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Weltbild: Nach der Insolvenz: Wie Weltbild der Branchenkrise zum Opfer fiel

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Nach der Insolvenz: Wie Weltbild der Branchenkrise zum Opfer fiel

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    Eine Hauptursache der Weltbild-Krise liegt einige Zeit zurück. Im Jahr 1995 verschickt ein kleines Unternehmen in Seattle im US-Bundesstaat Washington sein erstes Buch. Es konnte im Internet bestellt werden. Heute ist Amazon der weltgrößte Online-Händler. Und die Augsburger Verlagsgruppe Weltbild scheint sein jüngstes Opfer geworden zu sein: "

    Das Internet kam nicht über Nacht

    Aber das Internet kam nicht über Nacht, sagt Ehling. Es hätte genügend Zeit gegeben, sich auf die Veränderungen einzustellen. Für den Experten ist die Weltbild-Insolvenz auch eine Folge hausgemachter Fehlentscheidungen. In Buchhandelskreisen wird berichtet, der Umsatz der Augsburger Verlagsgruppe sei von rund 1,6 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2011/12 binnen eines Jahres dramatisch eingebrochen. "Wenn dem so ist", sagt Ehling, "fragt man sich, warum es nicht früher Einschnitte im Management gab."

    Die Höhe der Kosten für eine Weltbild-Sanierung hat die Branche überrascht. Dem Erzbistum München und Freising zufolge wären 135 Millionen Euro nötig gewesen. "Das ist so nicht erwartet worden“, sagt Ehling. „Die Eigentümer müssen über Jahre nicht auf die Geschäftspolitik geachtet haben." Weltbild gehört der katholischen Kirche, genauer gesagt zwölf Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge.

    "Entweder man ist ein großer Handelskonzern oder man vertreibt katholische Bildungsliteratur"

    Die Gesellschafter waren offenbar tief zerstritten. Entscheidungen und Innovationen seien unterblieben, man habe die Geschäftsführung „machen lassen“, meint Ehling. "Entweder man ist ein großer Handelskonzern oder man vertreibt katholische Bildungsliteratur – dazwischen gibt es nichts." Zu lange habe Weltbild zudem auf den Katalog gesetzt – "ein Geschäftsmodell aus den 60er Jahren". Andere Katalog-Versender – wie früher Quelle – gibt es nicht mehr – oder sie müssen mit irrsinnigem Aufwand den digitalen Wandel stemmen.

    "Ein Sanierungsbedarf von mindestens 135 Millionen Euro hätte einem funktionierenden Aufsichtsrat und einer funktionierenden Geschäftsführung viel früher auffallen müssen", betont Ehling. Als jetzt in kurzer Zeit riesige Kosten für den Umbau zum Digital- und Online-Konzern anfielen, habe dies die Firma an der Steinernen Furt in Augsburg komplett überfordert.

    In Buchhandelskreisen wird heftig über Zukunft von Weltbild spekuliert

    Der Niedergang von Weltbild

    Mit Pornoliteratur fing vor knapp zweieinhalb Jahren der Niedergang des Weltbild-Verlages an.

    Dass ausgerechnet ein von der katholischen Kirche getragenes Medienunternehmen Geld mit Erotikangeboten oder Esoterikbüchern macht, sorgte für Schlagzeilen und stürzte die Augsburger Verlagsgruppe in die Krise.

    Seitdem hat sich Weltbild nicht mehr erholt. Der Insolvenzantrag ist der vorläufige traurige Höhepunkt der Entwicklung bei dem Konzern mit mehr als 6000 Beschäftigten und etwa eineinhalb Milliarden Euro Umsatz.

    Als im Oktober 2011 das Erotikangebot bei Weltbild bekannt wurde, trat zunächst der von der Kirche entsandte Aufsichtsratsvorsitzende zurück. Dann preschte der Kölner Kardinal Joachim Meisner vor und verlangte eine Trennung von Weltbild.

    Seitdem wurde breit darüber diskutiert, wie sich die Diözesen von Weltbild trennen können. Eine Stiftung war im Gespräch, eine Lösung gab es nicht. Die Beschäftigten appellierten dabei immer wieder an die soziale Verantwortung der Bischöfe.

    Doch nicht nur der Wirbel um Buchtitel wie "Zur Sünde verführt" oder "Das neue Kamasutra" setzte dem Unternehmen zu. Im Wettbewerb mit Online-Gigant Amazon hatten es die Augsburger zunehmend schwer mit ihrem eher klassischen Katalog-Versandhandel.

    Seinen stationären Buchhandel hatte Weltbild im Jahr 2007 mit der Familie Hugendubel zusammengelegt. Das damals gegründete Gemeinschaftsunternehmen betreibt seitdem die Filialen unter etlichen Markennamen wie "Hugendubel", "Weltbild plus", "Jokers" sowie die Karstadt-Buchabteilungen.

    Dass die angeschlagene Verlagsgruppe zuletzt ihre zweiköpfige Geschäftsführung extra um den Sanierungsexperten Josef Schultheis erweiterte, konnte Weltbild nicht mehr retten. Er sollte den Umbau des Hauses in Richtung digitalem Handel beschleunigen.

    Möglicherweise kam dieser Schritt zu spät: Obwohl Weltbild im Weihnachtsgeschäft sogar etwas über dem Plan lag, musste das Unternehmen im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres (30. Juni) Einbußen bei Umsatz und Ergebnis verbuchen.

    "Das auch für die nächsten drei Jahre erwartete geringere Umsatzniveau verdoppelt den Finanzierungsbedarf bis zur Sanierung", begründete das Unternehmen den Insolvenzantrag.

    Die Gewerkschaft Verdi warf der Kirche umgehend vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

    Erst im Oktober wurde bekannt, dass Weltbild in Augsburg ihren Kundendienst auslagern will - 140 Mitarbeiter sind davon betroffen. Doch weitere konkrete Zahlen und detaillierte Planungen zur Sanierung waren seit jeher von Weltbild kaum zu erfahren. Denn was Transparenz anging, operierte das Unternehmen ähnlich verschwiegen wie der große Konkurrent Amazon.

    Welche Chancen hat nun die insolvente Verlagsgruppe Weltbild? In Buchhandelskreisen wird heftig spekuliert. Im Fachmagazin Buchreport schreibt Matthias Ulmer, Verleger des Eugen Ulmer Verlags, er sehe für die Internet-Versandbuchhandlung mit Logistik und IT die größten Chancen. Hier könne er sich eine Übernahme durch einen Finanzinvestor oder einen bestehenden Versandkonzern vorstellen.

    "Für die Buchhandlungen ist mir aber ein überzeugendes Zukunftskonzept nicht bekannt", schreibt Ulmer, Chef des Verlegerausschusses beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Es könne "ein Filetieren geben" oder eine Übernahme einzelner Filialen durch andere – "aber mehr als 20 Prozent der Fläche wird kaum übrig bleiben".

    Ähnlich denkt Buchmarkt-Experte Ehling. "Ich bin skeptisch, was die Filialen betrifft." Weltbild habe es nicht geschafft, buchhändlerische Kompetenz aufzubauen. "Man hat auf den Billigmarkt gesetzt, auf Schnäppchenjäger – und mit der Ausweitung des Sortiments auf Spielzeug und andere Waren die Marke ,Weltbild‘ so verwässert, dass sie für nichts mehr steht."

    Kann Weltbild erhalten werden?

    Gibt es da eine Chance, Weltbild im Ganzen oder in Teilen zu erhalten? Mit dem Kauf des gesamten Konzerns durch einen Konkurrenten rechnen Branchenkenner nicht mehr. Karstadt beispielsweise steckt selbst in der Krise. Es gebe aber Beispiele, dass Hedgefonds oder internationale Finanzinvestoren erfolgreich Verlage kaufen, sanieren und verkaufen. Ein Beispiel sei "Springer Science and Business Media."

    Das Unternehmen Weltbild

    Zahlen und Fakten zur Augsburger Weltbild-Gruppe:

    Weltbild beschäftigte einst insgesamt rund 6800 Mitarbeiter, davon 2200 am Standort Augsburg.

    Weltbild gehörte den zwölf katholischen Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge Berlin.

    Weltbild startete 1948 als Winfried-Werk in Augsburg. Der Verlag gab katholische Zeitschriften heraus. Als zusätzlichen Service gab es einen Bücherdienst.

    In den 1980er Jahren blühte das Unternehmen auf, es kaufte Verlage und Zeitschriften dazu. 1994 eröffnete man die ersten Filialen.

    Seit 1997 gibt es den Onlinehandel. Während das Buchgeschäft floriert, kränkelte das Zeitschriftengeschäft. 2008 stieß Weltbild den kompletten Bereich ab.

    Unter dem Dach der Holding DBH waren die Buchhandlungen Hugendubel, Weltbild und Jokers gebündelt. Zum Konzern gehörten auch die Vertriebsmarken Weltbild, Jokers, Kidoh und buecher.de.

    2012 verkündete die Verlagsgruppe 1,59 Milliarden Euro Umsatz.

    In den vergangenen Jahren geriet das Unternehmen unter Druck - die Konkurrenz von Amazon und anderen machte Weltbild zu schaffen.

    Im Januar 2014 meldete Weltbild Insolvenz an.

    In den folgenden Monaten bekamen hunderte Beschäftigte die Kündigung ausgesprochen.

    Im Mai kündigte Investor Paragon an, Weltbild zu übernehmen.

    Wenig später stieg Paragon wieder aus. Anfang August übernahm dann die Beratungs- und Investmentgruppe Droege die Mehrheit an Weltbild.

    Der Online-Medienhändler bücher.de gehört ab August 2014 vollständig zur Weltbild-Gruppe.

    September 2014: Nach der Mehrheitsübernahme durch den Düsseldorfer Investor Droege gibt es eine neue Geschäftsführung: Gerd Robertz, Patrick Hofmann und Sikko Böhm.

    Nach nur sieben Wochen tritt Gerd Robertz ab und widmet sich wieder nur dem Onlinegeschäft bücher.de.

    Im November kündigt die Geschäftsführung von Weltbild an, in der Verwaltung rund 200 Arbeitsplätze zu streichen.

    2015: Weltbild verkauft 67 Filialen an die kleine Kette "Lesenswert".

    Juli 2015: Rund ein halbes Jahr nach der Übernahme der 67 Filialen ist der Käufer pleite.

    Juli 2015: Knapp ein Jahr nach der Übernahme des Weltbild-Konzerns durch den Düsseldorfer Investor Droege muss der Logistikbereich von Weltbild erneut Insolvenz anmelden.

    Dass Teile des Weltbild-Konzerns für Käufer interessant sein könnten, davon geht auch Ehling aus. "Dazu gehört das Internetgeschäft mit der Plattform buecher.de und die Beteiligung an der Tolino-Allianz." Der E-Reader Tolino gilt als konkurrenzfähiges Produkt zu Amazons Kindle. Auch das Weltbild-Logistikzentrum könnte einen Käufer finden. "Dann müssen von dort aber nicht unbedingt Bücher vertrieben werden."

    Für das Kataloggeschäft sieht Ehling nur eine Chance: Es gebe eine Nische an Versendern, die mit hochwertigen Produkten gute Gewinne machen. Ein Beispiel sei der Manufactum-Katalog, der Alltagsgegenstände mit Kultfaktor anbietet.

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