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Kaum Essen, dreckige WCs: Angehörige prangern Missstände in Augsburger Pflegeheim an

Kaum Essen, dreckige WCs

Angehörige prangern Missstände in Augsburger Pflegeheim an

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    Nach Beschwerden von Angehörigen will der Betreiber des Hauses am Schäfflerbach nun reagieren.
    Nach Beschwerden von Angehörigen will der Betreiber des Hauses am Schäfflerbach nun reagieren. Foto: Bernd Hohlen

    Verdreckte Toiletten, Einsparungen am Essen, überlastete Pflegekräfte – Angehörige von Bewohnern des Pflegeheims „Haus am Schäfflerbach“ haben gegen den Privatbetreiber „Korian“ schwere Vorwürfe erhoben. Von Seiten der Stadt Augsburg wurde die Heimaufsicht eingeschaltet. Zusätzlich erreichte unsere Redaktion ein anonymer Brief. In ihm wird auf Missstände in einer weiteren Einrichtung desselben Trägers in Augsburg hingewiesen.

    Sie sei emotional am Ende, schreibt eine Augsburgerin im sozialen Netzwerk Facebook. In einem Beitrag beklagt sie die Missstände in dem „Haus am Schäfflerbach“, in dem ihre demenzkranke Mutter untergebracht ist. Weil sie und ihr Bruder die Mutter täglich besuchen, hätten sie einen guten Einblick. Die Angehörige schreibt von einem „Skandal“. Am Essen für die Bewohner werde mehr als gespart. „Das ist teilweise echt ein Fraß“, meint sie auf Facebook. Obst gebe es so gut wie nie. Neulich, so schildert sie, habe es für 40 Personen acht Stück Kuchen gegeben. „Alles kein Einzelfall. Eine Pflegerin hat mir erzählt, dass es vor kurzem eine Schale Erdbeeren gab, so dass jeder Bewohner nur eine einzige Erdbeere bekommen konnte.“ Auf die hygienischen Zustände wolle sie gar nicht eingehen.

    Missstand in Augsburger Pflegeheim: Kotverschmierte Toiletten

    Das übernimmt die Tochter einer weiteren Heimbewohnerin. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk berichtet sie von kotverschmierten Toiletten. Schlimmer aber war, dass ihre Mutter nach der Rückkehr von einer Operation im Heim Blut erbrochen habe, die Pflegerin sie aber nur umgezogen hätte. Erst auf ihr Bitten hin sei der Notarzt geholt worden. „Der war fassungslos über ihren Zustand und sagte, meine Mutter hätte verbluten können.“

    Die Missstände in dem Pflegeheim, das zu der französischen Korian-Gruppe gehört, schlagen Wellen. Allein der Facebookbeitrag wurde über 2600 Mal durch Teilen weiter verbreitet, und über 1000 Mal „geliked“, also gelobt. Auch Sozialreferent Stefan Kiefer und Ordnungsreferent Dirk Wurm (beide SPD) sind dadurch auf das „Haus am Schäfflerbach“ aufmerksam geworden. Wurm informierte das Gesundheitsamt, das seinem Referat unterstellt ist. „Inzwischen war die Heimaufsicht vor Ort, um dieser Angelegenheit auf den Grund zu gehen.“ Was genau dabei heraus kam, dürfe er im Detail nicht sagen.

    „Wenn bei Kontrollen Mängel vorliegen, wird dies zu Protokoll gegeben und später kontrolliert, ob der Betreiber diese beseitigt hat“, erklärt Wurm die Vorgehensweise. Grundsätzlich würde die Heimaufsicht mindestens einmal im Jahr jede Pflegeeinrichtung kontrollieren, egal ob die Trägerschaft von Privat, der Stadt oder einem Verband erfolgt. Als Sozialreferent ist Stefan Kiefer nur für die städtische Altenhilfe zuständig. Private Seniorenheime fallen nicht darunter. Vergangene Woche habe er einen Beschwerdebrief über das Heim erhalten, berichtet Kiefer, der sich mit Wurm austauschte.

    Anonymer Brief als Hilferuf

    „Diese detaillierte Beschreibung der Essenssituation ließ mich aufhorchen“, sagt Kiefer. So etwas sei eher ungewöhnlich. Er will sich demnächst selbst ein Bild vor Ort machen. Vielleicht könnte er dann noch ein weiteres Heim mit auf die Agenda nehmen. Denn unsere Redaktion erreichte am Dienstag ein mehrseitiger anonymer Brief, der als „Hilferuf“ deklariert ist. Darin werden über mehrere Seiten hinweg handschriftlich angebliche Missstände in einer weiteren Einrichtung von Korian in Augsburg kritisiert.

    Dienstplanänderungen ohne Absprache mit Mitarbeitern, Überstunden, Mitarbeitermangel durch Krankschreibungen werden im Brief unter anderem angeprangert. „Bewohner werden miserabel versorgt, weil Personal weder Kraft noch Zeit hat.“ Manche Bewohner müssten lange im Urin sitzen, weil an Inkontinenzprodukten gespart werde. Verschimmeltes Brot sei an der Tagesordnung, Säfte müssten vom Personal extrem mit Wasser verdünnt werden, Obst gebe es maximal einmal die Woche.“ Die Liste der Vorwürfe ist lang. Doch Kollegen, Angehörige und Bewohner wüssten sich nicht mehr weiter zu helfen, schreibt der anonyme Verfasser weiter. Gesprächsversuche mit Obrigkeiten seien ignoriert worden. Von Seiten des Unternehmens, das als europäische Aktiengesellschaft seinen Sitz in Paris hat und 234 Heime in Deutschland betreibt, gibt man sich transparent.

    Infos über das Pflegeheim und Betreiber "Korian"

    Die Pflegeeinrichtung Haus am Schäfflerbach wurde Anfang 2016 von Korian übernommen. Es verfügt über 163 Pflegeplätze. Derzeit (Stand 2. Juli 2019) leben dort 154 Bewohnerinnen und Bewohner.

    Der sogenannte Pflegeschlüssel, der mit den Kostenträgern verhandelt wurde, wird nach Angaben des Unternehmens eingehalten, ebenso die Fachkraftquote. Laut Korian sind derzeit (Stand 2. Juli 2019) 99 Mitarbeiter im Bereich der Pflege und Betreuung beschäftigt.

    Korian ist eine europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Paris. Nach Unternehmensangaben sind die Anteilseigner langfristig und strategisch orientiert. Zu ihnen gehören demnach unter anderem Pensionsfonds und Banken. Der größte Teil der Aktien befindet sich im Streubesitz (56,91%).

    Korian ist europaweit vertreten. Allein in Deutschland betreibt das Unternehmen 234 Pflegeheime. (ina)

    Beschwerden über Missstände in dem zweiten Haus in Augsburg seien ihnen bislang nicht bekannt, betont Tanja Müller von der Unternehmenskommunikation. Man habe dort wie auch in den anderen beiden Einrichtungen in Augsburg genügend Pflegepersonal, das sogar über die gesetzlichen Anforderungen hinaus gehe. Was das Haus am Schäfflerbach anbelangt, wolle man bei Korian allerdings nichts beschönigen. „Wir haben mit den betroffenen Angehörigen ein vertrauensvolles Gespräch geführt“, berichtet die Sprecherin. Der Austausch sei offen und konstruktiv gelaufen.

    Nach Pflegeskandal: Heimbetreiber entschuldigt sich bei Betroffenen

    „In der Einrichtung wurden Fehler gemacht, für die sich der zuständige Geschäftsführer im Gespräch mit den Angehörigen persönlich entschuldigt hat.“ Mit ihnen sei ein enger Austausch auch für die Zukunft vereinbart worden. Tanja Müller: „Wir haben die Situation analysiert und bereits Maßnahmen ergriffen, um diese Fehler künftig auszuschließen.“ Man wolle alles daran setzen, im Haus am Schäfflerbach eine gute Pflege und Betreuung zu gewährleisten. Das Engagement der Angehörigen scheint also zu fruchten. Die beiden Frauen, die wegen der Missstände in dem Pflegeheim an die Öffentlichkeit gegangen sind, wollen wegen der erfolgreichen Gespräche inzwischen nicht mehr namentlich genannt werden. Auch öffentlich äußern wollen sie sich vorerst nicht mehr.

    Dass solche Missstände oft nur ans Licht kommen können, wenn das Pflegepersonal oder betroffene Angehörige sich trauen und sie anzeigen, betont Ruth Waldmann. Sie ist die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion und reagiert in einer Pressemitteilung auf den „Skandal um ein Pflegeheim in Augsburg“. Die SPD fordere daher mehr Schutz für Whistleblower in der Pflege. „Angehörige fürchten um die Heimplätze ihrer Verwandten, Pflegerinnen und Pfleger haben – berechtigte – Angst vor Problemen mit dem Arbeitgeber.“ Stefan Jagel von der Gewerkschaft Verdi sagt dazu. „Die Betroffenen müssen sich so einen Schritt gut überlegen.“ Geht es nach dem Gewerkschaftssekretär müsste die Finanzierung von Pflegeeinrichtungen grundlegend geändert werden, um Missstände zu vermeiden. „Personalkosten müssen 1:1 finanziert werden, damit man daraus keine Gewinne ziehen darf. Zudem brauchen wir wieder Zuschüsse durch den Freistaat Bayern, die vor etlichen Jahren abgeschafft wurden.“

    Roland Magerl, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, fordert von der Staatsregierung, ein Zeichen zu setzen, dass den bayerischen Bürgern auch im Alter die bestmögliche Versorgung zuteil wird und dass es nicht nur ums Geld geht. Laut dem gesundheits- und pflegepolitischen Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Dominik Spitzer, sei es dringend notwendig, dass in Bayern ein aktuelles und realistisches Bild vom Ist-Zustand erstellt werde und mit Fachleuten Lösungen umgesetzt würden. „Der Fall in Augsburg ist nur ein Vorgeschmack auf das, was droht, wenn wir nicht schnell handeln.“

    Lesen Sie dazu den Kommentar: Das war ein mutiger Schritt der Angehörigen

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