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Augsburg: Was die Oberhauser über den Helmut-Haller-Platz denken

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Was die Oberhauser über den Helmut-Haller-Platz denken

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    Der Maibaum auf dem Helmut-Haller-Platz zeugt von einem Fest im Frühjahr. Im Juli und August sorgte dort der „Sommer am Kiez“ für Festivalstimmung.
    Der Maibaum auf dem Helmut-Haller-Platz zeugt von einem Fest im Frühjahr. Im Juli und August sorgte dort der „Sommer am Kiez“ für Festivalstimmung. Foto: Silvio Wyszengrad

    Der Namen „Kiez“ für den Helmut-Haller-Platz und das Viertel rund um den Oberhauser Bahnhof hat etwas mit Stolz zu tun. Stolz auf den einzigen Platz in Augsburg mit echtem „Großstadtflair“, wie es der Erfinder des Namens, Gastronom Stefan „Bob“ Meitinger ausdrückt. Neben „Sommer am Kiez“ gibt es mittlerweile ein „Kiez-Café“ und auch ein „Wirtshaus am Kiez“ wirbt um Gäste. Ausgerechnet der Begriff „Kiez“ scheint es zu sein, der das angekratzte Image des Platzes im Zentrum Oberhausens wieder ins rechte Licht rücken soll.

    Bei Sonnenschein betrachtet, unterscheidet sich der Platz kaum von anderen Orten in der Innenstadt. Vormittags ist hier wenig los, nur vereinzelte Kunden des Bahnhofskiosks oder Reisende eilen über das Kopfsteinpflaster. Aufhalten möchte man sich hier trotz Sonnenscheins nicht, was vor allem an den fehlenden Sitzgelegenheiten liegt.

    Helmut-Haller-Platz in Augsburg: Süchtige sind vielen ein Dorn im Auge

    Zur Ulmer Straße hin dominiert Bob’s Kiez-Biergarten den Platz, zum Bahnhofsgebäude hin haben einige Freiwillige versucht, den Platz mit großen Pflanzenkübeln für ein „Urban-Gardening“-Projekt zu verschönern. In den Beeten findet man tatsächlich einige Salatpflänzchen und auch junger Mangold lugt aus der Erde – doch ob jemand die Pflänzchen zwischen den Zigarettenstummeln herausernten mag?

    Was den Platz von anderen Orten in der Innenstadt unterscheidet, sind die Süchtigen, die sich auf dem Gelände des ehemaligen Spielplatzes neben dem Bahnhofsgebäude aufhalten. Einige stehen in Grüppchen zusammen, andere sitzen oder liegen auf den Bänken und scheinen ganz mit sich selbst beschäftigt. Sie nehmen keinerlei Notiz von Passanten. Und auch, wenn kein einziger Gesprächspartner davon berichten kann, von den Menschen auf dem Spielplatz angesprochen oder gar belästigt worden zu sein, sind sie vielen Anwohnern und Passanten ein Dorn im Auge.

    Für Stefan Meitinger gehören die Süchtigen dazu, sind sie ein Phänomen, das man in jeder Großstadt antrifft. „Ich glaube, der Platz wird schlecht geredet, das hat viel mit Gruppendynamik zu tun“, sagt er. „Hier ist es multikulti, spannend und laut – Großstadt eben“, findet der Gastronom. Der Name Kiez hat nichts mit Rotlicht zu tun – ein Kiez ist ein Großstadtviertel, eine Nachbarschaft mit einer eigenen Identität, findet er.

    Meitinger kämpft für das Image des Platzes – sein „Sommer am Kiez“ sei ein gutes Beispiel, wie man den Helmut-Haller-Platz positiv in den Köpfen verankern könne. „Zu den Konzerten kommen Leute aus ganz Augsburg und der weiteren Umgebung und nehmen positive Erinnerungen mit nach Hause“, glaubt er. Das wirke nach. Wie der Platz gesehen wird, liege an solchen Aktionen – und ganz gewiss nicht am fehlenden Ambiente und ein paar Sitzbänken, ist sich Meitinger sicher. Auf Google kann man sich Bewertungen einzelner Orte ansehen. Beim Helmut-Haller-Platz steigen die Bewertungen immer dann, wenn etwas geboten ist, hat er beobachtet.

    Oberhauser Kommunalpolitikerin wünscht sich Neugestaltung

    Eine neue Gestaltung für den Helmut-Haller-Platz wünscht sich die Oberhauser Kommunalpolitikerin Angelika Lippert (Freie Wähler). Sie sieht die Stadt in der Pflicht, die den Platz viel zu lange vernachlässigt habe. „Man darf nicht vergessen, dass wir hier vom westlichen Einfallstor in die Stadt Augsburg sprechen“, sagt sie. Ihrer Meinung nach bräuchte der Platz eine umfassende Gestaltung. „Ich spreche von einer Planung durch Architekten, von einem Brunnen und Bepflanzung“, so Lippert. „Die Stadt muss jetzt in die Pötte kommen und entsprechende Städtebaumittel zur Verfügung stellen.“ Als Vorbild denkt die Oberhauserin an den Augsburger Fronhof. Natürlich brauche eine solche Pflanzenpracht Pflege. „Aber im Fronhof ist es ja auch möglich“, findet sie.

    Einkaufen kann man in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof gut. Es gibt einen Edeka, einen Netto, die Stadtsparkasse hat hier eine große Filiale. Das gastronomische Angebot ist vielfältig, von gutbürgerlich bis arabisch ist vieles geboten. Kurz vor Mittag brät im „Mila Döner“ ein großer Fleischspieß, Besitzer Al Alofadi wartet vor der Tür auf hungrige Kunden. „Ich lebe und arbeite gerne hier“, sagt er. „Deutsche und Ausländer wohnen hier Tür an Tür – das gefällt mir.“ Seine Kinder gehen in der unmittelbaren Nähe in die Kita, es gibt neben den Supermärkten auch arabische und türkische Läden zum Einkaufen. Seine Geschäfte laufen gut – dank eines „Nimm zwei, zahle einen“-Angebotes finden Döner und Dürüm hier guten Absatz. „Meine Kunden kommen von überall, Geschäftsleute, Reisende, Anwohner – alle mögen Döner“, freut er sich.

    Rainer Wintergerst sitzt in seinem Büro in der Bahnhofsbuchhandlung und blättert in einem dicken, weißen Ordner. Akribisch sind hier die Hausverbote aufgelistet, die er in diesem Jahr schon wegen Ladendiebstahls aussprechen musste. Die meisten seiner „Klienten“ sind die Süchtigen vom Bahnhofsvorplatz.

    Vor allem Schnaps und Süßigkeiten verschwinden immer wieder in Jacken- und Hosentaschen. Manche versuchen es immer wieder – zehn, fünfzehn Mal an einem Tag. Wenn die Süchtigen erst mal zugedröhnt seien, kennen sie keine Grenzen. „Aber ich will nicht jammern – wir haben uns arrangiert“, sagt er. Die Kunden hätten keine Probleme mit den Süchtigen, trotzdem seien sie für viele eine Hemmschwelle.

    Rainer Wintergerst führt mit seiner Familie den Zeitungs- und Buchladen im Gebäude des Oberhauser Bahnhofs. Die Inhaber sind froh, dass es jetzt in der Nähe den Süchtigentreff gibt.
    Rainer Wintergerst führt mit seiner Familie den Zeitungs- und Buchladen im Gebäude des Oberhauser Bahnhofs. Die Inhaber sind froh, dass es jetzt in der Nähe den Süchtigentreff gibt. Foto: Silvio Wyszengrad

    Schwierig wird die Situation vor allem bei Regen. „Dann stehen 150 Menschen unter dem Dach und blockieren den Eingang“, berichtet Wintergerst. Er hofft, dass die Stadt bald ein Einsehen hat und den Menschen einen Unterstand oder ein Dach spendiert. Aktionen wie „Sommer am Kiez“ begrüßt der Geschäftsmann. „Alles was gemacht wird, ist positiv.“ Auch der Süchtigentreff habe die Situation positiv beeinflusst. „Wir haben einen guten Kontakt zum BeTreff“, sagt er. Ab und zu spendiere er dem Treff Süßigkeiten mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum.

    Einsätze am Helmut-Haller-Platz offenbar rückgängig

    Über solche Spenden ist eine der Leiterinen des BeTreff, Katrin Wimmer, froh. Auch Kaffee werde gern gesehen. „Wer zu uns kommt, bekommt kostenlos Kaffee und auch etwas zu essen“, sagt sie. Knapp 100 Süchtige zieht es an den Öffnungstagen in den Treff – viele ohne Wohnung und froh, etwas zwischen die Zähne und auch menschlichen Zuspruch zu bekommen. Die Zahlen sind seit Eröffnung des Treffs vor einem Jahr gleichbleibend – die Sorge von Anwohnern, der BeTreff würde noch mehr Süchtige ins Viertel ziehen, habe sich nicht bewahrheitet, so Wimmer. Dafür hätten Polizei und Rettungsdienste dank BeTreff weniger zu tun – um rund 20 Prozent seien deren Einsätze zurückgegangen.

    „Das dürfte daran liegen, das wir schon früh helfen können, wenn es beispielsweise jemandem schlecht geht.“ Oft reiche etwas zu essen und zu trinken, um einen Zusammenbruch abzuwenden. „Wir helfen den Menschen in allen Lebenslagen“, betont Wimmer. Das seien regelmäßig auch Unterstützung beim Umgang mit den Ämtern, bei der Wohnungssuche oder wenn jemand einen Therapieplatz braucht.

    Gerda Ries kann dem BeTreff und seinen Klienten nichts Gutes abgewinnen. Seit 73 Jahren wohnt die Schwester von Helmut Haller in der Wohnung mit Blick auf den Platz und den Süchtigentreff. „Am liebsten würde ich rauslaufen und das Schild ,Helmut-Haller-Platz‘ abreißen“, ruft sie verärgert aus. „Der Platz wird dem Namen meines Bruders nicht gerecht!“ Sie erinnert sich noch an eine Zeit, als das Gelände begrünt war und Bänke um eine Sandkiste in der Mitte standen. „Dort haben wir das erste Mal zusammengesessen“, ergänzt ihr Mann Gerhard.

    Gerda Ries gefällt es nicht, dass der Platz nach ihrem Bruder Helmut Haller benannt ist.
    Gerda Ries gefällt es nicht, dass der Platz nach ihrem Bruder Helmut Haller benannt ist. Foto: Silvio Wyszengrad

    Nein, die Süchtigen würden niemandem etwas tun – aber sie vertrieben die Mieter. „Und die Wohnungen sind kaum mehr zu vermieten, wenn Interessenten sehen, was da draußen los ist“, ärgert sich Ries, der als Hausmeister künftige Mieter durch die Anlage führt.

    Wenig von den Sorgen der Nachbarn wissen die Menschen auf dem ehemaligen Spielplatz. „Ab und zu schimpft mal einer aus dem Fenster“ sagt Manuela, mit Blick auf die nahe Wohnanlage. Die 42-Jährige verkehrt seit zehn Jahren in der Szene am Oberhauser Bahnhof und ist jeden Tag im BeTreff. „Schau, das hier ist ein Schreiben vom BeTreff, dass ich regelmäßig zur Beratung komme“, sagt Manuela und holt ein leicht zerknittertes Schreiben aus ihrer Tasche. Sie will eine ambulante Therapie machen und braucht dafür die Bestätigung. „Ich wüsste gar nicht, was ich ohne die Hilfe der Mitarbeiterinnen dort tun würde“, sagt sie.

    Die Süchtige hat wie viele ihrer „Kollegen“ ihren Substitutionsarzt an der Ulmer Straße. Der hat feste Zeiten, weshalb am Vormittag auch auf dem ehemaligen Spielplatz viel los ist. „Nach dem Arzt komme ich hierher, trinke ein zwei Bier und warte, dass das Methadon wirkt“, sagt Manuela. Gegen Mittag geht sie nach Hause. „Das ist mein Ablauf – jeden Tag.“

    Gegen Nachmittag wird es ruhiger am Helmut-Haller-Platz. Wie Manuela sind viele der Süchtigen gegangen – nach Hause oder zu einem anderen Treffpunkt. Es sind Wolken aufgezogen und erste dicke Tropfen platschen auf den Kies und das Kopfsteinpflaster. Auch bei Regen unterscheidet sich der Platz kaum von anderen Orten in der Innenstadt. Abgesehen von den fehlenden Sitzgelegenheiten vielleicht.

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