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Verdacht: Soko "Eule" kämpft gegen Pflegebetrug: So lief die Razzia in Augsburg

Verdacht

Soko "Eule" kämpft gegen Pflegebetrug: So lief die Razzia in Augsburg

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    Hunderte Polizisten haben am Mittwoch Pflegedienste in Augsburg und Kundenwohnungen durchsucht.
    Hunderte Polizisten haben am Mittwoch Pflegedienste in Augsburg und Kundenwohnungen durchsucht. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Sonderkommission bei der Augsburger Polizei trägt den Namen "Eule". Das Tier haben die Ermittler als Namensgeber gewählt, weil es wachsam und leise ist – und überraschend zuschlägt. Die Ermittler in Augsburg schlagen am Mittwochvormittag zu, der Einsatz ist gründlich geplant. Es ist eine der größten Razzien, die es je in Augsburg gegeben hat. Rund 500 Polizisten durchsuchen 175 Geschäfts- und Privatanwesen. Ihr Auftrag: die Aufdeckung eines mutmaßlichen Abrechnungsbetrugs in der Pflegebranche. Die Ermittler haben Hinweise auf ein kriminelles Netzwerk, das Pflege- und Krankenkassen sowie Sozialhilfeträger um Millionen betrogen haben soll.

    Razzia in Pflegebranche: Pflegedienste in Augsburg im Visier

    Gegen 8.20 Uhr versammelt sich ein Großaufgebot an Polizisten auf dem Plärrergelände in Augsburg. Von dort strömen die Beamten in die ganze Stadt aus. Eine größere Gruppe fährt in den Stadtteil Lechhausen, zum Sitz eines großen Pflegedienstes, der nach eigenen Angaben rund 280 Mitarbeiter beschäftigt. Von außen deutet nichts darauf hin, dass es hier ums große Geld gehen könnte. Es ist ein schlichtes, etwas in die Jahre gekommenes Firmengebäude. Kriminalbeamte durchsuchen die Räume und sprechen mit Beschäftigen. Die Polizisten schauen sich auch Autos des Pflegedienstes an und lassen sich Unterlagen zeigen, die sich in den Fahrzeugen befinden. Die Ermittler sind mehrere Stunden vor Ort.

    Auch vor den Räumen von sieben weiteren Pflegediensten in der Stadt stehen an diesem Vormittag Polizeiautos. Staatsanwälte und Zollbeamte sind ebenfalls im Einsatz. Die Dienste, das ist der Verdacht, sollen systematisch Schwächen im Kontrollsystem der Pflegeversicherung ausgenutzt haben. So sollen die Pflegedienste bereits die Begutachtung der Patienten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) manipuliert haben, in der es um die Einstufung in einen Pflegegrad geht, teilte die Staatsanwaltschaft München I mit.

    Betrug bei der Pflege? Ermittler gehen von Millionenschaden aus

    Polizisten schauen sich das Auto eines Pflegedienstes im Augsburger Stadtteil Lechhausen an: Rund 500 Beamte waren am Mittwoch bei einer Großrazzia in der Stadt im Einsatz, sie durchsuchten 175 Objekte, es gibt rund 40 Hauptverdächtige. Auch in München gab es Durchsuchungen.
    Polizisten schauen sich das Auto eines Pflegedienstes im Augsburger Stadtteil Lechhausen an: Rund 500 Beamte waren am Mittwoch bei einer Großrazzia in der Stadt im Einsatz, sie durchsuchten 175 Objekte, es gibt rund 40 Hauptverdächtige. Auch in München gab es Durchsuchungen. Foto: Jörg Heinzle

    Der Pflegebedarf sei "künstlich erheblich aufgebauscht" worden, um mehr Leistungen als erforderlich abrechnen zu können. Die in der Regel eher sachliche Behörde spricht von einer "außerordentlich großen Ermittlungsaktion". Vermutet wird ein noch nicht näher bezifferter Millionenschaden, das Verfahren richtet sich gegen etwa 40 Hauptbeschuldigte, 13 von ihnen werden noch am Mittwoch festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt. Bei betroffenen Pflegediensten in Augsburg geht am Mittwoch teils niemand ans Telefon. Der Geschäftsführer des großen Pflegedienstes im Stadtteil Lechhausen geht am frühen Nachmittag ans Handy, das Gespräch aber ist kurz. "Kein Kommentar", sagt der Mann, dann legt er auf.

    Wenn es stimmt, was die Ermittlungen ergeben haben, sollen Patienten teils an den mutmaßlichen Betrugstaten mitgewirkt haben. Dafür, so heißt es von der Staatsanwaltschaft, sollen sie von den Pflegediensten Zahlungen in bar oder Sachleistungen erhalten haben. Die Ermittler durchsuchen am Mittwoch auch die Wohnungen von 120 Patienten. Es geht nach Informationen unserer Redaktion vielfach um Pflegedienste mit Bezug zu Russland, manche kümmern sich schwerpunktmäßig um russische Patienten und werben mit Sprachkenntnissen. Die Staatsanwaltschaft spricht bei den Beschuldigten von "vorwiegend aus Osteuropa stammenden organisierten Kriminellen". Im Raum München werden ebenfalls Räume von Pflegediensten und Privathäuser durchsucht, auch Arztpraxen sind betroffen.

    Es ist nicht der erste Fall dieser Art in Augsburg. Vor zwei Jahren gab es am Amtsgericht einen Prozess gegen zwei Verantwortliche eines Pflegedienstes. In dem Verfahren gab es Hinweise darauf, dass ein Arzt die Patienten auf dem Papier "kränker macht", als sie es tatsächlich sind. Insulinspritzen oder Kompressionsstrümpfe sollen abgerechnet worden sein, ohne dass diese Leistungen erbracht wurden. Auch Dienste wie Einkaufen und Kochen wurden in den Leistungsnachweisen offenbar fingiert.

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