Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Sicherheit: An den Bahnhöfen fehlen die Bundespolizisten

Sicherheit

An den Bahnhöfen fehlen die Bundespolizisten

    • |
    Beamte der Bundespolizei patrouillieren am Berliner Hauptbahnhof. Viele Deutsche haben einer Umfrage zufolge das Gefühl, die Sicherheit in Deutschland habe abgenommen.
    Beamte der Bundespolizei patrouillieren am Berliner Hauptbahnhof. Viele Deutsche haben einer Umfrage zufolge das Gefühl, die Sicherheit in Deutschland habe abgenommen. Foto: Kay Nietfeld/Symbolbild (dpa)

    Leere Plastikflaschen liegen kreuz und quer herum. Tüten, Exkremente und einige Matratzen auf Sperrholzpaletten. Vorsichtig schauen sich die Bundespolizisten um. Ist noch jemand hier? Vor gut einem Monat waren Kollegen der Landespolizei auf diesem abseits gelegenen und von Sträuchern überwucherten Bahngelände in Neu-Ulm, das durch eine Wand von den Gleisen getrennt ist, und machten Fotos. Die sind in einer Akte eingeheftet, und auf ihnen ist ein wichtiges Detail zu sehen: Zelte.

    Da diese jetzt nicht mehr hier zu finden sind, gehen die Polizisten davon aus, dass die auf dem Areal vermuteten Rumänen sich ein neues, womöglich wieder illegales Quartier gesucht haben. Der Ermittlungsdienst muss die weiteren Untersuchungen übernehmen. Dass einige Zeit vergangen ist zwischen dem ersten „Besuch“ durch die Landespolizei in Neu-Ulm und der jetzigen Kontrolle durch die eigentlich zuständige Augsburger Bundespolizei, ist symptomatisch für deren Lage. Weil sie zu wenig Personal hat, ist es ihr nur selten möglich, sich selbst um das große Gebiet zu kümmern. Gerade der ländliche Raum leidet. Anderen Dienststellen geht es nicht besser, klagen die Gewerkschaften.

    Plötzlich sitzt da ein Mann, der ein Nickerchen macht

    An diesem Tag immerhin ist mehr Personal eingeteilt. Zwei Polizeischüler machen zudem ihr erstes Ausbildungspraktikum. Die Streife kann daher zumindest an einigen Bahnhöfen nach dem Rechten sehen. Bei den meisten handelt es sich nur um kleinere Haltepunkte, aber es sind auch ein paar größere Stationen dabei. Wie im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Polizeihauptmeisterin Maria Sander und Polizeikommissar Timo Weber werden von den zwei Schülern begleitet.

    Dass die Bundespolizei überhaupt abseits des Hauptbahnhofs unterwegs ist und nun sogar zu viert, sorgt für Aufsehen. Obdachlose machen die Beamten auf Gegenstände am Empfangsgebäude aufmerksam, die dort nicht hingehören. Eine nicht mehr ganz nüchterne Frau fragt, ob sie Webers Dienstmütze haben darf. „Nein, die brauch’ ich ja selbst“, verneint der 29-Jährige freundlich. Mit Betrunkenen und Obdachlosen hat die Polizei weniger Probleme, mit Drogensüchtigen hingegen mehr.

    Nach einem Gang über den Bahnsteig treffen sie im Bereich der Bahnhofsgaststätte auf einen Mann, der ein Nickerchen macht. Da die Sitzplätze für Gäste reserviert sind, aber kein Getränk vor ihm steht und er auch sonst nicht den Eindruck macht, hier hinzuzugehören, wecken ihn die Beamten vorsichtig. Er schaut verdutzt um sich, als er die vier Polizisten sieht. „Darf ich Ihren Ausweis sehen“, fragt Sander. Den hat er nicht dabei. „Wie heißen Sie denn?“, fragt ihn die 37-Jährige. Er nennt ihr den Namen, sie gleicht die Daten mit der Dienststelle ab. Per Handy statt per Funk, damit nicht Passanten hören, was die Überprüfung ergibt.

    Wenn es nicht um Fahndungen, sondern den Wohnsitz geht, muss die Bundes- bei der Landespolizei nachfragen, denn das System für Meldeauskünfte wird von den Bundesländern betrieben. Und auch die Landespolizei kann nur auf das eigene Gebiet zugreifen. Gegen den Mann liegt nichts vor, er kann gehen – wenn auch die Abfrage ergeben hat, dass er eine ansteckende Krankheit hat.

    Auf dem weiteren Weg sehen sich die Beamten noch ein paar weitere Stationen an. Das nächste Etappenziel ist Günzburg. Hier hören sie sich beim Fahrdienstleiter um, ob es Probleme gibt. Die gibt es, und zwar nicht nur hier. Gerade abends und am Wochenende meinen Jugendliche und junge Erwachsene, auf Bahnsteigen lautstark und mit Alkohol Partys feiern zu müssen. „Wenn etwas ist, rufen Sie uns“, rät Polizeikommissar Weber.

    Dabei wird es wohl eher die personell auch nicht auf Rosen gebettete Landespolizei sein, die sich zuerst kümmern muss; die Zusammenarbeit funktioniere aber gut, betonen beide Seiten. Oder der Sicherheitsdienst der Bahn, der allerdings auch eine längere Anfahrt hat. Weil sich die Fälle von Vandalismus und Störungen an den Stationen im Kreis Günzburg häufen – die Bahn-Pressestelle spricht von „Trinkgelagen“ –, soll der Sicherheitsdienst nun mehr Präsenz zeigen.

    Insgesamt hat das Augsburger Bundespolizeirevier knapp 30 Beamte für den Streifendienst, fünf in der Ermittlungsgruppe und zwei für die Einsatzauswertung. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sollten es auf dem Papier alleine für den Streifendienst 47 sein. Deshalb komme es immer häufiger vor, dass nur drei Polizisten für eine Schicht eingeteilt werden können – Urlaub, Krankheit und Abordnungen für andere Aufgaben machten nichts anderes möglich. Und das für ein Gebiet, das sich grob skizziert im Westen bis nach Neu-Ulm, im Süden bis ins Ost- und Unterallgäu, im Osten bis hinter den Landkreis Aichach-Friedberg und im Norden bis zur fränkischen Grenze hinter Donauwörth erstreckt.

    ---Trennung _Das „Chaos“ werde wohl anhalten_ Trennung---

    Im Gegensatz zu diesem Tag, an dem sich die Streife in der Peripherie umschaut und ein paar weitere Beamte um die Aufgaben in der Dienststelle kümmern, könnte dann höchstens eine Streife am Hauptbahnhof patrouillieren – wo allerdings auch das meiste passiert, wie es hier heißt. Ein Kollege müsste alleine in der Einsatzzentrale bleiben, und die Vorschrift für die Eigensicherung verbietet es, Fremde hereinzulassen, wenn nur ein Polizist da ist. Also müssten Hilfesuchende warten – oder die Vorgaben missachtet werden. Um die Prävention etwa an Schulen, für die Weber auch zuständig ist, muss er sich sowieso in seiner Freizeit kümmern.

    Das Innenministerium hat angekündigt, deutlich mehr Personal einzustellen

    Die Gewerkschaft erklärt, dass es eine solche Situation bundesweit bei vielen Dienststellen im bahnpolizeilichen Bereich gebe. Zwar hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) angekündigt, deutlich mehr einzustellen, aber: „Ob eine Personalmehrung dafür in den nächsten Jahren realisiert werden kann, ist mehr als fraglich. Wir wären in einem ersten Schritt zufrieden, wenn zumindest alle bereits bestehenden freien Dienstposten zeitnah besetzt würden“, betont Anja Scheuermann von der GdP.

    Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft und der Bund Deutscher Kriminalbeamter bestätigen die Lücken. Die Bundespolizei müsse sich aus der Fläche zurückziehen, um ihre Schwerpunktaufgaben noch erledigen zu können, sagt Heiko Teggatz, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Viele Dienststellen in kleineren Bahnhöfen wurden bereits geschlossen, beispielsweise in Neu-Ulm und Donauwörth.

    Thomas Mischke, Vorsitzender des Verbands Bundespolizei beim Kriminalbeamten-Bund, macht die Abordnungen an die Großflughäfen und den „mittlerweile völlig sinnfreien Grenzeinsatz in Bayern“ verantwortlich. Das „Chaos“ werde wohl anhalten, und die von de Maizière eingeplanten etwa 7000 zusätzlichen Beamten seien „allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein“. Zudem machten sich die Neueinstellungen wegen der dreijährigen Ausbildung erst ab 2019 bemerkbar und deckten höchstens bestehende Lücken und die, welche durch Pensionierungen entstehen. Ein Polizeischüler sagte unserer Zeitung sogar, dass an eine Ausbildung zeitweise nicht zu denken war, weil auch er und Kollegen zur Registrierung von Flüchtlingen abgeordnet wurden.

    Das verantwortliche Bundesinnenministerium antwortet dazu nicht auf die Fragen unserer Zeitung, sondern überlässt das dem Bundespolizeipräsidium. Dort heißt es, die Präsenz im Bereich der Bahnanlagen, insbesondere in der Fläche, sei abhängig von Einsatzschwerpunkten. Seit der Organisationsreform im Jahr 2008 sei es gelungen, mehr Personal „für die operative Aufgabenerfüllung freizusetzen“. Lageentwicklungen wie Grenzkontrollen führten dazu, dass Kräfte bundesweit verschoben werden müssten – „die tägliche Aufgabenwahrnehmung in anderen Regionen“ werde aber fortgeführt. Die Auswirkungen seien nur temporär, und für größere Einsätze, etwa bei Fußballspielen, würden Dienststellen verstärkt.

    Die Beamten in Augsburg würden sich freuen, wäre das alles nur „temporär“. Auch wären sie froh, wenn der Bund schneller auf neue Bedrohungen reagiert hätte, die spätestens seit dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 greifbar wurden. Unter anderem dergestalt, dass Terroristen nicht mehr nur mit Pistolen oder Maschinenpistolen, sondern sogar mit Sturmgewehren um sich schießen. Die Ausrüstung der Bundespolizei sei aber noch immer nicht an neue Herausforderungen angepasst worden, beklagen Gewerkschaften und Polizisten selber – das Präsidium hingegen ist der Ansicht, die Ausstattung entspreche der derzeitigen Situation. Sie werde aber aufgerüstet. Auch wird in Potsdam im Gegensatz zu

    Die gute Nachricht: Bald kommt die neue Dienststelle

    Und doch, sagen sie, machten sie ihre Arbeit gerne, trotz der ganzen Probleme und des wachsenden Überstundenbergs. Weil ihre Aufgabe wichtig ist. Und „weil es viele gibt, die sich über unsere Hilfe freuen“, wie Hauptmeisterin Sander sagt. So wie am Günzburger Bahnhof, wo sie einem Flüchtling hilft, auf dem Fahrplan den richtigen Zug zu finden. Oder wo Kommissar Weber für eine ältere Dame bei ihrer Bekannten anruft – „hier gibt es ja nicht mal mehr ein Telefonbuch“ –, weil sich der Zug verspätet hat und sie abgeholt werden will. Hätte die Polizei Zeit und Personal, wieder als Schutzmann und nicht nur als Kontrolleur wahrgenommen zu werden, wäre das Ansehen besser und viele Probleme wären kleiner. Davon sind sie überzeugt im Revier.

    Ob das irgendwann wieder so sein wird? Sie wissen es nicht. Aber zumindest wurde ihnen zugesichert, dass sie nach Jahren des Wartens in der mittlerweile maroden Dienststelle im April 2017 endlich in moderne Räume direkt am Bahnhof ziehen werden. Darauf freuen sie sich schon. Denn dann ist die Chance für die Bürger auch größer, das bislang recht versteckt gelegene Revier in einem ehemaligen Bahngebäude im früheren Güterbereich überhaupt finden zu können.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden