Das Leben eines Menschen kann man nicht zurückholen. Ein tödlicher Messerstich ist nicht wiedergutzumachen. Was bleibt, ist für den Täter, in diesem Fall die Täterin, eine gerechte Strafe zu finden. Fabienne K., 20, die am Abend des 25. November 2020 dem 28-jährigen Stefan D. an einer Bushaltestelle in Pfersee mit einem Taschenmesser mitten ins Herz stach, sodass er verblutete, hat am Montag in ihrem "letzten Wort" im Mordprozess vor der Jugendkammer beim Landgericht mit bewegenden Worten ihr Bedauern über die Tat ausgedrückt: "Es tut mir leid. Ich hoffe, dass er jetzt an einem besseren Ort ist, wo er Liebe erfährt. Und ich hoffe, dass er mir vergibt."
Die Staatsanwaltschaft hat wegen Mordes eine Jugendstrafe von neun Jahren und zwei Monaten für die junge Frau gefordert. Die Verteidiger Werner Ruisinger und Florian Schraml halten lediglich den Tatbestand des Totschlags für erfüllt und eine Strafe von sechs Jahren für angemessen. Das Gericht unter Vorsitz von Lenart Hoesch will das Urteil am Dienstag, 10.30 Uhr, verkünden.
Nach der Beweisaufnahme in dem mehrwöchigen Prozess steht ohne Zweifel fest, dass die Angeklagte für den Tod des 28-jährigen Mannes - von Freunden Dorschi genannt - verantwortlich ist. Doch wie ist sie zu bestrafen, welcher Straftatbestand ist erfüllt, was war das Motiv? Darüber gehen die Meinungen von Anklage und Verteidigung auseinander.
Prozess um Stich an Haltestelle: Staatsanwalt glaubt Fabienne K. nicht
Staatsanwalt Thomas Junggeburth hält eindeutig das Mordmerkmal der Heimtücke für gegeben. Dass die Angeklagte ihren Freund habe schützen wollen, nachdem Dorschi ihm angeblich zuvor an den Po gegriffen hatte und es deshalb zu einer Rangelei gekommen war, glaubt der Ankläger nicht. Auch nicht, dass Fabienne K. in Panik geraten ist, weil sie Angst vor Männern habe nach zweier Vergewaltigungen. Was letztlich das Motiv für den Messerstich war, darüber könne man nur spekulieren, sagt der Staatsanwalt. Fabienne habe aus ihrer Handtasche das Messer geholt, es in ihre Manteltasche gesteckt, dann aufgeklappt, sei auf das Opfer zugegangen und habe wuchtig zugestochen, sodass die Klinge in den Herzbeutel eindrang und Stefan D. in kurzer Zeit verblutete. "Wer in dieser Situation in den Brustbereich sticht, nimmt den Tod eines Menschen in Kauf." Junggeburth fordert wegen Mordes eine Jugendstrafe von neun Jahren und zwei Monaten. Das Strafmaß liegt knapp unterhalb der möglichen Höchststrafe von zehn Jahren nach dem Jugendstrafrecht.
Anwalt Nicolas A. Frühsorger, der für seinen Kollegen Michael Weiss am Montag die im Verhandlungssaal sitzende Mutter und den Bruder des Getöteten als Nebenkläger vertritt, stellt das Leid der Familie in den Mittelpunkt seines Plädoyers. "Was der Familie angetan wurde, ist mit keiner Strafe zu kompensieren", sagt der Anwalt. Die Angeklagte habe sich ohne Not in eine Rangelei eingemischt, die sich ohnehin aufgelöst hätte. Die Familie werde ein Leben lang an die Tat erinnert. In der strafrechtlichen Beurteilung und im Strafmaß schließt sich Frühsorger dem Ankläger an.
Angeklagte Fabienne K. hatte Kindheit ohne Liebe und Aufmerksamkeit
Verteidiger Florian Schraml bittet das Gericht, das Leben von Fabienne in den Blickwinkel zu nehmen, um die Tat zu beurteilen. Er zieht einen weiten Bogen von der schwierigen Kindheit ohne Liebe und Aufmerksamkeit über epileptische Anfälle und Mobbing in der Schule bis zu Freitodgedanken und zwei Vergewaltigungen. Der Verteidiger geht davon aus, dass seine Mandantin in Panik zugestochen habe, weil es zuvor durch Stefan D. zu einem "sexuellen Übergriff" auf ihren Freund gekommen war. Sein Anwaltskollege Werner Ruisinger bezweifelt, dass das Opfer sich in einer arglosen Situation befunden und dass Fabienne K. diese Situation ausgenutzt habe. "Das Opfer wusste, dass es Stress gibt und musste zu diesem Zeitpunkt mit einem körperlichen Angriff rechnen."
Das Mordmerkmal der Heimtücke sei also nicht erfüllt, so beide Verteidiger. Die Angeklagte habe sich in eine Panik hineingesteigert: "Sie wollte ihren Freund nicht alleinlassen." Alkohol und psychische Beeinträchtigungen hätten bei der Tat eine Rolle gespielt, der Angeklagten könne verminderte Steuerungsfähigkeit zugebilligt werden. Wegen Totschlags, so die Verteidiger, sei eine Jugendstrafe von sechs Jahren gerechtfertigt.