Ob ihm klar sei, dass in den Uniformen Männer und Frauen stecken, die einfach nur ihren Job machen, die Kinder haben und unverletzt nach Hause gehen wollen? Das fragt Richterin Rose Oelbermann den Angeklagten in strengem Ton. "Ich war alkoholisiert, ich habe nicht nachgedacht", sagt der junge Mann, der seine dunklen Dreadlocks zum Zopf gebunden hat. Immer wieder entschuldigt er sich während der Verhandlung für seine Taten. Der 20-jährige Äthiopier wurde am Freitag als einer der Haupttäter der Ausschreitungen in der Augsburger Maximilianstraße in jener Juni-Nacht vor dem Augsburger Amtsgericht verurteilt.
Als die Lage im Corona-Sommer 2021 in der Augsburger Maximilianstraße eskalierte und die Polizei sich kurz vor Mitternacht entschloss, die Straße zu räumen, soll der junge Mann laut Anklage mit Glasflaschen und einer 80 Zentimeter langen Stange nach den Polizistinnen und Polizisten geworfen haben. Die Stange, bei der es sich um eine metallene Luftpumpe gehandelt haben könnte, traf einen unbeteiligten Passanten an der Schulter. Der damals noch 19-Jährige ignorierte die Platzverweise, stattdessen sorgte er weiter für Ärger in der Innenstadt. An der Tankstelle am Leonhardsberg soll er schließlich die dorthin abgewanderte Menge angestachelt haben. Der Anklage zufolge habe er die Beamten beschimpft und beleidigt. "Hurensöhne, "ich werde euch ficken", "Bastarde" und ähnliche unschöne Ausdrücke soll er gerufen haben. Außerdem war in seiner Unterhose Marihuana gefunden worden. Vor Gericht steht der junge Mann unter anderem wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung.
Krawalle in Augsburg: 20-Jähriger sitzt seit fünf Monaten in U-Haft
Der inzwischen 20-Jährige hört sich die Anklage, die von Oberstaatsanwältin Andrea Eisenbarth verlesen wird, aufmerksam an. Einer Frau im Zuschauerraum, offenbar seine Mutter, kommen die Tränen. Ihr Sohn war rund eine Woche nach den Krawallen in der Nacht auf Juni festgenommen worden. Seitdem befand sich der Schüler in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in München-Stadelheim. Vor Gericht lässt er zunächst seinen Verteidiger Felix Hägele sprechen.
"Meinem Mandanten ist es peinlich, was er gemacht hat. Er will die Verantwortung für sein Handeln übernehmen", trägt der Verteidiger vor. Er habe mit ihm im Gefängnis die Videos aus der Tatnacht angesehen. "Er erkannte sich nicht wieder." Hägele gibt einen kurzen Einblick in das Leben seines Mandanten. Dieser sei mit seiner Mutter als politisch Verfolgte aus Äthiopien nach Deutschland geflohen. Der Vater sei der Familie weggenommen worden. Sein Mandant habe in psychischer Hinsicht Aufarbeitungsbedarf. "Er will sich aber nicht als Opfer darstellen. Er weiß, er hat sich daneben benommen."
Im Gericht werden Videosequenzen der Randale gezeigt
Wie, das wird später im Gerichtssaal deutlich, als Videoaufnahmen aus der Nacht gezeigt werden, auf denen Situationen mit dem Angeklagten zu sehen sind. Um den vielen Tatverdächtigen auf die Spur zu kommen, haben die Ermittler hunderte Videos und Bilder akribisch ausgewertet. In manchen Szenen ist der junge Mann gut zu erkennen, er trug an dem Abend ein weiß-rot gestreiftes Shirt. Man sieht, wie er in der aufgebrachten Menge am Herkulesbrunnen steht, wie er später einen Gegenstand in Richtung Polizisten wirft. Ein unbeteiligter junger Mann wurde getroffen.
"Ich war erstmal benommen", erzählt jener Zeuge Richterin Oelbermann. Er habe damals eine Prellung an der Schulter davongetragen. Der Angeklagte habe sich bei ihm und seinem Freund entschuldigt. Er habe ihn nicht treffen wollen, sondern Polizisten, soll der 20-Jährige laut dem Zeugen gesagt haben. Der Angeklagte entschuldigt sich erneut, er spricht gut Deutsch. "Das hätte ganz anders ausgehen können. Aber immerhin danke für die Entschuldigung", erwidert der Zeuge.
Ein Polizeibeamter schildert die Eskalation in jener Nacht. Kurz vor Mitternacht habe sich der Leiter des Innenstadt-Reviers entschlossen, die Maximilianstraße zu räumen. "Ich habe schon den G20-Gipfel und das Schanzenviertel erlebt, aber dass so etwas in der Maxstraße passieren kann, hätte ich nie gedacht." Fast surreal sei es gewesen. Der Angeklagte sei mit seinem aggressiven Verhalten aus der Menge herausgestochen. Wie der Polizist nebenbei erwähnt, habe er bei dem Einsatz viele andere straffällige Jugendliche wiedererkannt. Der Angeklagte selbst war bislang wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen.
Eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe berichtet von einem Gespräch mit der Mutter des Angeklagten. Demnach habe der Sohn immer mehr gekifft, sei gegenüber der Mutter unfreundlich geworden, habe geschlägert. Auch habe er seine therapeutischen Stunden in der Jugendpsychiatrie des Josefinums seit Frühjahr dieses Jahres schleifen lassen. Dort war der junge Mann auch wegen einer posttraumatischen Störung in Behandlung. Wegen einer diagnostizierten psychischen Erkrankung bestehe gegen ihn ein Abschiebeverbot, so die Jugendhilfe.
Angeklagter erhält nach Krawallnacht in der Maximilianstraße eine Bewährungsstrafe
Der 20-Jährige wird für seine Beteiligung an den Ausschreitungen in der Krawallnacht zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Richterin Rose Oelbermann führte aus, man könne davon ausgehen, dass die fünf Monate in Untersuchungshaft einen ausreichenden Eindruck beim 20-Jährigen hinterlassen hätten, sodass er alles daran setzen werde, nicht wieder im Gefängnis zu landen. Der Angeklagte muss außerdem 120 Sozialstunden ableisten, die Richterin sprach zudem mehrere Weisungen aus: Ein Jahr Zusammenarbeit mit der Drogenhilfe Schwaben, die Wiederaufnahme der ambulanten Therapie im Josefinum, die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs sowie Betreuungsstunden beim Verein "Die Brücke". Das Urteil ist rechtskräftig.