossen hatten. „Es war sehr traurig für uns“, sagt die heute 63-Jährige. Tränen flossen. Um 23.05 Uhr war an jenem Junitag die amerikanische Flagge im Rosenaustadion eingeholt worden. Tausende Zuschauer erlebten den symbolischen Schlussakt eines mehr als 50 Jahre langen Abschnitts der Stadtgeschichte.

    Die amerikanischen Soldaten zogen aus Augsburg ab. Die Mayos – sie Deutsche, er Amerikaner – verloren den „American Way of Life“. Das Stück Amerika in

    Kriegsende ohne Blutvergießen: Die Augsburger begrüßten die GIs mit weißen Tüchern

    In Augsburg endete der Zweite Weltkrieg nach jahrelangem Töten ohne Blutvergießen. Mutige Bürger regelten mit den US-Soldaten die friedliche Übergabe der vom Krieg gezeichneten Stadt. Ein berühmtes Foto zeigt GIs, die im Schutz von Panzern an der Domkurve entlang ins Zentrum einziehen. Weiße Tücher signalisieren: Wir leisten keine Gegenwehr. Der Krieg war vorbei, es begann ein neues Zeitalter, von dem keiner so recht wusste, wie es aussehen würde.

    Ein amerikanischer Artillerieverband fährt durch die Bürgermeister-Aurnhammer-Straße in Göggingen. Dieses Foto wurde in den 1980ern aufgenommen.
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    Über Jahrzehnte prägte das amerikanische Militär das Stadtbild Augsburgs - nicht nur, wenn sie mit ihren Panzern auf dem Weg zur Übung waren.

    Die US-Soldaten hatten Broschüren dabei, die sie auf die Deutschen vorbereiten sollten. Sie warnten vor einer Fraternisierung, anfangs war die Verbrüderung sogar verboten. Alles vergeblich, wie Edith Kaim im Buch „Augsburg und Amerika“ schreibt. Kaugummis und Schokolade waren heiß begehrt, man war sich ähnlicher als gedacht und auch die schriftliche Erinnerung an deutsche Massenmorde und Gräueltaten konnte die Annäherung kaum stoppen. Auch wenn die Deutschen laut Kaim vor „Anbiederung“ warnten und die Amerikaner öffentliches Händchenhalten als geschmacklos abstempelten – auch Frau und Mann fanden schnell zusammen. Fünf Jahrzehnte später, als die Amerikaner gingen, fasste das unsere Zeitung so zusammen: „Sie kamen als Besatzer, sie gingen als gute Freunde.“ Ein wahrer Satz, doch der Weg dorthin war nicht ohne Kurven.

    Gerade zu Anfang blieben Konflikte mit den amerikanischen Soldaten nicht aus

    Trotz aller Ähnlichkeit gab es auch Konflikte, sagt Georg Feuerer vom Verein Amerika in Augsburg: „Es prallten zwei Lebenswelten aufeinander.“ Hier die Deutschen, gezeichnet vom selbst begonnenen Krieg, dort die Sieger und Befreier (was nicht jeder so sah), denen es an nichts zu fehlen schien. Direkt nach dem Krieg sorgten zum Beispiel von den Amerikanern beschlagnahmte Gebäude für Ärger. Erst Mitte der 50er-Jahre hatten alle Augsburger ihre eigenen vier Wände wieder. Parallel bauten die Amerikaner ihre Präsenz aus. Sie übernahmen nicht nur ehemalige Kasernen der Wehrmacht im Westen der Stadt, sondern bauten auch Wohnungen. „Little America“, das kleine Amerika, entstand. Wie groß es war, kann Heinz Strüber erzählen.

    Der Blick zurück: Ein Eingang der Sheridan-Kaserne in den 80er-Jahren. Das Areal liegt in Pfersee.
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    Heute ist der Sheridan-Park ein beliebter Freizeit-Ort. Wo heute Kinder spielen, standen bis vor gut 20 Jahren noch amerikanische Panzer. Ein Blick zurück.

    Er kümmerte sich 17 Jahre lang als Zivilangestellter um den Bauunterhalt der Gebäude der US-Armee. „Wir waren für 2000 Wohnungen und 500 Gebäude zuständig“, sagt Strüber, der in Stadtbergen lebt. Von der Soldatenwohnung bis zu den Offiziersunterkünften im Fryar-Circle in Leitershofen war alles dabei; ebenso von der Halle für Panzer bis hin zur Abhöranlage in Gablingen. Heinz Strüber war auch dort – nach vielen Kontrollen, in ständiger Begleitung und: „Wenn die Tür zu einem Raum offen war, hatten sie dort alles mit Tüchern abgedeckt.“ Das Zentrum der US-Präsenz lag aber im Westen von Augsburg, wie die nachstehende Karte zeigt.

    Dort schlug das Herz einer amerikanischen Kleinstadt mit geschätzt bis zu 30.000 Bewohnern. Exakte Zahlen gibt es nicht. Der militärische Teil war offensichtlich: Es waren Kämpfer vor Ort mit Panzern und Kanonen. Aber auch Nachrichtendienstler wie Keith Alexander, der später während der NSA-Abhöraffäre Chef des US-Geheimdienstes war. „Little America“ hatte aber noch viel mehr zu bieten – alles von der Schule bis zum PX-Supermarkt voller US-Waren. Heinz Strüber sagt: „Du bist zum Schlagbaum rein und warst in Amerika.“ Selbst die Cola war „Made in USA“.

    Liebesgeschichten zwischen Deutschen und Amerikanern waren nicht selten

    Im Jahr 1986 bekam Gisela Mayo eine Einladung ins kleine Amerika. Eine Freundin schrieb sie auf die Gästeliste des Offizierskasinos in der Sheridan-Kaserne. Dort traf sie Harry, der im gleichen Jahr seinen Job als Zivilangestellter der US-Armee in Augsburg angetreten hatte. Er betreute die Computersysteme im amerikanischen Krankenhaus in der Flak-Kaserne – ganz in der Nähe des heutigen Klinikums. Es begann eine tolle Zeit. Sie liebten das Leben im deutschen-amerikanischen Augsburg. Im Jahr 1989 heirateten sie.

    Gisela und Harry Mayo lernten sich im Offizierskasino kennen. Das Paar lebt noch immer in Augsburg.
    Gisela und Harry Mayo lernten sich im Offizierskasino kennen. Das Paar lebt noch immer in Augsburg. Foto: Marcus Bürzle

    Auch jenseits der Liebe kamen sich Deutsche und Amerikaner über die Jahrzehnte näher. Man feierte gemeinsame Volksfeste, traf sich am Tag der offenen Tür und schickte im Notfall den amerikanischen Rettungshubschrauber zum Unfall. Die Armee wurde zum Wirtschaftsfaktor. Allein in Strübers 17 Jahren flossen 750 Millionen D-Mark (380 Mio. Euro) in die US-Gebäude – und damit an Bauunternehmer.

    US-Soldaten gingen einkaufen – wenn der Dollar nicht gerade im Tal war – oder feierten rauschende Nächte in längst verschwunden Kneipen wie der „Last Chance“. Schlugen sie über die Stränge, rückten Militärpolizei (MP) und Polizei an. Die MP stand im Ruf, nicht zimperlich zu Werke zu gehen. Ärger, sagt der ehemalige

    Stecken amerikanische Soldaten hinter unaufgeklärten Frauenmorden?

    Er wurde in den 1980er-Jahren der Vizechef der damaligen Direktion Augsburg. Wöchentlich traf man sich mit den Amerikanern zu Gesprächen; in Krisenzeiten auch häufiger. Waren US-Soldaten im Krieg, stockte die Polizei die Bewachung der Wohngebiete auf. Gleichzeitig gab Böhm Beschwerden weiter, etwa über laute Ausfahrten der US-Panzer aus den Kasernen. Er erinnert sich gerne an die „gute Zusammenarbeit“, weiß aber, dass noch heute im Zusammenhang mit einer ungeklärten Serie an Frauenmorden über mögliche amerikanische Täter spekuliert wird. Auch zu seiner Zeit, sagt er, wurde intensiv ermittelt. „Aber wir können nicht sagen, dass es Amerikaner waren.“ Das Rätsel hat die amerikanischen Jahrzehnte überdauert.

    In den 90er-Jahren bahnte sich der Abzug an. Heinz Strüber erhielt 1992 einen Karton mit Kündigungen – auch seine eigene. Er ging zur Stadt. Harry Mayo, der heute in Augsburg lebt, ist überzeugt, dass ein Teil von „Little America“ erhalten hätte werden können. Ein US-Verantwortlicher habe aber „Alles oder Nichts“ gespielt. Es blieb Nichts. Der Zapfenstreich am 19. Juni 1998 markierte den offiziellen Schlusspunkt – und den Start eines gigantischen Stadtumbaus. Die beiden folgenden Vergleichsbilder zeigen, wie sehr sich die Areale verändert haben. Von oben sind sie kaum wieder zu erkennen.

    Augsburg trieb die Konversion der riesigen Militärflächen im Westen voran. Reese und Sheridan stehen heute nicht mehr für

    Der Abschiedsschmerz beim Abzug der Amerikaner war bei manchen groß

    Für Menschen wie Heinz Strüber oder die Mayos war es eine bittere Zeit. „Ich konnte manchmal gar nicht hinsehen“, sagt Strüber. Der Großteil der einst von ihm betreuten Gebäude ist verschwunden. Seit 2005 versucht der Verein „Amerika in Augsburg“ zu retten, was zu retten ist – von Dokumenten über Fotos bis hin zu alten Schreibmaschinen. Vieles davon lagert Vereinsmitglied Max Lohrmann bei sich zuhause. Im Videointerview erklärt er, warum es so wichtig ist, die Erinnerung an diese Zeit zu bewahren.

    Der Verein pflegt auch Kontakte mit Ex-Soldaten. Die Idee, im noch stehenden Gebäude 116 an die Zeit der Amerikaner und die Nutzung des Hauses als Zwangsarbeiterunterkunft unter den Nationalsozialisten zu erinnern, ist immer noch im Diskussionsstadium. So muss man selbst nach amerikanischen Spuren suchen, wenn man etwa den Sheridan-Park genießt.

    Ein Mann, 80 Jahre alt, führt seinen Hund dort Gassi. Er hat die Amerikaner und den Umbau erlebt. Aber er sagt: „90 Prozent der Menschen sind doch keine Augsburger. Die wissen das nicht mehr.“

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