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Weltbild-Insolvenz: Es ging vor allem um den richtigen Glauben

Weltbild-Insolvenz

Es ging vor allem um den richtigen Glauben

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    Weltbild hat Insolvenz beantragt.
    Weltbild hat Insolvenz beantragt. Foto: Ulrich Wagner

    Am 7. November 2011 war es so weit: Mit einem Machtwort von Papst Benedikt XVI. hatte die sogenannte Weltbild-Affäre ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Es sei „an der Zeit, Prostitution wie auch die weite Verbreitung von Material erotischen oder pornografischen Inhalts, gerade auch über das Internet, energisch einzuschränken.“

    Das sagte der damalige Papst, als er den neuen deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl zu einer Audienz empfing. Und weiter: „Der Heilige Stuhl wird darauf achten, dass der notwendige Einsatz gegenüber diesen Missständen seitens der katholischen Kirche in Deutschland vielfach entschiedener und deutlicher erfolgt.“

    Weltbild-Gegner bekamen Auftrieb

    Vom Augsburger Weltbild-Verlag sprach Papst Benedikt nicht ausdrücklich, doch jeder wusste, was er meinte – allen voran die Weltbild-Gesellschafter: zwölf katholische deutsche Diözesen, darunter das Bistum Augsburg, der Verband der Diözesen Deutschlands sowie die katholische Soldatenseelsorge Berlin. Unter den Bischöfen bekamen die Weltbild-Gegner um den Kölner Kardinal Joachim Meisner Auftrieb.

    Der Niedergang von Weltbild

    Mit Pornoliteratur fing vor knapp zweieinhalb Jahren der Niedergang des Weltbild-Verlages an.

    Dass ausgerechnet ein von der katholischen Kirche getragenes Medienunternehmen Geld mit Erotikangeboten oder Esoterikbüchern macht, sorgte für Schlagzeilen und stürzte die Augsburger Verlagsgruppe in die Krise.

    Seitdem hat sich Weltbild nicht mehr erholt. Der Insolvenzantrag ist der vorläufige traurige Höhepunkt der Entwicklung bei dem Konzern mit mehr als 6000 Beschäftigten und etwa eineinhalb Milliarden Euro Umsatz.

    Als im Oktober 2011 das Erotikangebot bei Weltbild bekannt wurde, trat zunächst der von der Kirche entsandte Aufsichtsratsvorsitzende zurück. Dann preschte der Kölner Kardinal Joachim Meisner vor und verlangte eine Trennung von Weltbild.

    Seitdem wurde breit darüber diskutiert, wie sich die Diözesen von Weltbild trennen können. Eine Stiftung war im Gespräch, eine Lösung gab es nicht. Die Beschäftigten appellierten dabei immer wieder an die soziale Verantwortung der Bischöfe.

    Doch nicht nur der Wirbel um Buchtitel wie "Zur Sünde verführt" oder "Das neue Kamasutra" setzte dem Unternehmen zu. Im Wettbewerb mit Online-Gigant Amazon hatten es die Augsburger zunehmend schwer mit ihrem eher klassischen Katalog-Versandhandel.

    Seinen stationären Buchhandel hatte Weltbild im Jahr 2007 mit der Familie Hugendubel zusammengelegt. Das damals gegründete Gemeinschaftsunternehmen betreibt seitdem die Filialen unter etlichen Markennamen wie "Hugendubel", "Weltbild plus", "Jokers" sowie die Karstadt-Buchabteilungen.

    Dass die angeschlagene Verlagsgruppe zuletzt ihre zweiköpfige Geschäftsführung extra um den Sanierungsexperten Josef Schultheis erweiterte, konnte Weltbild nicht mehr retten. Er sollte den Umbau des Hauses in Richtung digitalem Handel beschleunigen.

    Möglicherweise kam dieser Schritt zu spät: Obwohl Weltbild im Weihnachtsgeschäft sogar etwas über dem Plan lag, musste das Unternehmen im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres (30. Juni) Einbußen bei Umsatz und Ergebnis verbuchen.

    "Das auch für die nächsten drei Jahre erwartete geringere Umsatzniveau verdoppelt den Finanzierungsbedarf bis zur Sanierung", begründete das Unternehmen den Insolvenzantrag.

    Die Gewerkschaft Verdi warf der Kirche umgehend vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

    Erst im Oktober wurde bekannt, dass Weltbild in Augsburg ihren Kundendienst auslagern will - 140 Mitarbeiter sind davon betroffen. Doch weitere konkrete Zahlen und detaillierte Planungen zur Sanierung waren seit jeher von Weltbild kaum zu erfahren. Denn was Transparenz anging, operierte das Unternehmen ähnlich verschwiegen wie der große Konkurrent Amazon.

    Der als konservativer Pol der Deutschen Bischofskonferenz bekannte Meisner machte aus seiner – Jahre zuvor gefassten – Meinung keinen Hehl: „Es geht nicht, dass wir in der Woche damit Geld verdienen, wogegen wir sonntags predigen. Das ist einfach skandalös“, sagte er, und forderte eine „radikale“ Trennung von Weltbild. Dafür gebe es „gar keine Alternative“.

    Kurz bevor Meisners Aussagen aus einem Interview mit der Welt am Sonntag öffentlich wurden, hatte der Finanzdirektor der Diözese Augsburg, Klaus Donaubauer, sein Mandat als Vorsitzender des Weltbild-Aufsichtsrats mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Er sprach von einer „wachsenden systemischen Problematik“, die mit der marktführenden Teilnahme eines Unternehmens der Kirche am allgemeinen Buch- und Medienhandel verbunden sei. Weltbild war der Kirche über den Kopf gewachsen.

    Aus Sicht der Bischöfe ging es um Glaubwürdigkeit der Kirche

    Der Kampf um das Unternehmen mit dem bezeichnenden Namen ist kirchenintern in den vergangenen Jahren aber immer auch ein Kampf um den „richtigen“ Glauben gewesen. Aus Sicht der Bischöfe ging es um die Glaubwürdigkeit der Kirche. Ob und wie sich diese als Unternehmer betätigen sollte, ist eine durchaus berechtigte Frage – doch sie stellte sich im Falle des Weltbild-Verlags im Grunde schon lange nicht mehr. Für die Bischöfe, die wie Meisner über Weltbild dachten und denken, schien die Trennung von dem Unternehmen allenfalls eine Frage der Zeit und der Art und Weise zu sein.

    Bischöfe, die anders als Meisner dachten, argumentierten stets mit der besonderen Fürsorgepflicht der Kirche gegenüber den Mitarbeitern von Weltbild. Mit dessen Insolvenz müssen sich die deutschen Bischöfe nun den Vorwurf gefallen lassen, die Mitarbeiter im Stich gelassen zu haben – aus ideologischen Gründen. Vor allem müssen sie sich vorwerfen lassen, mit ihren auf dem Rücken von Weltbild ausgetragenen Machtkämpfen den Niedergang des Unternehmens mitverschuldet zu haben.

    Titel der Reihen „Anwaltshure“ oder „Vögelbar“

    Begonnen hatte der entscheidende Kampf um Weltbild im Oktober 2011, als das Fachmagazin buchreport berichtete, dass rund „2500 Artikel, mehrheitlich Bücher“ erotischen Inhalts im Online-Katalog von Weltbild zu finden seien, darunter Titel der Reihen „Anwaltshure“ oder „Vögelbar“. Das katholische Pur Magazin titelte daraufhin: „Kirche in der Weltbild-Falle. Bischöfe als Porno-Produzenten?“ Bernhard Müller, der Chefredakteur der Zeitschrift, schrieb auf der Internetseite der Welt: „Katholische Kirche macht mit Pornos ein Vermögen“. Und er führte aus: „Zahlreiche engagierte Katholiken, die schon seit mehr als zehn Jahren ihre Oberhirten so unermüdlich wie erfolglos auf den Skandal ,Weltbild‘ aufmerksam machen, sind ob solcher Scheinheiligkeit entsetzt.“ Es sollte der Auftakt für eine regelrechte Anti-Weltbild-Kampagne konservativer Kirchenkreise sein.

    Im Rückblick lässt sich sagen: Sie und das bei Weltbild zutage getretene unternehmerische Unvermögen der Bischöfe hat mit zum Ende des Unternehmens beigetragen. Am Freitag erklärte der Weltbild-Aufsichtsratsvorsitzende Peter Beer, Generalvikar der Erzdiözese München und Freising: Die Gesellschafter könnten den zu einer Sanierung nötigen hohen finanziellen Aufwand nicht verantworten. Beer zufolge würde dieser hunderte Millionen Euro betragen.

    Das Unternehmen Weltbild

    Zahlen und Fakten zur Augsburger Weltbild-Gruppe:

    Weltbild beschäftigte einst insgesamt rund 6800 Mitarbeiter, davon 2200 am Standort Augsburg.

    Weltbild gehörte den zwölf katholischen Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge Berlin.

    Weltbild startete 1948 als Winfried-Werk in Augsburg. Der Verlag gab katholische Zeitschriften heraus. Als zusätzlichen Service gab es einen Bücherdienst.

    In den 1980er Jahren blühte das Unternehmen auf, es kaufte Verlage und Zeitschriften dazu. 1994 eröffnete man die ersten Filialen.

    Seit 1997 gibt es den Onlinehandel. Während das Buchgeschäft floriert, kränkelte das Zeitschriftengeschäft. 2008 stieß Weltbild den kompletten Bereich ab.

    Unter dem Dach der Holding DBH waren die Buchhandlungen Hugendubel, Weltbild und Jokers gebündelt. Zum Konzern gehörten auch die Vertriebsmarken Weltbild, Jokers, Kidoh und buecher.de.

    2012 verkündete die Verlagsgruppe 1,59 Milliarden Euro Umsatz.

    In den vergangenen Jahren geriet das Unternehmen unter Druck - die Konkurrenz von Amazon und anderen machte Weltbild zu schaffen.

    Im Januar 2014 meldete Weltbild Insolvenz an.

    In den folgenden Monaten bekamen hunderte Beschäftigte die Kündigung ausgesprochen.

    Im Mai kündigte Investor Paragon an, Weltbild zu übernehmen.

    Wenig später stieg Paragon wieder aus. Anfang August übernahm dann die Beratungs- und Investmentgruppe Droege die Mehrheit an Weltbild.

    Der Online-Medienhändler bücher.de gehört ab August 2014 vollständig zur Weltbild-Gruppe.

    September 2014: Nach der Mehrheitsübernahme durch den Düsseldorfer Investor Droege gibt es eine neue Geschäftsführung: Gerd Robertz, Patrick Hofmann und Sikko Böhm.

    Nach nur sieben Wochen tritt Gerd Robertz ab und widmet sich wieder nur dem Onlinegeschäft bücher.de.

    Im November kündigt die Geschäftsführung von Weltbild an, in der Verwaltung rund 200 Arbeitsplätze zu streichen.

    2015: Weltbild verkauft 67 Filialen an die kleine Kette "Lesenswert".

    Juli 2015: Rund ein halbes Jahr nach der Übernahme der 67 Filialen ist der Käufer pleite.

    Juli 2015: Knapp ein Jahr nach der Übernahme des Weltbild-Konzerns durch den Düsseldorfer Investor Droege muss der Logistikbereich von Weltbild erneut Insolvenz anmelden.

    Angesichts solcher Zahlen dürfte die Entscheidung der kirchlichen Eigentümer letztlich im Einvernehmen gefallen sein – bei nach wie vor bestehender Uneinigkeit über Weltbild und dessen Zukunft: Aus Sicht der Bischöfe wohl ein Ende mit Schrecken statt ein Schrecken ohne Ende. Die von den Gesellschaftern bereits zugesagten 65 Millionen Euro zur Unterstützung der Neustrukturierung hätten bei Weitem nicht ausgereicht.

    Für Münchner Kardinal Reinhard Marx eine bittere Niederlage

    Die Weltbild-Insolvenz bedeutet für den Münchner Kardinal Reinhard Marx eine bittere Niederlage. Er hatte sich für den Fortbestand von Weltbild eingesetzt, wollte oder konnte jetzt aber nicht noch mehr Geld für die Rettung einwerben. Für den Augsburger Bischof Konrad Zdarsa ist die gescheiterte Weltbild-Sanierung „eine herbe Enttäuschung“.

    Im Oktober 2013 hatte er angekündigt, seine Diözese werde die Restrukturierung mit bis zu 15 Millionen Euro unterstützen. Die Diözese Augsburg werde nun gemeinsame Hilfsansätze für die Mitarbeiter „solidarisch und auch materiell mittragen“, sagte er gestern. Es sollen Mittel, die für eine Restrukturierung eingeplant waren, zur „Abfederung sozialer Härten“ bereitgestellt werden, erklärte Beer.

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