Den Wandel seines Viertels bekommt Werner Petrak jedes Mal mit, wenn er zum Einkaufen geht: Seit 1975 lebt Petrak im Bismarckviertel, doch in den vergangenen Jahren hat es sich ein Stück weit verändert. „Es ist mehr Jugend zugezogen. Beim Einkaufen merkt man, dass mehr junge Paare da sind“, so Petraks Beobachtung. Er selbst findet das positiv. „Es läuft“, so das Urteil Petraks, der sich seit Jahren fürs Viertel engagiert. In den vergangenen Jahren sind neue Läden wie die „Lokalhelden“ mit ihren regionalen Lebensmitteln oder das Hipster-Lokal „Alte Liebe“ dazugekommen. Bismarckstraße und Theodor-Heuss-Platz wurden saniert, im Süden ist das Prinz-Karl-Viertel mit Grünanlage entstanden, es gibt alle zwei Jahre ein Straßenfest und Hofflohmärkte und im Sommer sitzen junge Menschen auf der Bismarckbrücke zum Sonnen.
Anwohnerin im Bismarckviertel: "Wie im Dorf, aber auch urban"
„Hier im Viertel ist es wie im Dorf. Aber eben auch urban und es gibt alles, was man braucht vor der Haustüre“, sagt eine junge Mutter, die seit einigen Jahren im Viertel wohnt. Nur die Wohnungspreise seien zuletzt gestiegen. „Wenn ich höre, dass Nachbarn die Dachterrasse nicht mehr nutzen können, weil sie zu einem Loft umgebaut werden soll – das nervt.“
Auch wenn das Bismarckviertel gefragt ist – ein richtiges Szene-Viertel ist es nicht, weil abseits der Gründerzeithäuser in der Bismarckstraße auch viele nicht so schicke Nachkriegsbauten stehen. Und während in anderen Städten ehemalige Industriebrachen mit günstigen Mieten ein junges kreatives Publikum anziehen, das das Image hebt und dafür sorgt, dass das Viertel zur teuren Mittelschicht-Oase wird, gibt es diese Gentrifizierung in Augsburg nicht – zumindest nicht in Reinform. Eine Erklärung: Das Wohnungsangebot war in der Vergangenheit auch durch den Wegzug der US-Streitkräfte ausreichend. Niemand war dazu gezwungen, in Brachen auszuweichen.
Im Textilviertel wird der Wandel besonders deutlich
Doch seit vor einigen Jahren der Zuzug einsetzte, ändern sich Dinge. Im Textilviertel wird der Strukturwandel so deutlich wie in keinem anderen Stadtteil. Der ehemalige Fabrikstandort hat durch die Neubauten gewonnen und ist zu einem der begehrten (und teureren) Wohnviertel geworden. „Es hat einen Wechsel in der Bevölkerung gegeben“, sagt Renate Rampp, Vorsitzende der Bürgeraktion Textilviertel. Türkische Arbeiterfamilien seien durch Sanierungen verdrängt worden, hat sie beobachtet. Gekommen seien neue Nachbarn, die tagsüber in der Arbeit sind und von denen man im Viertel nicht viel mitbekommt. Und das Preisniveau der Neubauten strahle auf die Bestandswohnungen aus. Allerdings habe die Umgestaltung auch ihre guten Seiten. Die Versorgung mit Geschäften sei besser geworden.
Auch Thomas Weiand, Vorsitzender des Mietervereins, beobachtet Strukturänderungen speziell im Textilviertel. „Mitunter steigen die Mieten auf ein Niveau, das sich nicht mehr jeder leisten kann.“ Insgesamt, sagt er, gebe es in Augsburg über alle Stadtteile hinweg aber „eine gute Durchmischung und keine Segregation“.
Was passiert mit der Jakobervorstadt?
Das nächste Viertel, das sich ändern könnte, ist die innenstadtnahe Jakobervorstadt. Dort gibt es viele kleine und relativ günstige Wohnungen, die junge Leute anziehen. Die Zu- und Wegzugsfrequenz ist so hoch wie in wenig anderen Stadtvierteln. Interessant: Trotz der Probleme (Wegzug des Einzelhandels aus der Jakoberstraße) ist der Wert von Grundstücken mit Mehrfamilienhausbebauung laut Bodenrichtwerten in den vergangenen zwei Jahren um etwa 25 Prozent gestiegen – so viel wie in kaum einem anderen Stadtteil. Seitens SPD und Grünen wird – nachdem die Stadt das Viertel auch auf Wunsch der Bewohner sanieren möchte – eine Erhaltungssatzung ins Spiel gebracht, die Luxussanierungen von Gebäuden unmöglich machen würde, um Bestandsmieter zu schützen. Auf der anderen Seite würden viele Häuser dort eine Sanierung durchaus vertragen.
Baureferent Gerd Merkle (CSU) verweist darauf, dass bei heutigen Sanierungen nicht mehr die „Aufhübschung“ eines ganzen Viertels das Ziel sei, sondern gezielte Verbesserungen der Bewohner-Lebensqualität, etwa durch besser nutzbare Grünflächen oder Quartierstreffpunkte. Zudem versuche man, neue Bevölkerungsgruppen anzuziehen, um einen Mix zu erreichen. In der Jakobervorstadt Nord mit 66 Prozent Single-Haushalten werde man bei Neubauten zusehen, dass sie für Familien interessant sind. „Durch die Maßnahmen soll es zu keiner Verdrängung der bisherigen Bewohner kommen“, betont Merkle.
Die Altstadtsanierung führte zu einem Austausch der Bewohnerschaft
Ein Beispiel dafür ist die Sanierung der Altstadt in den 1980er-Jahren. Das Lechviertel war über Jahrzehnte heruntergekommen und verfiel zunehmend. Mit der Sanierung, die in irgendeiner Form unumgänglich war, wurde das Viertel ein Schmuckstück. Für die früheren Bewohner – oftmals türkische Gastarbeiterfamilien, die wegen der niedrigen Mieten dort lebten – war allerdings kein Platz mehr. Sie zogen teils nach Oberhausen um.
Stadtrat Alexander Süßmair (Polit-WG) warnte zuletzt, dass in Oberhausen im Zuge der Bebauung des Zeuna-Stärker-Areals Investoren Bestandsbauten in der Nachbarschaft kaufen, sanieren und teurer vermieten könnten. „Die angestammte Bevölkerung wird verdrängt“, fürchtet Süßmair. Doch gleichzeitig ist absehbar, dass das neue Quartier in Oberhausen – nicht der Stadtteil mit dem besten Ruf – für eine Durchmischung der Bewohnerstruktur sorgen würde. Stadtrat Dieter Benkard (SPD), selbst aus Oberhausen, spricht von einer „riesigen Chance“ für den Stadtteil, sofern die verkehrliche Erschließung funktioniert.
Die bestehende Bevölkerung will oft keine neuen Nachbarn
Bei der Stadt registriert man aufmerksam, was mit Stadtteilen passiert, wenn neue Bewohner kommen. Häufig sei es so, dass die Bestandsbevölkerung gar keinen Wert auf neue Nachbarn legt, weil sie mehr Verkehr bedeuten oder den freien Blick verbauen. Baureferent Merkle spricht von „Trennlinien“, die es zumindest am Anfang gebe. Gentrifizierung sei in Augsburg nicht das Thema, auch weil die Stadt in der Vergangenheit durch Sanierungsprogramme verhindert habe, dass Stadtteile zum Niemandsland werden. Man müsse das Thema aber im Blick behalten. Speziell für Oberhausen und Kriegshaber hält Merkle wegen der Nähe zu Uniklinik und Gaswerk „Begehrlichkeiten der Immobilienwirtschaft“ für denkbar. Zuletzt prognostizierten auch Geografen der Uni Augsburg, dass es im Westen durch diese beiden Institutionen Änderungen geben werde. Andererseits ist in Oberhausen und links der Wertach der Zuzugsanteil von Ausländern am größten – für die Entwicklung zum In-Quartier ist ein hoher Bevölkerungsanteil, der sich erst einmal selbst zurechtfinden muss, nicht förderlich.
Auf den Kasernengeländen ist der Wandel so gut wie abgeschlossen - vergleichen Sie selbst
Die Sheridan-Kaserne früher und heute
Das Supply-Center/Albaretto südl. der Bgm.-Ackermann-Straße früher und heute
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