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Justiz: Wie Schrottkisten durch den TÜV gebracht wurden

Justiz

Wie Schrottkisten durch den TÜV gebracht wurden

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    Das Auto ist alt, Bremsen und Stoßdämpfer defekt, die Karosserie durchgerostet, der „TÜV“ abgelaufen. Und jetzt wohin mit der alten Klapperkiste? Man kann sie für ein paar Euros zum Schrotthändler bringen. Es gibt aber noch andere Wege der Weiterverwendung. In Nordafrika oder im ehemaligen Ostblock sind alte Karren durchaus gefragt. Um sie zu exportieren, braucht man aber ein Zollkennzeichen und damit auch eine gültige

    In Augsburg gab es einen Autoverkäufer, der offenbar über Jahre hinweg dafür bekannt war, Bescheinigungen und Plaketten für die Hauptuntersuchung, im Volksmund immer noch „TÜV“ genannt, auch für Schrottkisten zu besorgen. Lieferant der gewünschten Dokumente soll ein 60 Jahre alter freier Kfz-Sachverständiger gewesen sein, der, so der Vorwurf, Plakette samt positivem Prüfbericht gegen Geld herausgab, teils ohne die Fahrzeuge überhaupt gesehen zu haben. Er stand jetzt wegen Bestechlichkeit vor Amtsrichter Dominik Wagner.

    Es ist ein Prozess mit langer Vorgeschichte und vielen Verästelungen. Im Mittelpunkt stehen zwei Männer: der Angeklagte, der schweigt. Und der Autoverkäufer, der Belastungszeuge, ein gebürtiger Syrer mit deutschem Pass, der redet wie ein Buch. Die Anklage, die Staatsanwältin Stefanie Dylla vorträgt, ist relativ kurz: Es sind „nur“ drei Fälle, die dem Prüfer angelastet werden: Trotz gravierender Mängel soll er die Fahrzeuge – einen Kia, einen Fiat Punto und einen Opel Combo durchgewunken und mit Bescheinigung und „TÜV“-Plakette ausgestattet haben. Für diese illegalen Dienste soll der Autoverkäufer ihm jeweils 200 Euro bezahlt haben – das Doppelte, das üblicherweise für Haupt- und Abgasuntersuchung fällig gewesen wäre.

    Bereits 2017 war die Polizei in der Prüfhalle des Angeklagten aufgetaucht, hatte durchsucht und mehrere Männer festgenommen. Doch die Ermittlungen wurden allesamt wieder eingestellt. Dass der neuerliche Fall ins Rollen kam, ist letztlich einem Streit der beiden Hauptakteure Mitte Mai dieses Jahres zu verdanken. Der Autoverkäufer war wieder einmal mit einer Rostlaube in der Prüfhalle des Angeklagten. Und der, so schildert es nun der Autoverkäufer als Zeuge, riss eine angerostete Bremsleitung einfach heraus. Prüfer und der Zeuge gerieten sich in die Haare. Der Prüfer rief die

    Fast drei Stunden lang steht der Zeuge nun im Kreuzverhör der beiden Verteidiger des Angeklagten, Alexander Klein und Rüdiger Weidhaas. Es geht um die Glaubwürdigkeit des „Kronzeugen“, der sich in dieser Rolle sichtlich wohlfühlt. Er sagt, er sei vier Jahre lang V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes gewesen. Ob er auch beim syrischen Geheimdienst war, will Verteidiger Klein wissen. Diese Frage beantworte er nicht, sagt der Zeuge. Viele Augsburger Autohändler seien Kunde beim Angeklagten gewesen. Namen? Sage er nicht, er sei kein Verräter. Habe er Angst? Nein. Er habe nur Angst vor Gott. Vier Jahre lang, behauptet der Zeuge, sei ihm der Angeklagte zu Diensten gewesen, „so zwei- bis dreimal pro Woche“. Dieser habe die von anderen Prüfern mit erheblichen Mängeln belasteten Autos dann bei der Nachkontrolle „einfach durchgewunken“. Er habe Bescheinigung und Plakette für das Zollkennzeichen benötigt, um die Karren zum Beispiel nach Belgrad zu exportieren. Oder nach Bulgarien. Dort habe man für Schweißarbeiten 20 Euro bezahlt. „In Deutschland hätte das 1000 Euro gekostet.“

    Der Angeklagte, so behauptet der Zeuge, habe auch Bescheinigungen ausgestellt für Autos, die im Ausland, auf Mallorca oder in Italien standen. „Das waren Fahrzeuge von Deutschen, die im Ausland lebten. Und die nicht nur für den TÜV die lange Reise nach Deutschland machen wollten“, sagt der Zeuge. Die Kunden bekamen Plakette und Bescheinigung demnach per Post zugeschickt. Es habe auch Fälle gegeben, bei denen sich Käufer nach der positiven TÜV-Abnahme über die alten Mängel-Kisten beschwert hätten. „Dann habe ich die Autos wieder zurückgekauft.“ Angeblich habe es mit einem Fahrzeug, einem Fiat, einmal auf der A8 einen tödlichen Unfall gegeben. Eine Frau sei ums Leben gekommen, weil die Bremsen versagt hätten. Viel verdient, so bedauert der Autoverkäufer, habe er bei den illegalen Aktionen nicht. Manchmal sogar draufgezahlt. Den in der Anklage aufgeführten Kia habe er nach Libyen verkauft – für 50 Euro. Der Prozess geht in die Verlängerung. Diverse weitere Zeugen werden erst an zwei weiteren Sitzungstagen, am 18. und 20. November, gehört.

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