Es klingt im ersten Moment wie bei einem Stehempfang, bei dem die Menschen leise miteinander plaudern. Doch hier, im obersten Stock des Gesundheitsamtes Augsburg in der Nähe des Augsburger Doms, wird nicht gefeiert, sondern gearbeitet – und vor allem telefoniert. Sechs Mitarbeiterinnen des Amtes sitzen am Dienstagmittag in den Büros und sind fast die ganze Zeit am Telefon. Aus den Räumen sind gedämpft Gespräche zu hören, das ist das Grundrauschen. Die Aufgabe der Mitarbeiterinnen ist es, die Ausbreitung des Coronavirus in Augsburg zu kontrollieren. Es ist vergleichbar mit der Arbeit eines Detektivs: Sie müssen Corona-Infizierte in Augsburg und deren Kontaktpersonen ermitteln. Also möglichst alle Menschen, die für eine längere Zeit mit einem Infizierten zusammen waren. Eine Aufgabe, die mitunter ganz schön herausfordernd ist.
Am Dienstag ist die Lage bei den Corona-Ermittlern im Gesundheitsamt relativ ruhig. Übers Wochenende sind dem Augsburger Amt zwar 32 neue Infektionen bekannt geworden. Doch am Dienstag kommen nur vier neue Fälle hinzu. Im Moment sei die Arbeit ganz gut zu bewältigen, sagt Thomas Wibmer, der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamtes Augsburg. Würde eine Ampel die Situation anzeigen, dann stünde sie derzeit auf Gelb, meint er. Das könne sich aber auch schnell ändern. Wie vor einigen Wochen etwa, als das Amt schon einmal fast an seine Grenzen gelangt sei. Wie aufwendig die Nachforschungen sind, hängt vor allem davon ab, mit wie vielen Personen ein Infizierter Kontakt hatte. War er nur zu Hause, so sind die Kontaktpersonen schnell zu ermitteln. Hat er dagegen eine Familienfeier besucht oder traf er bei der Arbeit auf viele Kollegen, dann wird es schnell komplizierter.
Corona in Augsburg: Die Labore müssen jeden Fall melden
In den meisten Fällen erfährt das Gesundheitsamt über Labore von den Infektionen. Die Labore sind dazu verpflichtet, bei jedem positiven Test die Personalien des Betroffenen an das Amt zu melden. Dann beginnt das Telefonieren. Die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes rufen bei dem Infizierten an, erklären ihm, dass er in Quarantäne bleiben müsse – und sie forschen nach, wen er alles angesteckt haben könnte. Als besonders gefährdet gilt, wer mindestens 15 Minuten mit einem Infizierten näher zusammen war. All diese Kontaktpersonen müssen ebenfalls angerufen und informiert werden. Und auch sie müssen alle in Quarantäne. Die Telefonierarbeit ist damit aber noch nicht erledigt. Wer sich in Quarantäne befindet, soll täglich einen Anruf vom Amt erhalten. Es geht darum, zu kontrollieren, ob sich der Betroffene an die Quarantäne hält – und ob er Krankheitssymptome hat. Insgesamt mussten sich seit Beginn der Corona-Pandemie schon rund 3000 Augsburger zeitweise zu Hause isolieren, also immerhin rund ein Prozent der Bevölkerung.
Meist verliefen die Telefonate gut, sagt Thomas Wibmer. Es gebe aber auch Menschen, die mit der Quarantäne nicht einverstanden seien. Oder Infizierte, die nicht sagen wollen, mit wem sie alles Kontakt hatten. Zuletzt, beobachtet der Arzt, hätten die Widerstände etwas zugenommen. Arbeitet ein Infizierter nicht mit dem Amt zusammen, so könnte man sogar ein Zwangsgeld verlangen. Das sei bisher noch nicht passiert, sagt Wibmer. Regelmäßig holen sich die Mitarbeiter des Amtes ihre Informationen aber auch von anderer Stelle – etwa beim Arbeitgeber oder bei Freunden und Verwandten. Die Behörde habe auch das Recht, dazu Räume zu betreten und entsprechende Unterlagen einzusehen. Manchmal, sagt Thomas Wibmer, müssten seine Mitarbeiter dabei fast "kriminalistischen Spürsinn" beweisen.
An der Wand eines Büros hängen große Plakate aus Pappe, auf denen Namen stehen, verbunden durch Striche. Es sind Diagramme, die kompliziertere Infektionsketten aufzeigen. Im Juli war das Amt mehrfach mit Fällen konfrontiert, in denen es unübersichtlich zu werden drohte. Es gab Fälle in größeren Familien, eine Firma war betroffen und ein Restaurant. Bei einem Infizierten mussten die Mitarbeiter des Amtes bis zu 40 Kontaktpersonen anrufen. Zuletzt ist die Arbeit wieder einfacher geworden, weil viele der Infizierten sich im Urlaub angesteckt haben, in einem Risikogebiet. Für diese Urlauber gilt nach ihrer Rückkehr derzeit eine Quarantäne- und Testpflicht. Wenn sie sich daran gehalten haben, dann hält sich auch die Zahl der Kontaktpersonen in engen Grenzen und beschränkt sich weitgehend auf die Familie.
Virus: Viele Corona-Infizierte in Augsburg sind derzeit relativ jung
Der stellvertretende Chef des Gesundheitsamtes rechnet aber damit, dass es nach dem Ende der Sommerferien auch wieder vermehrt Ansteckungen in Augsburg geben könnte. Derzeit seien die meisten der akut Infizierten relativ jung, deshalb hätten sie wohl meist auch nur milde oder gar keine Symptome, sagt Wibmer. Das sei aber keine Garantie, dass sich das Virus nicht auch wieder unter älteren Menschen verbreiten könne, die deutlich stärker gefährdet seien.
Er sieht dabei ein spezielles Risiko: Pflegekräfte in Heimen hätten oft einen Migrationshintergrund, sie hätten Wurzeln gerade in Ländern, die derzeit als Risikogebiete gelten. Über Pflegerinnen und Pfleger könnte das Virus in Heime gelangen – und dort ist ein Ausbruch nur schwer zu kontrollieren. Als ein Beispiel in der Region gilt ein Aichacher Heim, wo im April 17 Senioren an oder mit dem Virus gestorben sind. Die Heime, sagt Wibmer, wüssten aber um dieses Risiko und reagierten darauf mit strengen Regelungen.
Zwei Ziele verfolgt das Gesundheitsamt vor allem mit seinen Corona-Ermittlungen: Die Lage in den Seniorenheimen soll ruhig bleiben – und auch die Situation auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. In den Kliniken der Region gibt es derzeit keine Engpässe. Laut dem Register der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin wird in Augsburg aktuell ein Corona-Patient auf der Intensivstation behandelt, beatmetet werden muss er nicht. 34 Intensivbetten sind demnach frei. "Unser Ziel ist, dass das möglichst so bleibt", sagt Thomas Wibmer. 17 neue Mitarbeiter soll das Amt demnächst bekommen, um die Arbeit bewältigen zu können. Der Stadtrat hat die Stellen bewilligt. Nun sollen sie möglichst schnell besetzt werden, sagt der städtische Umwelt- und Gesundheitsreferent Reiner Erben (Grüne).
Reine Büroarbeit ist der Job trotz des vielen Telefonierens nicht. Am Dienstagnachmittag haben Mitarbeiter des Amtes noch einen Außentermin. Sie fahren zur Wohnung einer Familie, die sich weigert, in Quarantäne zu bleiben. Hier kommt sicherheitshalber auch die Polizei mit. Lässt sich die Familie nicht überzeugen, dann kann ihr auch eine zwangsweise Unterbringung in der Quarantäne drohen - und dann auch strenger überwacht als mit einem täglichen Anruf.
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