Das Mehrfamilienhaus im Zentrum von Pfersee fügt sich gut in die Gebäude der Nachbarschaft ein: ein gepflegter, sanierter Altbau mit einigen Balkonen und einem kleinen Garten. Birgit teilt sich in dem sanierten Altbau mit zwei anderen Frauen eine Drei-Zimmer-Wohnung inklusive Bad und Küche. Die Wohngemeinschaft ist eine besondere: Birgit und ihre Mitbewohnerinnen waren bis vor Kurzem obdachlos – so wie weitere 21 Frauen und Männer in dem Haus.
Der Traum der neuen Wohnung platzte
Sie alle standen aus unterschiedlichen Gründen auf der Straße und meldeten sich beim Fachbereich Wohnen und Unterbringung des städtischen Sozialreferats. Birgit, eine gelernte Krankenschwester, lebte viele Jahre in Haunstetten. Sie kündigte ihre Wohnung, weil sie aufs Land ziehen wollte. Doch der Traum platzte jäh, weil der neue Vermieter plötzlich nicht mehr mitzog, die Kündigung aber nicht mehr rückgängig zu machen war. „Das war ein Riesenschock für mich.“
Für Birgit konnten die Mitarbeiter zunächst nichts anderes tun, als ihr einen Platz in der städtischen Unterkunft in der Johannes-Rösle-Straße anzubieten, wo die meisten der Bewohner neben der Obdachlosigkeit noch viele andere soziale Probleme mit sich herumtragen. Für die gepflegte Frau war diese Zeit die „Hölle“. Dass sie die schwierigen Verhältnisse relativ schnell hinter sich lassen konnte, hat sie einem glücklichen Umstand zu verdanken. Ein Immobilienbesitzer, der der Stadt bereits eine Flüchtlingsunterkunft vermietet hat, bot ein weiteres saniertes Gebäude für Flüchtlinge an. „Als wir ihm sagten, dass wir aktuell keine weiteren dezentralen Unterkünfte mehr benötigen, aber dringend Wohnungen für Obdachlose, war der Vermieter auch dazu bereit“, sagt Stefan Hennig vom Fachbereich Wohnen.
400 bis 1000 Menschen haben keine gesicherte Wohnung
Auch wenn nur wenige Menschen tatsächlich auf der Straße leben, zählt die Wohnungsnot zu den drängendsten Problemen in Augsburg. Laut Bürgermeister Stefan Kiefer (SPD) gibt es rund 400 bis 1000 Menschen in der Stadt, die keine gesicherte Wohnung haben und etwa bei Bekannten Unterschlupf finden.
Aktuell betreut sein Fachbereich rund 200 Personen in Notwohnungen und im städtischen Obdachlosenheim. Dessen Leiterin Julia Hüther wählte aus diesem Kreis 24 Frauen und Männer für die neue Unterkunft in Pfersee aus. Voraussetzung: „Die Leute müssen mietfähig und für Wohngemeinschaften geeignet sein.“ Denn auch wenn es in dem Haus – bis auf eine Monteurswohnung – keine anderen Mieter gebe, müsse man die Bedürfnisse der Nachbarn im Blick haben.
Die Bedürfnisse der Nachbarn im Blick
Im Fall von Birgit scheint die Gemeinschaft zu funktionieren. „Wir sind alle sehr ordnungsliebend und kochen auch mal zusammen“, sagt sie und zeigt stolz ihr neues eigenes Reich. Mieterin ist übrigens sie selbst und nicht die Stadt. Der Eigentümer hat 24 Einzelverträge geschlossen. Wie hoch die Miete ist, verraten die Verantwortlichen nicht. Sie bewege sich aber im Rahmen dessen, was das Jobcenter zu zahlen bereit ist. Denn das nötige Geld brächten nur die wenigsten Bewohner selbst auf.
Auch wenn Birgit und die anderen Bewohner nun nicht mehr in die Zuständigkeit des Fachbereichs Wohnen fallen, haben sie Ansprechpartner. Die Diakonie stellt demnächst den neuen Mietern für 20 Wochenstunden eine Sozialpädagogin beziehungsweise einen -pädagogen zur Seite. „Der Kollege wird täglich vor Ort sein und bei bürokratischen Dingen, aber auch bei Konflikten, helfen“, sagt Harald Eckart. Der Mitarbeiter des Diakonischen Werkes weiß, worauf es bei diesem Job ankommt. Er leitet unter anderem das Bodelschwingh-Haus, in dem haftentlassene Männer in das normale Leben zurückkehren.
Ein Sprungbrett zu normalen Wohnverhältnissen
Julia Hüther und Stefan Hennig sind zuversichtlich, dass auch das Mietshaus in Pfersee für manchen Bewohner ein Sprungbrett hin zu normalen Wohnverhältnissen wird. Und sie hoffen, dass andere Vermieter es dem Hausbesitzer, der ungenannt bleiben will, gleichtun: „Weitere Angebote für Familien und für anerkannte Flüchtlinge wären ideal“.
Rund 1000 von diesen dürften in eine eigene Wohnung ziehen. Geglückt ist das nur einem Bruchteil. Leider sei es für manche Vermieter ein K.o.-Kriterium, wenn das Jobcenter im Spiel ist. Dabei sei in diesem Fall eine pünktliche Bezahlung gewährleistet, betonen die Mitarbeiter des Fachbereichs Wohnen. Auch Birgit wünscht sich, dass das Pilotprojekt in Pfersee Nachahmer findet. „Ich fühle mich sehr wohl hier.“ Ganz aufgegeben hat sie den Traum von einem Leben auf dem Land aber noch nicht.
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