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Rückblick auf 2020: Fall Maddie: "Unvorstellbar, was er verbrochen haben soll"

Rückblick auf 2020

Fall Maddie: "Unvorstellbar, was er verbrochen haben soll"

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    Der Augsburger Alexander Bischof (im Bild) lernte Christian B., der im Verdacht steht, für das Verschwinden von Maddie McCann verantwortlich zu sein, über einen Bekannten kennen.
    Der Augsburger Alexander Bischof (im Bild) lernte Christian B., der im Verdacht steht, für das Verschwinden von Maddie McCann verantwortlich zu sein, über einen Bekannten kennen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Es ist ein Kriminalfall, der ganz Europa bewegt hat. Im Jahr 2007 ist die dreijährige Maddie McCann in Portugal an der Algarve entführt worden. Seither gab es von dem Mädchen keine Spur – und die Suche nach einem Täter verlief vergeblich. Doch jetzt führt eine Spur hier nach Augsburg, ins Obergeschoss eines Backsteingebäudes im Schlachthof-Quartier. Christian B., der Tatverdächtige im Fall Maddie, war hier mit einem Wohnsitz bei der Stadt Augsburg angemeldet. Und das etwa zur selben Zeit, als die Dreijährige in Portugal aus einer Ferienanlage verschwand und, wie die Ermittler nun vermuten, womöglich ermordet wurde.

    Der Verdächtige im Fall der vermissten Maddie kam in Augsburg unter

    Alexander Bischof zieht an einer Zigarette. Er lebt in der Wohnung an der Proviantbachstraße. Und er kennt Christian B., 43, den mutmaßlichen Täter. Der 64-jährige Rentner sagt: „Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass er was mit dem Fall Maddie zu tun hat.“ Bischof erzählt, Christian B. sei eine Zufallsbekanntschaft gewesen. „Es ist unvorstellbar für mich, was Christian verbrochen haben soll“, meint der einstige Telekom-Beamte. Immer wieder mal hätten sie „ein Bierle gezischt“ oder gemeinsam an ihren Jaguar-Fahrzeugen herumgeschraubt. Beide hatten eine Leidenschaft für diese Automarke. Bei allem aber hatte Alexander Bischof keine Ahnung, dass der Mann vor ihm ein Sexualstraftäter sein könnte, ein Mensch mit womöglich tiefen, kriminellen Abgründen.

    Wann er Christian B. das erste Mal kennenlernte, weiß Bischof nicht so mehr genau. Er überlegt: „Es muss 2007 herum gewesen sein.“ Im Mai 2007 verschwand auch Maddie. Ein Freund habe ihm damals Christian B. vorgestellt, erzählt Bischof. Der Freund habe erzählt, B. habe lange in Portugal gelebt und wolle nun in Deutschland ein neues Leben starten. Ob er ihm nicht helfen könne. Alexander Bischof, ein offener und unkompliziert wirkender Mensch, ließ sich darauf ein. Warum auch nicht?

    Der Verdächtige im Fall Maddie lebte zeitweise im Schlachthofquartier.
    Der Verdächtige im Fall Maddie lebte zeitweise im Schlachthofquartier. Foto: Silvio Wyszengrad

    Zu dem Zeitpunkt sei das Schlachthof-Areal, heute mit Gastronomie und Büros bevölkert, noch leer gewesen. „Ich bot ihm an, dass er seinen Multivan auf dem Gelände abstellen und mein Klo und die Küche bei Bedarf mitbenutzen kann“, erzählt Bischof. Ein paar Tage habe Christian B. auf Bischofs Dachboden geschlafen, dann sei er in den VW-Bus gezogen. „Später kaufte er sich einen richtig großen Camper und lebte darin weiter.“ Auch einen Hund habe er sich zugelegt. Einen Schäferhund – Charly.

    Viel hat Alexander Bischof nicht über Christian B. erfahren

    Alexander Bischof sitzt in seinem Sessel im Wohnzimmer. Er weiß einiges über Christian B. zu erzählen – obwohl so viel Zeit vergangen ist. Doch es wird dabei auch deutlich, dass die Bekanntschaft nur an der Oberfläche blieb. Denn richtig viel hatte der nun Tatverdächtige aus seinem Leben gegenüber dem Augsburger offenbar nicht preisgegeben. Von einer schwierigen Kindheit habe er mal am Rande etwas mitbekommen, sagt Bischof – und dass Christian B. eine Freundin in Portugal hatte und Bekannte in München. „Die Freundin war wohl auch mal zu Besuch in Augsburg.“

    Lange dauerte es damals auch nicht, bis dem Augsburger klar wurde, dass der fremde Gast Geld auf illegale Weise verdiente. „Er handelte mit Drogen. Auf meinem Dachboden trocknete er sein Haschisch. Das hat intensiv gerochen.“ Bischof ist sich sicher, dass der Mann mit den Drogen dealte,den Stoff unter anderem in Portugal und auf Sylt vertickte. Denn in dem Zeitraum von zwei Jahren, in dem Christian B. auf dem Schlachthof-Quartier gelebt habe, sei dieser immer wieder auf die Nordseeinsel oder nach Südeuropa gereist. Der 64-Jährige ist auch überzeugt, dass sein „Hof-Bewohner“ stahl. „Immer wieder brachte er von Portugal Sachen mit, bei denen ich mir dachte, die kann er nicht gekauft haben.“

    Der Verdächtige im Fall Maddie McCann soll sein Geld mit Drogen verdient haben

    Das Bundeskriminalamt bestätigt Anhaltspunkte, wonach der Tatverdächtige seinen Lebensunterhalt auch durch die Begehung von Straftaten wie Einbrüche in Hotelanlagen und Ferienwohnungen sowie Drogenhandel bestritt. Angeblich ermittelte deshalb auch schon im Jahr 2008 die Justiz in Augsburg gegen B. Bischof appellierte damals an Christian B. doch auf rechtschaffene Weise Geld zu verdienen und was Ordentliches zu lernen, erzählt er. „Es interessierte ihn aber nicht.“ Bischof hatte schließlich die Nase voll. Er sorgte sich. „Meine Mama lebte damals noch nebenan. Ich hatte keine Lust, dass hier die Polizei auftaucht.“ Er wollte in nichts hineingezogen werden. Bischof teilte B. deshalb mit, dass sein Aufenthalt nun vorbei sei. Die Wege trennten sich damit nach rund zwei Jahren wieder. Danach, sagt Bischof, habe er nie wieder etwas von B. gehört.

    2012 zeigen Kate und Gerry McCann, wie Maddie damals wohl ausgesehen hätte.
    2012 zeigen Kate und Gerry McCann, wie Maddie damals wohl ausgesehen hätte. Foto: Arrizabalaga, dpa

    Und dann kam doch noch die Polizei eines Tages ins Schlachthofquartier – wenn auch viele Jahre später. Bischof hat die qualmende Kippe kurz in einem Aschenbecher abgelegt. Er denkt nach. „Das muss vor rund zweieinhalb Jahren gewesen sein.“ Er selbst war zu dem Zeitpunkt mit seiner Frau auf Mallorca im Urlaub. „Die Kriminalpolizei Wiesbaden stand vor meiner Tür. Sie riefen mich auf Mallorca an und wollten wissen, ob sie in die Wohnung dürfen. Sie würden in Sachen Christian B. wegen eines Kapitalverbrechens ermitteln. Mehr sagten sie nicht.“ Eine Bekannte durfte den Beamten dann die Tür öffnen.

    Viele Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens führen Spuren nach Augsburg

    Ein Jahr später wurde Alexander Bischof, wie er erzählt, von der Polizei auf den Fall Maddie angesprochen. Er wurde dazu auf einem Augsburger Polizeirevier befragt. „Da erfuhr ich das erste Mal, dass Christian etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun haben könnte.“ Alexander Bischof wirkt beim Erzählen immer noch fassungslos. Jetzt, im Nachhinein, begreift er manche Zusammenhänge. Auch jenen mit dem Jaguar XJR 6.

    Dieser Jaguar wurde von dem tatverdächtigen im Fall Maddie McCann benutzt. Einen Tag nach der Tat wurde das Auto in Augsburg zugelassen.
    Dieser Jaguar wurde von dem tatverdächtigen im Fall Maddie McCann benutzt. Einen Tag nach der Tat wurde das Auto in Augsburg zugelassen. Foto: Bundeskriminalamt

    Sein Freund, der ihm Christian B. einst vorstellte, hatte das Fahrzeug an den heute Tatverdächtigen verkauft. Bischof sagt, von Portugal aus habe Christian B. ihn dann gebeten, den Jaguar für ihn in Augsburg anzumelden. Bischof tat ihm diesen Gefallen und ging zur Zulassungsstelle – das war just am Tag nach Maddies Verschwinden, wie Alexander Bischof heute weiß. Die auberginefarbene Limousine spielt bei den Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Maddie-Entführer eine wichtige Rolle. Das Auto war eines von zwei Fahrzeugen, das Christian B. zur Tatzeit an der Algarve benutzt haben soll. Laut BKA liegen Hinweise vor, dass er eines dieser Fahrzeuge auch für die Tat verwendet haben könnte.

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