Nach drei Monaten ist am Mittwoch im ersten Prozess um Millionenbetrügereien der sogenannten „Pflege-Mafia“ das Urteil gefallen: Die 10. Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Johannes Ballis hat fünf Verantwortliche des Pflegedienstes „Fenix“ wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu Freiheitsstrafen zwischen 20 Monaten sowie fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Drei Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Der Pflegedienst hat Kranken- und Pflegekassen über sieben Jahre hinweg systematisch durch falsche Abrechnungen um über drei Millionen Euro geschädigt.
So wurden Leistungen an vor allem russischsprachigen Patienten abgerechnet, die gar nicht erbracht worden waren. Außerdem waren mit den Patienten Verträge über eine 24-Stunden-Pflege abgeschlossen worden, obwohl mit den Kassen dazu gar keine Vereinbarung bestand.
Pflege-Betrug in Augsburg: Im Herbst 2019 gab es eine Großrazzia
Im Oktober 2019 waren bei einer Großrazzia acht Pflegedienste im Stadtgebiet sowie 120 Wohnungen durchsucht worden. An der Razzia nahmen 500 Polizisten teil. Der erste Prozess, der nach 15 Verhandlungstagen zu Ende ging, war anfänglich bis in den Dezember hinein terminiert worden. Allein die Anklage umfasste über 400 Seiten. Die fünf Angeklagten waren von zwölf Verteidigern vertreten worden. Dass der Mammutprozess früher als gedacht abgeschlossen werden konnte, ist vor allem den Geständnissen der Angeklagten zu verdanken.
Mit über fünf Jahren Haft am härtesten Bestraft wurde Julia L., die offiziell als Qualitätsbeauftragte des Pflegedienstes firmierte. Wegen einer Vorstrafe hatten die Kassen sie nicht als Leiterin akzeptiert. Tatsächlich war die 43-Jährige aber laut Gericht die „heimliche Chefin“ und damit „für alles verantwortlich“, wie Richter Ballis sagte. Der mitangeklagte Rechtsanwalt Torsten A. hatte eigens für Julia L. ein Strohmann-Konstrukt entworfen, in das seine ganze Familie offiziell eingebunden war. Dominik Hofmeister und Klaus Rödl, Anwälte von Julia L., räumten in ihrem Plädoyer ein, ihre Mandantin habe schwere Schuld auf sich geladen. „Aber sie hat auch für den Pflegeberuf gelebt, sie ist in ihrem Beruf aufgegangen und hat Verantwortung übernommen“.
Verteidiger im Augsburger Prozess sagen: „Sie hatte Angst, ihren Job zu verlieren“
Der Ehemann der gebürtigen Ukrainerin, Richard R., muss für drei Jahre und drei Monate hinter Gitter. Er war dem Urteil zufolge der „zweite Mann“ bei „Fenix“, als Buchhalter und Hausmeister tätig. Seine Verteidiger, Thorsten Junker und Patrick Ottmann, erklärten, ihr Mandant sei „eher im Hintergrund" tätig gewesen und habe das gemacht, was Anwalt Torsten A. vorgeschlagen habe. Eine 59-jährige Angeklagte erhielt eine Bewährungsstrafe von 20 Monaten. Sie war formal zur Pflegedienstleiterin ernannt worden. Dem Urteil zufolge hatte sie tatsächlich aber eine untergeordnete Position inne. Ihre Anwälte Martina Sulzberger und Moritz Bode sagten, die Angeklagte habe gemacht, was von ihr verlangt worden sei: „Sie hatte Angst, ihren Job zu verlieren. Und jetzt steht sie vor dem Nichts“.
Als erste im Prozess hatte eine 42-jährige "Fenix"-Mitarbeiterin ein Geständnis abgelegt. Ihr Job war es, Patienten auf die Prüfer des medizinischen Diensts der Krankenkassen vorzubereiten. Diese Patienten sollen systematisch manipuliert worden sein. Einer Patientin hatte sie deshalb auch ein Beruhigungsmittel verabreicht, weshalb sie neben Betrugs auch wegen Körperverletzung mit einer Bewährungsstrafe von 22 Monaten sanktioniert wurde. Ihr Verteidiger Walter Rubach sagte, die Angeklagte sei „keine zentrale Figur“ gewesen. Anwalt Torsten A. kam ebenfalls mit einer Bewährungsstrafe von 21 Monaten davon.
Die Anwälte Andreas Thomalla und Berthold Braunger erklärten, der Angeklagte müsse für sein Strohmann-Konstrukt geradestehen. Der Pflegedienst sei in der Hand seiner Familie gewesen, deshalb müsse diese auch den Wertersatz von über 1,5 Millionen Euro leisten. Der verurteilte Anwalt muss außerdem 10 000 Euro an die Staatskasse zahlen.
Gericht lobt die Ermittlungen der Augsburger Kripo
Die vom Gericht verhängten Strafen bewegen sich meist zwischen den Forderungen der Verteidiger und der Staatsanwaltschaft. Der Vorsitzende Richter Ballis sprach in der Urteilsbegründung von „Manipulationen und Verschleierungsmaßnahmen“ mit einer besonderen Gemeinschädlichkeit über Jahre hinweg. Ausdrücklich lobte das Gericht die Ermittlungsarbeit von Staatsanwaltschaft und Augsburger Kripo in diesem Fall. Auch die Anwälte hätten „ohne fragwürdige Verteidigermethoden“ für ihre Mandanten das bestmögliche Ergebnis erreicht. Alle Schuldsprüche sind noch nicht rechtskräftig. Aktuell läuft in Augsburg auch noch ein zweiter Prozess, in dem es um vergleichbare Betrugsmethoden bei einem anderen Pflegedienst geht. Dessen Chef, der ebenfalls auf ein Strohmannkonstrukt zurückgegriffen hatte, hatte über sieben Millionen Euro in bar gebunkert.