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Wohnungsnot: Ein Augsburger Stararchitekt, der Sozialwohnungen baut

Wohnungsnot

Ein Augsburger Stararchitekt, der Sozialwohnungen baut

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    Titus Bernhard sagt: „Ich hab immer stärker gespürt, da muss es doch noch was anderes geben als Geldverdienen und Bekanntwerden.“
    Titus Bernhard sagt: „Ich hab immer stärker gespürt, da muss es doch noch was anderes geben als Geldverdienen und Bekanntwerden.“ Foto: Marcus Merk

    „Think before you act“, denk nach, bevor du handelst. So steht es an der Bürotür im Augsburger Textilviertel. Die Mahnung wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn Titus Bernhard, der Augsburger Architekt, der hier arbeitet, reflektiert gern über sein Metier. Ebenso gern spricht er darüber. Neuestes Ergebnis seines Nachdenkens: Er hat keine Lust mehr, Villen für reiche Leute zu entwerfen, so wie er es jahrelang getan hat. Er will von nun an sozial bauen, nämlich Wohnungen für Normal- und Geringverdiener.

    Der Vorsatz, mit dem er zurzeit viel Aufmerksamkeit erzielt, passt ja auch in die politische Landschaft. In München haben am Wochenende rund 10.000 Menschen demonstriert. Es geht um die Probleme, die man in

    Titus Bernhard will erst noch sein schickes neues Büro zeigen

    Sozialer Wohnungsbau also. Bevor Titus Bernhard darüber spricht, will der Architekt erst noch sein schickes neues Büro herzeigen, das hinter der mahnenden Inschrift weiße Bauhauseleganz entfaltet, gemischt mit Spuren der Industriekultur. 800 Quadratmeter Lagerhalle in der ehemaligen Textilfabrik, 20 Arbeitsplätze, junge Menschen an ihren Rechnern, Papier sieht man kaum noch. Titus Bernhard – schlank, groß, ein Lockenkopf, mit dem der Friseur seine Mühe haben dürfte – weist auf die Eisenstützen mit derben Walzprofilen hin, den rohen Betonboden, die preußischen Kappen fast fünf Meter über ihm an der Decke.

    Im Foyer hängen ein übergroßer Kronleuchter aus schwarzem venezianischen Glas und ein Boxsack aus schwarzem Leder. Alles sehr streng und minimalistisch, sogar die Klos sind schwarz-weiß durchgeplant. Aber dass der Kickertisch auch noch schwarz-weiße Fußballer-Figürchen hat, das ist jetzt doch übertrieben. „Ach was“, grinst der Hausherr, „Hauptsache, hier wird gespielt.“ Jeden Mittag liefert er sich mit seinen jungen Kollegen ein Kickerturnier.

    So sollen die Sozialwohnungen im Reese-Areal künftig aussehen.
    So sollen die Sozialwohnungen im Reese-Areal künftig aussehen. Foto: Bernhard Architekten (Simulation)

    Aber jetzt Schluss mit dem Geplänkel. Bernhard nimmt auf einer Replik des berühmten Barcelona-Sessels Platz (weiß natürlich), 1919 von Mies van der Rohe entworfen, an der Wand großformatige Arbeiten aus seiner Kunstsammlung, auf dem Tisch Hochglanzmagazine für Luxusimmobilien. Die schicke Umgebung spricht ja nicht gerade für eine Kehrtwende – weg von den Villen, hin zur Sozialwohnung, oder? „Doch. Noch diesen Herbst ist Baubeginn für 141 öffentlich geförderte Wohnungen am Augsburger Reese-Park.“ Im Nordwesten der Stadt entstehen Wohnungen für Familien mit begrenztem Einkommen, zwischen zwei und fünf Zimmern groß, um die sechs Euro Miete pro Quadratmeter.

    Also: Keine üppigen Seegrundstücke mehr, keine 300-Quadratmeter-Villen mit Marmorbädern und glamourös ineinanderfließenden Raumkompositionen, Kaufpreis drei Millionen Euro aufwärts. Fast zwei Jahrzehnte hat der Augsburger Architekt solche Häuser der Luxusklasse gebaut, etwa 50 an der Zahl, eines schöner als das andere, in Grünwald und am Starnberger See, in München und auch mal im Speckgürtel von

    Er hatte genug von den anstrengenden, reichen Bauherren

    Damit hätte Bernhard doch leicht weitermachen können, schließlich gilt der Bau von Einfamilienhäusern für betuchte Kunden als Königsdisziplin der Architektur. Geld kann man damit auch verdienen, bei Millionen-Projekten bringt das Architektenhonorar schon was ein. Warum also jetzt die Kurskorrektur? Er lehnt sich in seinem schicken Barcelona-Sessel zurück, und er gibt jetzt ein Bekenntnis ab: „Ich hab immer stärker gespürt, da muss es doch noch was anderes geben als Geldverdienen und Bekanntwerden.“

    So viele Wohnungen fehlen in Deutschland

    Wohnungsnot in Deutschland: In deutschen Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Das geht aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Am größten ist die Wohnungsnot in Berlin, Hamburg, Köln und München.

    Wohnungsbedarf in Deutschland: Immobilienverbände halten bis zu 400.000 neue Wohnungen pro Jahr für erforderlich. Schätzungen der IG Bau zufolge dürften in diesem Jahr nicht einmal 300.000 Wohnungen dazukommen.

    Sozialwohnungen in Deutschland: Nach Zahlen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es derzeit 1,15 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Damit ist die Zahl seit 1990 um 63 Prozent gesunken.

    Situation in Augsburg: Auch in der Stadt mit ihren knapp 300.000 Einwohnern wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. Derzeit gibt es etwa 5800 geförderte Wohnungen – halb so viele wie im Jahr 2003. Wie viele Sozialwohnungen in Augsburg nötig sind, wird derzeit diskutiert. Die SPD will durchsetzen, dass in jedem Neubaugebiet 30 Prozent der Wohnungen gefördert werden. Die WBG baut in den kommenden Jahren 500 Sozialwohnungen, dazu kommen Projekte anderer Träger.

    Sinnkrise also. Na ja, er ist im richtigen Alter dafür, jetzt 55, als es losging mit den Selbstzweifeln, war er Ende 40. Bernhard nickt und sieht jetzt plötzlich gar nicht mehr so selbstbewusst, sondern sehr nachdenklich aus. Da ist diese Prägung durch seinen Vater, einen Herzchirurgen, der hat in Kiel ein Herzzentrum für Kinder aufgebaut und junge Ärzte in Entwicklungsländern gefördert. „Das Soziale, das ist ein Vater-Sohn-Thema bei mir.“

    Und dann waren da diese reichen Bauherren, „sehr kapriziös, sehr anstrengend“, da wurde er als Architekt auch mal wie ein Lakai behandelt, und dann fragte er sich, „warum bediene ich eigentlich diese Leute, die nur 0,1 Prozent der Gesellschaft ausmachen, aber 80 Prozent des Reichtums besitzen?“ Schon lang hat ihn diese Frage gequält, angesichts einer sozialen Situation, in der die Besitz-Schere immer weiter auseinanderklafft. Man kann also sagen, dass der erfolgreiche Architekt Titus Bernhard von einem Überdruss an der Luxusklientel, aber noch viel mehr von seinem Gewissen geplagt wurde und sich deshalb entschieden hat, etwas ganz anderes zu machen.

    Geht es ihm jetzt besser? Ja, unbedingt, sagt er, zumal sich auch mit gefördertem Wohnungsbau Geld verdienen lässt. Und zwar ziemlich ordentlich. 68 Millionen Euro wird die Augsburger Wohnanlage kosten, das ist ein wertvolles Bauvolumen selbst für ein renommiertes Architekturbüro. „Unser Büro ist jetzt breiter aufgestellt, statt der Villen-Monokultur haben wir jetzt Vielfalt im Portfolio.“ Und bezahlbare Wohnungen zu bauen, sei einfach das Gebot der Stunde. Stimmt. Schließlich müssten bundesweit jedes Jahr zwischen 350.000 und 400.000 neue Wohnungen entstehen, um den Bedarf hier zu decken – 80.000 davon Sozialwohnungen. Die fehlen auch in Augsburg. Wie viele, lässt sich aber derzeit schwer sagen.

    Auch eine Mittelschichtfamilie mit 82.000 Euro Einkommen bekommt eine Förderung

    Da wurde in den vergangenen Jahren sträflich viel vernachlässigt: 2006 zog sich der Bund aus der Förderung des Sozialwohnungsbaus zurück, die Länder und Kommunen bauten danach kaum noch in dieser Sparte oder privatisierten, sprich verkauften sogar ihre Wohnungsbestände. Wie findet er denn, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Wohnungsbaugesellschaft GBW an private Investoren um das Augsburger Immobilienunternehmen Patrizia verkauft hat? Was hat er dazu zu sagen, dass Innen- und Bauminister Horst Seehofer nur über Flüchtlingskrise, kaum aber über Wohnungsnot spricht? Ja, das ist schlecht, sogar tragisch… Jetzt windet sich der sonst so eloquente Architekt ein bisschen – klar, gegen Entscheidungsträger redet man nicht gern, sie sind ja auch potenzielle Auftraggeber.

    Lieber spricht Bernhard über den jungen Chef der Augsburger Wohnungsbaugesellschaft, Mark Dominik Hoppe, der ambitioniert neue Wege beschreitet und sich zum Beispiel in Wien angeschaut hat, wie die das dort machen. Die Donau-Metropole betreibt seit 100 Jahren kommunalen Wohnungsbau im großen Stil und hat es nun geschafft, in Rekordzeit über 3000 Wohnungen im Gebiet Aspern zu errichten. Ein Vorbild für deutsche Städte, findet auch Bernhard. Demnächst will er selber nach

    Nicht schon wieder so eine Abfolge von Schuhschachteln!

    Aber wie müssen heute gute Wohngebiete für Normalverdiener aussehen? Hoffentlich nicht so wie die vielen langweiligen Riegelbauten entlang der Straßen, die von Zynikern nicht unzutreffend als „menschlicher Schallschutz“ bezeichnet werden – die billigen Sozialwohnungen kriegen den Straßenlärm ab, dahinter liegen die teuren, frei finanzierten Wohnungen. Und hoffentlich nicht so wie die neue Bebauung der Bahnflächen in München, eine Abfolge nüchterner Kisten, eine Schuhschachtelparade! „Na ja, wir bauen schon auch Kisten“, lächelt Bernhard. Das findet er auch nicht schlecht. Geometrisch zu bauen, nicht in organischen, freien Formen, ist eben billiger. Worauf es ankommt: „kluge Planung“. Seine künftige Augsburger Wohnanlage ist vom „Durchwohnen“ geprägt: Nord-Süd-Orientierung der Wohnungen, Licht von beiden Seiten, flexible Raumnutzung. Seine „Kisten“ sind locker platziert, fast alle zum Park hin orientiert („eben nicht der große abweisende Block“), dazu gibt es private Balkone und die gemeinsam nutzbare Dachterrasse. Städtebauliche Verdichtung, wie sie heute gefordert wird, ja. Aber es soll auch erträglich sein.

    Damit hat Titus Bernhard freilich den Wohnungsbau nicht neu erfunden, und das weiß er auch. Da gibt es Kollegen wie das österreichische Büro „Alles wird gut“ (Ja, die heißen wirklich so!), die auch am Augsburger Reese-Park bauen werden, oder „Palais Mai“ aus München. Da gibt es engagierte Wohnbaugesellschaften wie die Kemptener Sozialbau oder die Neu-Ulmer NUWOG, und da gibt es die großen Alten wie den experimentierfreudigen Jacques Blumer, dessen Ideen immer noch gültig sind.

    Was kann er da noch neu machen? Darum geht’s nicht, meint Bernhard, sondern darum, das, was andere schon gedacht haben, klug umzusetzen. „Think before you act“ eben. Und dass er zurzeit so viel Aufmerksamkeit bekommt für seine Hinwendung zum sozialen Wohnungsbau, das hilft der ganzen Sache. „Wir Architekten können doch einen Beitrag leisten, damit die Welt besser wird.“ Drunter macht er’s nicht, der Titus Bernhard aus Augsburg.

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