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Trauerfeier im Dom: Augsburg verabschiedet sich von Mathias Vieth

Trauerfeier im Dom

Augsburg verabschiedet sich von Mathias Vieth

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    Trauerfeier für Mathias Vieth im Augsburger Dom.
    Trauerfeier für Mathias Vieth im Augsburger Dom. Foto: Anne Wall

    Hunderte Kilometer sind sie gefahren, um ihrem ermordeten Kollegen die letzte Ehre zu erweisen. Einen Kranz haben die Berliner Polizeibeamten Michael Merkle und Thomas Drechsler mitgebracht. Sie legen ihn im Dom nieder, unter einem Bild, das Mathias Vieth zeigt. Vieth trägt darauf seine Uniform und lächelt. Es ist ein zurückhaltendes, glückliches Lächeln. „Es ist nicht zu fassen, dass sein Leben so brutal ausgelöscht wurde“, sagt

    Rund 1900 Menschen haben gestern Nachmittag bei einem Trauergottesdienst im Dom Abschied genommen von Mathias Vieth. Seine Ehefrau ist dabei, ebenso seine beiden Söhne, 13 und 17 Jahre alt. Sie erleben, wie hunderte Kollegen aus ganz Deutschland trauern. Viele Politiker sind gekommen, aber auch viele Augsburger, die den Polizeihauptmeister nicht kannten und trotzdem tief betroffen sind.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Franz Walter hat 40 Jahre lang bei der Polizei gearbeitet. Jetzt ist er im Ruhestand, doch in Gedanken ist er in diesen Tagen ständig bei seinen Kollegen. „Mich hat der Mord sehr getroffen“, sagt Walter. „Streifenpolizist ist ein gefährlicher Job, da ist man direkt an der Front.“ Die Augsburgerin Erika Lörintz besucht mit einer Freundin die Feier. „Ich bin sehr traurig, dass so etwas passiert ist“, sagt sie. „Vor allem für die Familie ist es schrecklich.“

    Es fällt schwer

    Für Augsburgs Polizeipräsidenten Gerhard Schlögl ist es der zweite öffentliche Auftritt nach dem Mord. Wenige Stunden nach der Tat musste er auf einer Pressekonferenz Rede und Antwort stehen. Nun, zehn Tage später, fällt es ihm immer noch schwer, über das Verbrechen zu sprechen. „Ich ringe um jedes Wort“, sagt Schlögl, an die Familie von Mathias Vieth gerichtet. „Ich weiß, dass nichts Ihnen den Schmerz nehmen kann.“ Der Polizeipräsident ist beeindruckt von der Anteilnahme, welche die Augsburger Polizei nach der Tat erlebte. Vielleicht sei das der Familie ein kleiner Trost.

    Die Kollegen aus Mathias Vieths Revier sitzen beieinander, im Chorraum des Doms. Sie sind eng zusammengerückt in den Tagen nach dem Mord. „Wir wissen jetzt, was wir aneinander haben“, sagt Bernhard Pfliefke, der Chef der Polizeiinspektion Süd. Hier arbeitete der 41-Jährige seit rund drei Jahren, zuvor war er über ein Jahrzehnt lang für die inzwischen aufgelöste Inspektion in Haunstetten Streife gefahren.

    Als „hilfsbereit, bescheiden und sympathisch“ beschreibt Innenminister Joachim Herrmann den ermordeten Beamten. Herrmann war in der vorigen Woche auch bei der Beerdigung. „Ich selbst habe Mathias Vieth leider nicht kennenlernen dürfen“, sagt er. „Aber alle, mit denen ich rede, sagen mir, dass er gerade für die jüngeren Kollegen ein wichtiger Mentor war, ein Vorbild.“ Auch Bischof Konrad Zdarsa versucht, die Familie zu trösten. Nichts könne die Menschen von der Liebe Gottes trennen, sagt er, „möge es noch so heimtückisch und brutal daherkommen.“

    Dieter Stephany bleibt vor dem Dom. Er will in aller Ruhe gedenken. „Ich kenne den Vater des Verstorbenen gut“, erzählt er. „Am Vorabend des Mordes bin ich mit ihm noch glücklich zusammen gesessen.“ Nur Stunden später kam die schlimme Nachricht. Auch Polizistin Nina Loibl kann es noch immer nicht fassen. Sie ist in der Polizeigewerkschaft engagiert, beschäftigt sich mit der wachsenden Gewalt gegen Polizisten. Doch ein Mord an einem Kollegen schien unvorstellbar. Es wird lange dauern, glaubt sie, bis die Polizei in Augsburg wieder zur Normalität zurückkehren kann.

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