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Stolpersteine: Umstritten: 63000 Steine des Anstoßes

Stolpersteine

Umstritten: 63000 Steine des Anstoßes

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    Der Kölner Künstler verlegte dieses Jahr zum dritten Mal mehrere Stolpersteine in Augsburg – und sorgte damit im Oktober für Diskussionen.
    Der Kölner Künstler verlegte dieses Jahr zum dritten Mal mehrere Stolpersteine in Augsburg – und sorgte damit im Oktober für Diskussionen. Foto: Silvio Wsyzengrad

    Erst kürzlich wurde wieder heftig diskutiert über die Aktion. Wo dürfen die Stolpersteine verlegt werden? Und in wessen Gedenken? Genehmigt nämlich wurden in Augsburg nur drei ins Pflaster eingelassene Mahnmale – fünf weitere beantragte nicht, weil sie nicht dem festgelegten Opferbegriff entsprächen, urteilte der Stadtrat. Ein weiteres Mal jedenfalls erregte Gunter Demnig Anstoß mit seiner Verarbeitung der Vergangenheit …

    Am 16. Dezember 1992 stemmte er zum ersten Mal einen Gehweg auf, um einen mit einer beschrifteten Messingplatte versehenen Stein in das Pflaster einzulassen. Das Datum war kein Zufall: 50 Jahre zuvor hatte SS-Führer Heinrich Himmler im „Auschwitz-Erlass“ die Ermordung aller in Deutschland lebenden Sinti und Roma angeordnet. Auf Demnigs Stein vor dem Historischen Rathaus in Köln waren die Anfangszeilen von Himmlers Erlass zu lesen, im Hohlkörper des Steines war der gesamte Text enthalten.

    Der Kölner Künstler, der im Oktober 70 geworden ist, hat seitdem rund 63000 „Stolpersteine“ verlegt, bis zu 500 im Monat: zehn Zentimeter hohe Würfel aus Beton mit eingelassener Messingtafel. Darauf erinnert Demnig an Opfer des Nationalsozialismus. Er nennt die Steine „das größte dezentrale Mahnmal der Welt“. Grundidee sei, „dass wir überall da aktiv werden, wo die SS ihr Unwesen getrieben hat“, erläutert der gebürtige Berliner. Deshalb liegen die Steine nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern, die von den Deutschen besetzt worden waren. Die Menschen, deren Namen die Steine tragen, waren Juden, Sinti und Roma, hatten Behinderungen oder waren politische Gegner des Regimes.

    „Am häufigsten werden wir von Heimat- und Geschichtsvereinen kontaktiert, aber auch von Angehörigen oder Schülergruppen, die wollen, dass wir bei ihnen auch einen Stein verlegen.“ Das geschieht immer auf dem Gehweg vor dem Gebäude, in dem der Betreffende zuletzt freiwillig gewohnt hat. 120 Euro kostet ein Stein. „Darin ist alles enthalten, der Stein, unsere Anreise und die Verlegung“, erläutert Demnig. Neun Leute gehören mittlerweile zu seinem Team.

    Der Historiker Hans Hesse urteilt in seinem aktuellen Buch über das „Stolperstein“-Projekt: „Mit der Verlegung bricht der Künstler geradezu anarchisch, man könnte nach über 20 Jahren sagen: noch immer, in die Gemütlichkeit und Ordnung eines Wohnviertels oder einer Geschäftsstraße ein.“ Denn längst nicht alle Anwohner seien mit den Steinen einverstanden. Aber da die Gehwege Eigentum der Stadt sind, kann Demnig sie mit Genehmigung der Kommune trotzdem verlegen.

    Der erste Stolperstein zum „Auschwitz-Erlass“ wurde im Jahr 2010 aus dem Pflaster in der Kölner Altstadt von Unbekannten herausgebrochen und entwendet. Das passiere leider manchmal, sagt Demnig. Im März 2013 ersetzte er den Stein, doch auch der neue findet sich derzeit dort: In Kölns Altstadt laufen im mittelalterlichen jüdischen Viertel derzeit archäologische Grabungen, der Bau des Jüdischen Museums im Archäologischen Quartier dauert voraussichtlich bis 2019.

    „Die Stolpersteine sind nicht mit dem üblichen Mahnmalbegriff zu fassen“, sagt Elke Purpus, Direktorin der Kölner Kunst- und Museumsbibliothek, die kürzlich eine Ausstellung zu den Stolpersteinen zeigte. „Nirgendwo sonst machen so viele Privatpersonen mit, die in ihren Heimatkommunen aktiv werden und dort eine Verlegung durchsetzen.“ Das sei absolut einmalig. Es gibt auch Kritiker. Charlotte Knobloch, Holocaust-Überlebende und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, wirft Demnig vor, dass mit den „Stolpersteinen“ das Andenken der Menschen sprichwörtlich mit Füßen getreten werde. In München dürfen keine Steine auf öffentlichen Wegen verlegt werden.

    Nicht alle Juden sind ihrer Meinung. Julia W. aus Köln etwa findet die Steine sehr gelungen. Zu einem Stolperstein in der Kölner Südstadt hat sie eine besondere Beziehung: Er trägt den Namen einer Verwandten, die 1941 im Alter von 22 Jahren von den Nazis verschleppt und ermordet wurde. Sie hat keine Ahnung, wer den Stein in Auftrag gegeben hat. „Aber ich bin sehr froh, dass es ihn und alle anderen gibt.“(epd, AZ)

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