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Foto: Bernd Hohlen (Symbolfoto)
Foto: Bernd Hohlen (Symbolfoto)

Viele Augsburger ärgern sich über die Tarifreform. In den Nachbarstädten sieht man das gelassener.

Verkehr
16.01.2018

AVV-Tarifreform: Städte im Umland haben besser verhandelt

Von Jörg Heinzle

In Augsburg machen viele Nahverkehrsnutzer ihrem Ärger über die Tarifreform Luft. In vier Nachbarstädten dagegen konnten die Bürgermeister massive Preissteigerungen verhindern.

Der Aufschrei der Betroffenen ist groß in diesen Tagen. Jene Nahverkehrskunden, die seit dem Jahreswechsel schlechter gestellt sind, machen ihrem Ärger über die Tarifreform des Augsburger Verkehrsverbunds (AVV) Luft. Gerade Augsburger spüren die negativen Seiten der Reform mit voller Wucht – mit Preiserhöhungen bei Einzeltickets von bis 100 Prozent. In den Nachbarstädten Gersthofen, Neusäß, Stadtbergen und Friedberg sieht man die momentane Aufregung deutlich gelassener. Diesen Städten ist es gelungen, durch Verhandlungen die gravierendsten negativen Folgen der Tarifreform für ihre Bürger zu verhindern.

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Fachleute warnten Gersthofer Bürgermeister frühzeitig

Der Widerstand ging von Gersthofen aus. Dort gibt es mit der Gersthofer Verkehrsgesellschaft GVG einen eigenen Verkehrsbetrieb. Bürgermeister Michael Wörle sagt, die Fachleute hätten ihn früh gewarnt, dass seine Bürger nach den AVV-Plänen bei Einzelfahrten innerhalb des Stadtgebiets das Doppelte zahlen sollen. Der Grund: Die Stadt Gersthofen mit ihren rund 22 000 Einwohnern gehörte im Verkehrsverbund bislang zur Zone 2. Also zu jener Zone, in der sich auch die außen liegenden Stadtteile von Augsburg befinden. Von der Zusammenlegung der Zonen 1 und 2 bei Einzelfahrten wäre damit auch Gersthofen betroffen gewesen. Statt 1,45 Euro hätten Nahverkehrskunden ab 1. Januar 2018 für eine Fahrt im Gersthofer Stadtgebiet dann 2,90 Euro hinlegen müssen.

Dem Gersthofer Rathaus-Chef war schnell klar: Die ist gegenüber den Bürgern nicht zu rechtfertigen. Als Beispiel nennt er eine Rentnerin mit bescheidenem Einkommen, die immer mal wieder mit dem Bus zum Arzt fährt. Sie könne sich „eine solche Verteuerung nicht leisten“, sagte Michael Wörle im Frühjahr vorigen Jahres. Er drohte mit einem Veto gegen die Tarifreform und gewann in den Nachbarstädten Neusäß, Stadtbergen und Friedberg Mitstreiter. Es wurde nachverhandelt, auch Landrat Martin Sailer (CSU), der dem AVV-Aufsichtsrat vorsitzt, war eingebunden. Der AVV bewahrte die Städte mit einem Kniff vor doppelten Fahrpreisen. Die Gebiete der Städte wurden jeweils komplett auf die Grenze zischen Zone 2 und 3 verlegt. Für Haltestestellen auf der Zonengrenze gilt: Sie gehören zu allen angrenzenden Zonen. Bei Tarifunterschieden ist der niedrigere Tarif zu zahlen. Davon profitieren nun rund 70 000 Bürger in der Region. Einzig im Friedberger Fall gibt es auch Stadtteile, die nicht unter diese Regel fallen und keinen Vorteil haben.

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Foto: Marcus Merk (Archiv)
Foto: Marcus Merk (Archiv)

Hat sich erfolgreich gegen die Tarifreform gewehrt: Gersthofens Bürgermeister Michael Wörle

AVV rechnet mit Einnahmeverlusten von etwa 400.000 Euro

Die Lösung ist ein Kunstgriff, der nicht gerade dazu beigetragen hat, die Struktur des Verkehrsverbunds einfacher und verständlicher zu machen. Zudem rechnet der AVV dadurch mit Einnahmeverlusten von rund 400.000 Euro pro Jahr, die mit Steuergeldern ausgeglichen werden müssen. Die Bürgermeister sind dennoch froh, die Lösung durchgesetzt zu haben. Michael Wörle sagt: „Wir haben zum Glück verhindern können, dass unsere Bürger zu stark belastet werden.“ Der Gersthofer Bürgermeister sagt, er habe sich darüber gewundert, wie geräuschlos die Reform vom Augsburger Stadtrat abgesegnet wurde – trotz der Nachteile für viele Bürger. Die Augsburger SPD-Räte, die Linkspartei und Stadträte mehrerer kleiner Gruppierungen hatten zwar gegen die Pläne gestimmt. Die Mehrheit war aber stets sicher. CSU-Rätin Claudia Haselmeier sprach sogar von einem „großen Wurf“.

Michael Wörle sagte beim Gersthofer Neujahrsempfang an diesem Wochenende, Politiker, die sich jetzt über die negativen Auswirkungen beschweren und Nachbesserungen fordern, hätten sich schon vor der Zustimmung zur Tarifreform gründlicher informieren müssen. Der Bürgermeister zweifelt auch an der generellen Zielrichtung der Reform. „Unser Interesse ist es, möglichst viele Bürger in den öffentlichen Nahverkehr zu bringen, auch Gelegenheitsfahrer.“ Um neue Nutzer für Bus und Bahn zu gewinnen, sei eine zu starke Bevorzugung von Abo-Kunden eventuell kontraproduktiv. Angesichts verstopfter Straßen sei es aber erforderlich, viele Bürger von den Vorzügen des Nahverkehrs zu überzeugen.

Auch Königsbrunn will nachverhandeln

In der Stadt Königsbrunn, die ebenfalls direkt an Augsburg grenzt, wollte man auch gerne auf den Zug aufspringen und eine Lösung wie bei den anderen Nachbarstädten aushandeln. Doch alle Verantwortlichen in der Politik und beim AVV winkten sofort ab. Königsbrunn hatte allerdings auch die schlechteren Karten beim Nachverhandeln. Denn das Stadtgebiet gehörte schon vor der Reform zur Zone 3 – und jetzt noch immer. Das heißt: Fahrten von dort nach Augsburg waren schon vor der Tarifreform im Vergleich teurer – und sie sind es jetzt immer noch. Angesichts der massiven Kritik, die sich auch in einer Flut von Leserbriefen an unsere Zeitung widerspiegelt, gibt es erste Signale aus der Politik, die Kundenbeschwerden zumindest teilweise aufzugreifen. Am Wochenende sagte Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU): „Ich sehe, dass wir noch einmal hinschauen müssen, will aber nichts versprechen.“

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)
Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) sagt, man müsse bei der Tarifreform noch einmal hinschauen.

Ganz einfach sind Änderungen im Tarifsystem ohnehin nicht: Der AVV gehört anteilig der Stadt und dem Kreis Augsburg sowie den Kreisen Aichach-Friedberg und Dillingen. Rund zwei Jahre wurde an der aktuellen Reform gearbeitet und darüber verhandelt. Was am Ende herauskam, war ein Kompromiss. Einer Reform dieser Reform müssten erneut die jeweiligen Stadt- und Kreisräte mehrheitlich zustimmen. Gegner von Nachbesserungen befürchten, dass nach der Debatte der vergangenen Woche nun erst recht jede Menge Extrawünsche angemeldet werden.

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