Am Ende des rund dreiminütigen Telefonats ist die Juniorchefin eines Busunternehmens aus dem Kreis Neu-Ulm froh. Sie hatte den Neu-Ulmer Landrat Thorsten Freudenberger (CSU) in der Leitung. Er hat ihr zugesagt, der Landkreis werde sich dafür aussprechen, dass ihre Firma wieder die Konzessionen für mehrere regionale Buslinien bekommt. Für die maximal mögliche Laufzeit von zehn Jahren. Die Firmenchefin bedankt sich. Der Landrat sagt: „Gerne, passt. Bist erleichtert, gell?“
Was weder der Landrat noch die Unternehmerin ahnen: Das Telefonat im Juni 2016 wird abgehört. Zu der Zeit ermittelt bereits die Kripo in der schwäbischen Busbranche. Es geht um den Verdacht, dass rund ein dutzend Firmen ein Kartell gebildet haben sollen, um sich im öffentlichen Nahverkehr lukrative Linien zu sichern. Die Ermittler zapfen auch Telefone der Unternehmer an. Die Protokolle liegen unserer Redaktion in Auszügen vor. Der Zuschlag für die Linien im Raum Neu-Ulm ist wirtschaftlich wichtig für die Busfirma. So wichtig, dass intern beratschlagt wird, wie man sich dafür bedankt. In einem Telefonat ist davon die Rede, dass die Juniorchefin einen Brief an den Landrat schicken soll, handschriftlich und an ihn persönlich adressiert.
Busfirmen sollen an Aufträge im Umfang von 71 Millionen gekommen sein
Heute, drei Jahre später, hat die Augsburger Staatsanwaltschaft Anklage erhoben gegen 13 Verantwortliche von Busfirmen im Raum Augsburg und in ganz Schwaben. Auch die Busfirma aus dem Neu-Ulmer Raum ist im Visier der Justiz, die Seniorchefin ist eine der Angeklagten. Den Unternehmern wird vorgeworfen, zwischen 2015 und 2017 durch Absprachen an Aufträge im Umfang von rund 71 Millionen Euro gekommen zu sein. Die Vergabe der Neu-Ulmer Buslinien taucht in der Anklage aber nicht auf. Ein rechtswidriges Verhalten sahen die Ermittler hier nicht, auch nicht beim Landrat oder anderen Verantwortlichen des Kreises.
Aber der Vorgang zeigt den Nachdruck, mit dem die Busfirmen ihre Interessen vertreten – und die guten Kontakte in die Politik. Teils begleitet durch Parteispenden. So spendete die Firma aus dem Neu-Ulmer Raum in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 34.000 Euro an die CSU. Im Zentrum der Kartell-Affäre steht die Regionalbus Augsburg GmbH, einst ein Staatsbetrieb, der zur Bahn gehörte. Vor drei Jahrzehnten wurde die RBA von der damals schwarz-gelben Bundesregierung privatisiert. Sie ging – mit Unterstützung der Politik – mehrheitlich an regionale Busfirmen.
Von da an waren die RBA-Besitzer Platzhirsche in der Region. Sie sollen später auch das Kartell gebildet haben. Es gibt ein 13 Jahre altes Dokument, welches nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den Verdacht belegt. Die Busunternehmer haben damals vereinbart, sich bei Regionalbuslinien keine Konkurrenz zu machen. Wer sich nicht daran hält, sollte 100.000 Euro Strafe zahlen. In der Anklage werden Linien im Bereich des Augsburger Verkehrsverbunds (AVV) und im Kreis Dillingen aufgezählt, bei denen die Absprache gegriffen haben soll.
Es geht um viel Geld, das zu verteilen ist. Freistaat und Kommunen stecken pro Jahr rund 800 Millionen Euro in den Nahverkehr, berichtet der Bayerische Oberste Rechnungshof. Die Prüfer äußerten schon vor Jahren den Verdacht, dass zu viele Subventionen ausbezahlt werden. Branchenkenner gehen davon aus, dass das mutmaßliche Kartell auch deshalb entstanden ist, weil die Firmen mehr Wettbewerb fürchteten. Lange ist der Betrieb von Regionalbuslinien ohne Ausschreibung direkt vergeben worden. Teils blieben die Buslinien so über Jahrzehnte beim selben Unternehmen. Das ändert sich aber langsam. Es gibt mehr Wettbewerb. Inzwischen ist unter anderem der Augsburger Verkehrsverbund dazu übergegangen, die Linien europaweit auszuschreiben.
Jetzt gibt es heftige Grabenkämpfe in der Busbranche
Auffällig war aber: Anfangs gab es bei den Ausschreibungen im AVV oft nur einen oder wenige Bewerber. Oder Angebote, die teurer als erwartet waren. Das hat sich offenbar geändert, seit das mutmaßliche Kartell aufgeflogen ist. Jedenfalls bieten die Busfirmen in der Region nach Informationen unserer Redaktion ihre Leistungen im Schnitt nun günstiger an, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Geld bekommen sie pro Kilometer. Jährlich fahren die Regionalbusse im AVV rund 15 Millionen Kilometer. Auch kleine Schwankungen rechnen sich da schnell zu großen Beträgen auf.
---Trennung Angeklagter war früher im Ministerium zuständig für den Nahverkehr Trennung---
Das mutmaßliche Kartell scheint zerbrochen zu sein. Nun gibt es Grabenkämpfe in der Busbranche. Ein Unternehmer, der als Kronzeuge agiert, wurde wohl von einem einstigen Partner bei der Justiz angeschwärzt. Vor kurzem durchsuchten Ermittler seine Firmengebäude, wegen Verdachts auf Lohnsplitting. Als im Herbst 2016 in Friedberg nachts ein Brandanschlag auf einen abgestellten Linienbus verübt wurde, gab es sogar Gerüchte, das könne ein Racheakt unter Konkurrenten gewesen sein. Aufgeklärt wurde die Tat nicht. Die Polizei sagt, es spreche einiges für Vandalismus.
Die Kartellanklage liegt nun beim Landgericht Augsburg. Das Gericht muss entscheiden, ob es die Anklage zulässt und es zum Prozess kommt. In der Branche rechnet man mit einem Beben, sollte es Verurteilungen geben. Die Firmen dürften dann bei öffentlichen Ausschreibungen nicht mehr zum Zug kommen. Die RBA und die mit ihr verbundenen Firmen betreiben aber einen erheblichen Teil der regionalen Linien.
Einer der Angeklagten war früher im Ministerium zuständig für den Nahverkehr
Dass es eine große Nähe zwischen Busfirmen, Staat und Politik gibt, zeigt sich bei einem der nun Angeklagten – dem Geschäftsführer der Regionalbus Augsburg. Er war als ranghoher Ministerialbeamter in Bayern lange für Nahverkehr zuständig. Nach seiner Pensionierung war der Ex-Beamte drei Jahre der Chef einer halbstaatlichen Gesellschaft, die den Transrapid zum Münchner Flughafen planen sollte. Im Juli 2005 wechselte er dann als Geschäftsführer zur RBA, ausgestattet mit sechsstelligem Jahresgehalt. Heute, mit über 80 Jahren, arbeitet er noch immer als RBA-Chef. Auf Anfrage will er sich bisher nicht zu den Vorwürfen äußern.
Die angeklagten Busunternehmer vertreten offensichtlich die Ansicht, dass ihr Vorgehen nicht strafbar ist. Es gilt als strittig, ob die Kartellvereinbarung auch in die Tat umgesetzt worden ist. Anders sieht es bei zwei Firmen aus, die ebenfalls am Kartell beteiligt gewesen sein sollen, aber nicht angeklagt sind. Deren Chefs haben die Vorwürfe eingeräumt. Sie sind Kronzeugen. Im Gegenzug wurden die Verfahren gegen vier Verantwortliche der Firmen eingestellt. Sie haben strafrechtlich eine weiße Weste. Drei mussten als Auflage einen sechsstelligen Betrag zahlen, einer eine Millionensumme. Es hat sich gelohnt. Eine Firma, die sich „freigekauft“ hat, sicherte sich dann einen großen Auftrag im AVV.
Im Kreis Neu-Ulm gibt es bisher keine Ausschreibungen im Nahverkehr. Buslinien werden weiter direkt vergeben. Der Kreis hat ein Mitspracherecht, das letzte Wort die Regierung von Schwaben. Gegen eine Direktvergabe an die regionale Busfirma im Jahr 2016 – um die es im abgehörten Telefonat ging – hätten weder „fachliche noch sachliche Gründe“ gesprochen, sagt ein Sprecher des Landratsamts. Der zuständige Fachbereichsleiter im Amt versichert, das Konzessionsverfahren sei nur auf der Ebene der Verwaltung bearbeitet worden. Landrat Freudenberger habe zu keiner Zeit „meinungsbildend oder direktiv auf die Verwaltungsebene eingewirkt“.
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