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Wasser: Welterbe: Wie Augsburg es packen will 

Wasser

Welterbe: Wie Augsburg es packen will 

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    Ist das Thema Wasserwirtschaft nicht gewagt für eine Welterbe-Bewerbung?
    Ist das Thema Wasserwirtschaft nicht gewagt für eine Welterbe-Bewerbung? Foto: Foto: Silvio Wyszengrad

    Als könnte man hier den Atem der Stadt hören. Jede Bewegung der mächtigen Pumpanlage verursacht dieses tiefe, lang gezogene Geräusch. Ein, Aus. Ein, Aus. Ein, Aus. Wie ein riesiges schlafendes Wesen. Und irgendwie ist es das auch. 1973 hat man das Historische Wasserwerk am Hochablass stillgelegt, das Pumpwerk läuft nur noch zu Demonstrationszwecken. Dennoch ist es Herzstück eines ehrgeizigen Vorhabens: Augsburg hat sich mit seinen Denkmälern der Wasserwirtschaft für den Unesco-Titel „Welterbe“ beworben.

    Das Wasser spielt in Augsburg seit über 2000 Jahren eine bedeutende Rolle. Die Römer erbauten ihr Militärlager auf einem Stück Land vor dem Zusammenfluss von Lech und Wertach. Dass eine solche Lage die Gründung einer Siedlung begünstigt, ist an sich nichts Besonderes. Es muss mehr zusammenkommen, damit sie sich im Laufe von Jahrhunderten zu einer Metropole für Handel und Kunsthandwerk, zu einem europäischen Zentrum der Textilindustrie entwickeln kann. Im Fall Augsburgs waren es zunächst scheinbar unüberbrückbare Schwierigkeiten.

    „Die Stadt liegt auf einem Hochplateau und damit zwölf bis 15 Meter höher als Lech und Wertach“, sagt Roland Leuthe von den Stadtwerken Augsburg. Damit waren die Bewohner zwar vor Hochwasser geschützt, es gab aber weder Quellen noch Grundwasser.

    Die Römer verzichteten dennoch nicht auf Luxus. „Die Hauptstadt der Provinz Rätien mit ihren 10000 bis 15000 Einwohnern verfügte zu ihrer Blütezeit über drei Thermen“, weiß der Stadthistoriker Franz Häußler. Auch die Kanäle zur Beseitigung von Fäkalien und Müll wurden mit Wasser gespeist. Rund 100 Millionen Liter flossen pro Tag durch die römische Siedlung – die doppelte Menge des heutigen Augsburger Trinkwasserverbrauchs.

    Wie die Römer an ihr Brauchwasser kamen, ist erst seit 2006 belegt. Archäologen waren in der Innenstadt öfter auf holzverschalte Kanäle und Reste von Holzrohren gestoßen. Das deutete auf Fließwasser hin. Damit war gesichert, was Wissenschaftler bislang nur vermutet hatten: Das römische Augsburg deckte seinen immensen Wasserverbrauch über eine kilometerlange Fernleitung. Ein Graben lässt sich über rund 35 Kilometer südlich von Augsburg verfolgen. Beim Dorf Großkitzighofen unweit von Landsberg, so konnten die Archäologen nachweisen, zapften die Römer die Singold an, um ihr Wasser über ein natürliches Gefälle von rund hundert Metern in die Stadt zu leiten.

    Die Spur des Wassers verliert sich nach der Römerzeit. Bis zum frühen 15. Jahrhundert gibt es kaum Schriftstücke, die auf die weitere Entwicklung schließen lassen. „Was wir heute kennen“, sagt Stadtwerke-Mann Roland Leuthe, „sind drei Epochen der Wasserversorgung: die römische, die spätmittelalterliche ab 1412 und die moderne ab 1879.“

    Augsburg und das Wasser, das war nicht immer eine gute Beziehung. Die Nachteile der Nähe zu Lech und Wertach spürten viele 1999, als ein Hochwasser an Pfingsten Schäden in Höhe von 180 Millionen Mark anrichtete. Tausende Augsburger waren betroffen. Über das laute Atmen des Pumpwerks hinweg erzählt Roland Leuthe von einer anderen Hochwasserkatastrophe: „1910 wurde das Wehr am Hochablass komplett weggerissen, fast hätte es auch das Wasserkraftwerk erwischt.“ Die Stadt zog Konsequenzen: Um bei der Trinkwasserversorgung nicht nur auf eine Anlage angewiesen zu sein, wurde am Lochbach eine weitere gebaut.

    Augsburg und das Wasser, beides steht aber auch für historische technische Meisterleistungen. Im frühen 15. Jahrhundert ist Augsburg eine florierende freie Reichsstadt. Patrizier haben herrschaftliche Bürgerhäuser bauen lassen. In diesem Umfeld wird der Wunsch nach zusätzlichem Komfort laut. Die einfachen Brunnen, an denen die Bürger ihr Trinkwasser schöpfen können, sollen durch repräsentative Anlagen ergänzt werden. „Springende Wasser“ schweben dem Rat vor, Fontänen und Wasserspeier an den vornehmsten Plätzen. Doch dazu müsste das Wasser unter Druck stehen.

    So ist es – wie bereits bei den Römern – der Wunsch nach Luxus, der Ideen freisetzt. 1412 vergibt die Regierung den Auftrag zum Bau eines Pumpwerks und lässt Leitungen zu öffentlichen Brunnen legen. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts werden vier Brunnentürme gebaut. Einen versierten Brunnenmeister holen sich die Ratsherren aus Nördlingen.

    Die Technik, die das Wasser von den Flüssen aufs Hochplateau hebt, wird im Laufe der Zeit so perfektioniert, dass sie Experten von weit her lockt. Sie bilden sich in der Stadt zwischen Lech und Wertach fort, die Augsburger Brunnenmeister wiederum werden in andere Städte „ausgeliehen“, um dort ihr Wissen weiterzugeben. Augsburg spielt bei der „Wasserkunst“ zeitweise eine ähnlich bedeutende Rolle, wie sie sie vom 16. bis 18. Jahrhundert in der Silberschmiedekunst einnimmt; in dieser Disziplin sind die Meister der Stadt europaweit führend.

    Um 1500 entstehen erste Hausanschlüsse, die den täglichen Weg zwischen Brunnen und Wohnstätte überflüssig machen. „Das Bischofshaus wurde damals als Erstes angeschlossen, kurz darauf folgten die Fugger“, sagt Leuthe. Das Wasser fließt hier wie an den öffentlichen Brunnen Tag und Nacht.

    Knapp 640 Hausbesitzer können sich Mitte des 18. Jahrhunderts einen Hausanschluss leisten. Der Rest der Bevölkerung versorgt sich an 48 über die Stadt verteilten Fließwasserbrunnen. Die Stadt wächst unaufhaltsam, die mittelalterlichen Pumpanlagen können den Bedarf vier Jahrhunderte nach ihrem Bau nicht mehr decken. „Im Jahr 1875 erhielt nur noch ein Viertel der Bürger Leitungswasser“, sagt Stadthistoriker Franz Häußler. Menschen, die sich aus hygienisch unzureichend geschützten Brunnen versorgen, erkranken an Cholera, Typhus und Ruhr. Fast alle Leitungen sind Mitte des 19. Jahrhunderts durch Schmutz und Keime infiltriert.

    Aus der Not heraus suchen die Regierenden nach neuen Möglichkeiten, allen Bürgern Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen. Gefunden wird es im Lechtal. Im Siebentischwald entstehen Brunnen, 1877 beginnt die Stadt dort mit dem Bau eines Wasserkraftwerks, zwei Jahre später geht das Wunderwerk der Technik in Betrieb. Es ist der Beginn der modernen Wasserversorgung in Augsburg.

    Alle Maschinen, alle Lampen, ja alles an diesem neoklassizistischen Zweckbau stammt von Augsburger Unternehmen. „Dieses Werk war auch Werberaum für alle beteiligten Firmen“, sagt Roland Leuthe. Die Vorgabe der Stadtregierung, jedem der rund 50000 Bürger Zugang zu sauberem Wasser zu vernünftigen Preisen zu verschaffen, erfüllt das neue Werk problemlos. Und auch diesmal ist das System wegweisend: Jeweils zwei Pumpen sind miteinander gekoppelt und so getaktet, dass das Wasser fast ohne Druckunterschied gefördert werden kann. Fachleute aus aller Welt orientieren sich am Augsburger Beispiel.

    Der Erfindungsreichtum, die technische Vorreiterrolle der Stadt in allen Epochen der Trinkwasserversorgung sind Gründe, warum die Unterstützer der Unesco-Bewerbung die Chancen auf einen Erfolg so hoch ansetzen. Sie argumentieren auch mit dem beispiellosen Aufstieg Augsburgs. „Die Antriebskraft des Wassers trug massiv zur Wirtschaftskraft der Reichsstadt bei“, sagt Martin Kluger, der die Interessensbekundung für die Unesco-Bewerbung geschrieben hat. Auf 160 Seiten beschreibt er, dass Augsburg wohl zu keiner Zeit so erfolgreich Händler, Künstler und Industrielle angelockt, dass es sich wohl nie so hervorragend entwickelt hätte, wäre da nicht das Wasser gewesen.

    Doch ist es nicht gewagt, gegen Kandidaten wie die Märchenschlösser König Ludwigs II. anzutreten? Hätte man diesen Denkmälern nicht ein griffigeres Thema entgegensetzen können als die „Wasserwirtschaft“? Ja, warum hat man sich nicht für die Fuggerei entschieden, die den Schlössern mit der „ältesten Sozialsiedlung der Welt“ wenigstens einen Superlativ entgegensetzen könnte?

    Auch solche Argumente sind laut geworden, seit die Stadt ihre Bewerbung öffentlich gemacht hat. Sie werden vom Augsburger Kulturreferenten Peter Grab entkräftet: Die Unesco komme langsam davon ab, Gebäude oder Baukomplexe unter ihren Schutz zu stellen. „Thematische Bewerbungen haben einen eindeutigen Vorteil“, sagt Grab. Vor allem, wenn sie wie beim Wasser nicht nur zurückblicken, sondern auch für die Zukunft relevant sind.

    Das Historische Wasserwerk am Hochablass ist – gemeinsam mit 135 erhaltenen Kilometern Kanalnetz, den Prachtbrunnen in der Maximilianstraße und fünf Wassertürmen – ein Zeuge herausragender Augsburger Wasserkunst. Doch zusammen mit dem umliegenden Gelände ist es auch ein Ort, an dem sich die Stadt für die Zukunft rüstet. „Der Schotterkörper von Lech und Wertach birgt so viel Wasser, dass wir davon immer ausreichend haben werden“, sagt Fachmann Leuthe. Was noch wichtiger sei: „Weil der Lech auf dem Weg von den Alpen zu uns durch wenig bebautes Gebiet fließt, ist die Qualität des Wassers so hoch, dass wir hier kaum in seine Aufbereitung investieren müssen.“

    Freistaat und Stadt nehmen die „Augsburger“ Flüsse ernst. In das Projekt „Wertach vital“ wird seit Jahren viel Zeit und Geld investiert. Der Fluss soll sich wieder frei entfalten können. Auf großen Abschnitten wurde die Wertach, die sich tief in den Boden eingegraben hatte, wieder naturnah gestaltet. Die Folge: Nicht nur Pflanzen und Tiere haben sich neu am Wasserrand angesiedelt, auch die Augsburger nutzen die Wertach wieder stärker als Naherholungsgebiet. Ein ähnliches Projekt – Licca liber – soll den Lauf des Lechs im Stadtwald wieder natürlicher gestalten.

    Die Augsburger Bürger sind engagiert und streitbar, wenn es um ihr Trinkwasser geht. Die Pläne des Energiekonzerns Eon für ein neues Kraftwerk am Lech, das direkt neben der Schutzzone liegt, werden kritisch verfolgt. Auch der Unmut über ein zweites Kraftwerk der Stadtwerke, das derzeit am Hochablass entsteht, waren anfangs groß.

    Überhaupt scheint seit der Bewerbung um den Unesco-Titel die Aufmerksamkeit für die Denkmäler der Wasserwirtschaft gestiegen zu sein. Als vor kurzem ein marodes Wasserrad in der Altstadt abmontiert wurde, protestierten die Anwohner lautstark. Kleine Pikanterie am Rande: Die Demontage fand ausgerechnet an dem Tag statt, an dem die Stadtspitze wenige Kilometer entfernt ihre Unesco-Bewerbung vorstellte.

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