Uniklinik Augsburg "fährt auf Verschleiß" - wie lange kann das gut gehen?
Die Krankenhäuser im Großraum Augsburg sind am Limit und teils darüber hinaus. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, könnte an der Uniklinik eine Triage zum Thema werden.
Die Lage in den Krankenhäusern in der Region ist angesichts der hohen Corona-Fallzahlen und den daraus folgenden Patientenzahlen weiterhin äußerst angespannt. "Wir haben an verschiedenen Stellen Überbelegungen. Die Krankenhäuser tun, was sie können", so Prof. Axel Heller, Chefarzt an der Uniklinik und Ärztlicher Leiter der Krankenhauskoordinierung im Großraum Augsburg. Inzwischen gebe es an den einzelnen Häusern auch keine Möglichkeiten mehr, zusätzliche Intensivbetten in Betrieb zu nehmen.
Die aktuelle Ist-Zahl von 117 Betten entspreche weitgehend dem, was maximal machbar sei, so Heller. Die Hessing-Klinik wird noch einige Intensivbetten zur Verfügung stellen können, sodass man über 120 Betten kommt. Alles, was an Behandlungen nicht mehr dringlich sei, müsse nun geschoben werden.
Uniklinik Augsburg bereitet sich auf drohende Triage vor
Neben Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Fachgesellschaften warnte zuletzt auch der Augsburger Landrat Martin Sailer (CSU) vor einer drohenden Triage an Krankenhäusern, also dass auch bei Patienten und Patientinnen mit dringlichem Behandlungsbedarf Prioritäten gesetzt werden müssen. "Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wahrscheinlich triagiert werden muss - wo der Unfallpatient mit dem Corona-Patienten in Konkurrenz um ein Intensivbett treten muss", so Sailer vergangene Woche. Heller sagte auf Nachfrage, dass auch die Uniklinik sich auf dieses mögliche Szenario vorbereite.
Es stehe nicht konkret an, betonte Heller, man könne sich aber auch nicht erst dann damit auseinandersetzen, wenn es gar nicht mehr anders gehe. "Es bleibt nichts anderes übrig, als vorher noch eine ganze Weile auf Verschleiß zu fahren, bevor es zu einer Entscheidung über eine Triage kommt", so Heller. Man wolle dieses Szenario vermeiden - um der Patienten und Patientinnen willen und um des medizinischen und pflegerischen Personals willen, das auswählen müsste, wer behandelt werden kann und wer nicht.
Intensivkapazitäten sind durch Corona-Patienten fast erschöpft
Laut Heller waren am Dienstag die Intensivkapazitäten zu 99 Prozent ausgelastet. "Es gibt drei freie Betten im ganzen Zweckverband, davon eines für Covid", so Heller am Dienstagvormittag. In den letzten Wellen habe man immer noch eine Reserve von vier Intensivbetten in der Hinterhand behalten, um noch reagieren zu können, wenn es größeren Zulauf auf die Intensivstationen gibt. "Diese Pufferkapazität ist jetzt aufgebraucht", so Heller. Auch das Abverlegen von transportfähigen Patienten und Patientinnen in Krankenhäuser mit noch freien Kapazitäten, das in den letzten Wellen die Versorgung in der Region sicherstellte, funktioniere immer schlechter. Aktuell seien auch die freien Betten in Nordbayern knapp. "Die Vorbereitungen für bundesweite Verlegungen müssen jetzt anlaufen. Wir brauchen Vorlauf. Wenn wir erst in der Situation sind, dass wirklich das letzte Bett voll ist, ist es zu spät", so Heller.
Die Augsburger Hilfsorganisationen berichten davon, dass sie teils längere Fahrten auf sich nehmen müssen, um Patienten und Patientinnen zu verlegen. "Bodengebundene Transportzeiten sind sehr lange und die Sauerstoffversorgung von Corona-Patienten muss über Stunden sichergestellt sein", so Michael Gebler, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Augsburger Hilfsorganisationen und BRK-Geschäftsführer. Speziell die Verlegung von Intensiv-Patienten - und Patientinnen sei ein Problem, weil weder das dafür nötige Personal noch die Gerätschaften auf normalen Krankentransportern vorhanden sei. Man appellierte an alle Bürger und Bürgerinnen, sich umgehend impfen zu lassen, so die Hilfsorganisationen.
Kein Personal: Ungenutzte Beatmungsgeräte im Keller der Uniklinik
In den Kliniken seien, anders als in der Vergangenheit, nicht Räumlichkeiten oder fehlende Beatmungsgeräte ein limitierender Faktor, sondern das Personal. Es gebe inzwischen weniger Betten, weil Pflegepersonal die Belastungen auf der Intensivstation nicht mehr aushalte. In manchen Kliniken in der Region stünden zusätzlich beschaffte Beatmungsgeräte im Keller, weil es nicht genug Personal gibt, um die dazugehörigen Betten zu betreiben. Die Staatsregierung hatte in der Vergangenheit alle Rettungsdienstbereiche aufgefordert, sich Gedanken über Notkrankenhäuser zu machen. Das sei aber kein Ausweg, so Heller. Wo es kein Personal gebe, sei es sinnlos, mehr Platz zu schaffen. Grundsätzlich sei es aber nötig, in Schwaben unabhängig von der Pandemie mehr Krankenhausbetten mit dem dazugehörigen Personal zu schaffen. Schwaben sei im Vergleich zu anderen Regierungsbezirken in der Krankenhausplanung benachteiligt.
Sollten die Patientenzahlen nicht sinken und keine Abverlegungsmöglichkeiten bestehen, wäre ein Szenario für die nächste Zeit, die in der jetzigen Akutphase ohnehin schon unterschrittenen gesetzlichen Personaluntergrenzen - diese legen fest, wie viel Pflegepersonal für ein Bett zuständig ist - in der Praxis noch weiter aufzuweichen, so Heller. Damit nehme man zunächst in Kauf, noch mehr Pflegekräfte zu verlieren, warnt Heller. Das werde die Lage kurzfristig und auch langfristig verschlimmern, vermeide aber zunächst eine Triage. Irgendwann könne das System aber trotzdem an eine Grenze kommen.
Bereits in der ersten Welle wurde mit dem klinischen Ethikkomitee ein Leitfaden entwickelt, wie damit umgegangen werden soll, wenn der Zulauf an Patienten und Patientinnen die Behandlungsmöglichkeiten so massiv überschreitet, dass nicht mehr alle mit dem sonst üblichen Aufwand behandelt werden können. Dann würde ein Punktesystem gebildet, das unter anderem Behandlungsbedürftigkeit und Überlebenschancen mit einbezieht, um Entscheidungen zu objektivieren. Ob jemand geimpft war oder nicht, ist kein Faktor bei der Entscheidung. Heller sagt, dass dies sehr schwierige Entscheidungen seien, die auch rechtliche Fragen aufwerfen.
Wie kommen die Kliniken im Raum Augsburg über den Winter?
Eine Prognose bis zum Frühjahr, wie die Kliniken mit der Situation umgehen, will Heller nicht abgeben. Es sei nicht vorherzusagen, wie sich steigende Inzidenzwerte dann auch ganz konkret in Patientenzahlen niederschlagen. Die Delta-Variante und das niedrigere Durchschnittsalter der Patienten und Patientinnen seien Faktoren, die sich im Vergleich zu den vergangenen Wellen geändert hätten. "Es bringt nichts, in einer Katastrophensituation zehn Züge im Voraus zu planen. Wir müssen ein Stück weit auf Sicht fahren", so Heller.
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