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Augsburg: Strenge Corona-Besuchsregeln in Heimen machen Senioren zu schaffen

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Strenge Corona-Besuchsregeln in Heimen machen Senioren zu schaffen

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    Die Besuchsregeln in Altenheimen sind Themen bei Heimleitungen und Angehörigen von Bewohnern.
    Die Besuchsregeln in Altenheimen sind Themen bei Heimleitungen und Angehörigen von Bewohnern. Foto: Matthias Becker

    Wegen eines Corona-Verdachtsfalls im Seniorenheim "Haus am Schäfflerbach" dürfen Berrin Berker und ihr Bruder Murat derzeit ihre demenzkranke Mutter nicht sehen. Wieder einmal. Schließlich war schon während des Lockdowns Anfang des Jahres der Kontakt viele Wochen lang gar nicht mehr möglich. Jetzt hat die Heimleitung aus Sicherheitsgründen Angehörigen und Freunden von Heimbewohnern für die nächsten Tage den Besuch untersagt. Für die beiden Geschwister ist das eine Fortsetzung von Unerträglichkeiten. Sie kritisieren, dass die Infektionsschutzmaßnahmen auf Kosten der seelischen Gesundheit der Bewohner in Pflegeheimen gehen.

    Um die Senioren vor einer Ansteckung mit Corona zu schützen, gelten in Altenheimen strengere Regeln für Besuche. Doch die Isolation kann für die Bewohner  zur psychischen Belastungsprobe werden.
    Um die Senioren vor einer Ansteckung mit Corona zu schützen, gelten in Altenheimen strengere Regeln für Besuche. Doch die Isolation kann für die Bewohner zur psychischen Belastungsprobe werden. Foto: Karo Kraemer, dpa (Symbolfoto)

    Murat Berker sagt, er sei schockiert gewesen, als er nach dem Lockdown im Frühjahr auch mal wieder andere Bewohner vor dem Heim traf. "Ich wusste bis dahin nicht, wie schnell Menschen abbauen können." Einige Bewohner, die er, seit die Mutter im Heim lebt, persönlich kennt, seien in der Zeit regelrecht verwelkt. Auch die Mutter habe sich verändert. "Sie hat einen Demenzschub erfahren. Sie ist seitdem sehr angespannt, das äußert sich in massivem Zähneknirschen", sagt seine Schwester Berrin Berker. Die Frage ihrer Mutter beim ersten Wiedersehen nach dem Lockdown steckt der Augsburgerin immer noch in den Knochen. "Ihr erster Satz war: Warum bist du nicht gekommen? Das traf mich mitten ins Herz", erzählt Berker. Auch wenn ihre Mutter dement sei – dass ihre Kinder nicht mehr kamen, habe sie sehr wohl wahrgenommen und belastet.

    Augsburger Pflegeheime haben Besucherzimmer eingerichtet

    Viele Pflegeheime haben nach dem Lockdown ein Besucherzimmer eingerichtet. Es ist die einzige Möglichkeit, dass sich Angehörige und Heimbewohner sehen können. In manchen Fälle steht eine Scheibe zwischen ihnen. Bei hoch dementen Pflegebedürftigen sei solch eine Form des Kontakts sinnlos, hat erst eine Augsburgerin gegenüber unserer Redaktion berichtet. Ihre über 80-jährige Mutter, bei der die Krankheit weit fortgeschritten sei, wisse gar nicht mehr, wer ihr da auf der anderen Seite der Scheibe gegenübersitze. Nur indem man sie berühre und an der Hand nehme, könne man noch ihre Aufmerksamkeit erlangen, sagt die Tochter. Auch für die Geschwister Berker ist das Besucherzimmer, das auch das "Haus am Schäfflerbach" eingerichtet hat, keine Option.

    Bruder und Schwester holten bislang die Mutter, die noch gut zu Fuß sei, immer zu einem Spaziergang ab. Das Besucherzimmer sei zu ungemütlich, habe keine Wohnzimmeratmosphäre. "Das kann man höchstens mit Menschen machen, die noch bei klarem Verstand sind", meint Berrin Berker.

    Angehörige von Senioren sprechen von Kollateralschäden

    Sie und ihr Bruder finden, dass die Kollateralschäden durch die Corona-Maßnahmen größer seien als die Gefahr durch Covid-19. "Es heißt immer, die Alten müssten jetzt besonders geschützt werden. Aber wie es ihnen wirklich geht, dafür interessiert sich keiner", echauffiert sich der 54-jährige Murat Berker. Seine Schwester ist überzeugt: "Wenn unsere Mutter geistig noch fit wäre, würde sie lieber das Risiko in Kauf nehmen, an einem Virus sterben zu können, als auf den Besuch ihrer Kinder und auf Gemeinschaft zu verzichten."

    Dass nicht jeder der Angehörigen diese Ansicht teilt, weiß Eckard Rasehorn von der Geschäftsführung der Arbeiterwohlfahrt, die in Augsburg mehrere Pflegeheime betreibt. "An uns werden Beschwerden von beiden Seiten herangetragen. Manche finden die Maßnahmen zu lax, andere wiederum zu streng." Einen Königsweg gebe es nicht. "Man muss abwägen, inwieweit man Heimbewohner zu deren Schutz isolieren will", sagt Rasehorn.

    Augsburger Dierig-Haus setzt auf Vernunft der Angehörigen

    Im Christian-Dierig-Haus in Pfersee etwa, in dem unter den 136 Bewohnern auch viele dement sind, hat die AWO nach dem Lockdown entschieden, dass zumindest ein Besucher unter gewissen Vorkehrungen mit auf das Zimmer eines Bewohners darf. Angesichts des aktuellen Anstiegs der Infektionszahlen in Augsburg habe man die potentiellen Besucher pro Bewohner auf drei Personen reduziert. "Kümmern sich die Angehörigen konsequent darum, dass beide eine Maske tragen, ist ein Ansteckungsrisiko minimiert. Es muss auch keine Glasscheibe dazwischen sein. Viel wichtiger ist es, ein Zimmer gut zu lüften." Rasehorn weiß, dass das Heim auf die Vernunft der Angehörigen vertrauen muss und dies nicht ganz risikofrei ist. "Wir haben großes Glück, dass auch Angehörige Mitglieder unseres Heimbeirates sind und sie in dem Konzept involviert waren."

    Im Seniorenheim Haus Abraham in Inningen gab es zuletzt mehrere Corona-Fälle.
    Im Seniorenheim Haus Abraham in Inningen gab es zuletzt mehrere Corona-Fälle. Foto: Silvio Wyszengrad

    Ein großes Thema sind die Besuchsregelungen derzeit auch bei der städtischen Altenhilfe, die in Augsburg fünf Senioreneinrichtungen mit insgesamt 800 Plätzen und rund 650 Mitarbeitern betreibt. Grundsätzlich werde dort die gültige Regel - pro Bewohner eine Person pro Tag - nach Angaben von Sprecherin Daniela Frumert "rigide" durchgezogen. Besucher müssten sich anmelden, würden registriert und müssten sich unter Umständen die Körpertemperatur messen lassen. Je nach Einrichtung und Besuchszeiten gebe es darüber hinaus unterschiedliche Szenarien. "Teilweise finden die Besuche auf den Zimmern und teilweise in bestimmten Arealen des Heims statt." Gerade in letzterem Fall müsse die Dauer der Begegnung auf eine Stunde begrenzt werden, um möglichst viele Besuche unter Wahrung der Abstandsregeln zu ermöglichen.

    Seniorenheime in Augsburg machen in Einzelfällen Ausnahmen

    Bei aller Reglementierung gibt es in den städtischen Häusern trotz gestiegener Corona-Zahlen nach wie Einzelfallregelungen mit individuellen Absprachen, um "menschlich handeln zu können". Frumert nennt ein Beispiel: "Bei Bewohnern in der allerletzten Lebensphase dürfen auch zwei Angehörige ins Zimmer." Noch gegenwärtig sind die Bilder aus dem Frühjahr während des Lockdowns, als vielerorts Senioren starben, ohne dass Angehörige sie nochmals sehen oder ihre Hand halten konnten.

    Augsburger Caritas empfiehlt eine Stunde pro Heimbesuch

    Auch in den Seniorenzentren der Caritas Augsburg (CAB) haben sich in dieser Woche die Besuchsregeln aufgrund der Gesetzeslage verschärft. "Bislang konnten mehrere Angehörige kommen, auch waren an einem Tag mehrere Besuche innerhalb des jeweils festgelegten Zeitrahmens möglich", erläutert Petra Fischer das Prozedere der vergangenen Monate. Nun müsse ein Besucher pro Tag und Bewohner genügen. "Wir empfehlen eine Stunde." Die Begegnungen finden laut Fischer in eigens eingerichteten Zonen - etwa in der umfunktionierten Cafeteria - statt oder auf dem Zimmer. Lebten dort zwei Senioren, achte man darauf, dass die Besuche gestaffelt seien. "Teilweise sprechen sich die Angehörigen untereinander ab." Fischer weiß, wie wichtig den Bewohnern und ihren Angehörigen der regelmäßige persönliche Kontakt ist. "Wir hoffen sehr, dass es nicht wieder zu einem kompletten Besuchsverbot kommt."

    Alle Neuigkeiten zum Coronavirus in Augsburg lesen Sie in unserem News-Blog.

    Lesen Sie dazu den Kommentar von Andrea Baumann: Strengere Besuchsregeln in Heimen sind angebracht

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