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Prozess in Augsburg: Schüsse im Netto am Kö - neue Details zum Vorfall am Königsplatz

Prozess in Augsburg

Schüsse im Netto am Kö: Angeklagter soll "Ich stech' dich ab" gerufen haben

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    Laut Anklage ging der mutmaßliche Ladendieb mit einem Messer auf Polizisten zu - diese schossen daraufhin auf den 20-Jährigen. Nun ist der Fall in Augsburg vor Gericht.
    Laut Anklage ging der mutmaßliche Ladendieb mit einem Messer auf Polizisten zu - diese schossen daraufhin auf den 20-Jährigen. Nun ist der Fall in Augsburg vor Gericht. Foto: Silvio Wyszengrad

    Andreas L. (Name geändert) geht in den Gerichtssaal und weiß zunächst nicht recht, wo er hin soll. Begleitet wird er von zwei Polizisten, er kommt aus der U-Haft. Sein Platz ist vorne; es ist der Stuhl, auf dem Angeklagte sitzen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg geht davon aus, dass L., 20 Jahre alt, im Juni 2020 versucht hat, Polizisten mit einem Messer anzugreifen, und ihren Tod in Kauf nahm. Zwei der Beamten schossen auf ihn; den Ermittlungen zufolge hatten sie kaum eine andere Wahl. In der Anklage, die Staatsanwalt Benjamin Junghans zum Prozessstart verliest, wird Andreas L. unter anderem versuchter Totschlag vorgeworfen. Vor dem Landgericht kommen dabei auch neue, bislang nicht bekannte Details ans Licht, die eine dramatische Situation schildern.

    Als der mutmaßliche Ladendieb laut Anklage mit einem Messer auf die Polizisten zuging, schossen diese. Der beschuldigte 20-Jährige muss sich in Augsburg vor Gericht verantworten.
    Als der mutmaßliche Ladendieb laut Anklage mit einem Messer auf die Polizisten zuging, schossen diese. Der beschuldigte 20-Jährige muss sich in Augsburg vor Gericht verantworten. Foto: Peter Fastl (Archivbild)

    Demnach entwickelte sich die Situation aus einer vergleichsweise banalen Ausgangslage heraus. Andreas L. wollte der Anklage zufolge gegen 18.45 Uhr im Netto-Supermarkt am Königsplatz in Augsburg ein Tetrapak Wein im Wert von einem Euro stehlen und wurde dabei von einem Security-Mitarbeiter des Supermarktes erwischt. Er hatte ein Feuerzeug dabei - und ein Messer mit einer Klingenlänge von acht Zentimeter, das auf einem etwa 20 Zentimeter langen Griff aufgesetzt war. Der Sicherheitsmann des Supermarktes brachte den 20-Jährigen den Ermittlungen zufolge in ein Büro. Als die Polizei erschien, sei Andreas L. mit dem Messer auf einen der Beamten zugegangen, dieser habe seine Dienstwaffe gezogen. Der Polizist soll „Messer weg, oder ich schieße!“ gerufen haben, Andreas L. sei jedoch weiter auf den Beamten zugegangen und habe „Ich stech' dich ab, du Arschloch!“ gerufen. Der Polizist schaffte es demnach, die Bürotür zuzuziehen und anschließend von außen zu versperren, und rief Verstärkung.

    Prozess in Augsburg: Ladendieb soll versucht haben, Polizisten mit Messer anzugreifen

    Andreas L. soll mit seinem Feuerzeug Papier angezündet haben, das im Zimmer herumlag, auch ein Bürostuhl geriet offenbar in Brand. Die Polizisten sahen den Rauch und mussten der Anklage zufolge sofort reagieren, im Supermarkt waren wohl noch Kunden. Zu einer detaillierten Planung des weiteren Vorgehens, so sieht es die Staatsanwaltschaft, war für die Beamten keine Zeit mehr. Ein Polizist rammte der Darstellung zufolge die Bürotür auf, dann forderten sie "den Angeklagten wiederholt auf, aufzugeben, das Messer wegzulegen und herauszukommen", sagt Staatsanwalt Benjamin Junghans.

    Stattdessen soll der 20-Jährige mit Gegenständen nach den Polizisten geworfen haben. Laut Anklage versuchten die Polizisten einiges, um Andreas L. zu stoppen, ehe sie schossen. Einer der Beamten sprühte eine Dose Pfefferspray leer und wollte den Angeklagten auch mit einem Feuerlöscher zurückhalten, ein anderer Polizist versuchte, den Mann mit einer Decke zu Boden zu ringen, was misslang. Der Angeklagte soll mit dem Messer in der erhobenen Hand auf die Beamten zugelaufen sein, um sie "zu attackieren und gegebenenfalls tödlich zu verletzen", so Junghans. In einer offenbar unübersichtlichen und enorm hektischen Lage, umgeben von Rauch und Löschschaum, schossen zwei der Polizisten dem 20-Jährigen in den Oberkörper.

    Insgesamt fielen nach Informationen unserer Redaktion sechs Schüsse. Wie berichtet, wurde Andreas L. von drei Kugeln in Rumpf und Arm getroffen. Die Verletzungen waren erheblich, erst nach einigen Wochen konnte er das Krankenhaus verlassen. Wie in solchen Fällen üblich, überprüfte das Landeskriminalamt den Schusswaffengebrauch der Polizisten. Ein strafbares Verhalten der Beamten sahen die LKA-Ermittler und die Staatsanwaltschaft nicht. Zum Prozessstart schweigt Andreas L. Sein Verteidiger Werner Ruisinger hatte unserer Redaktion in der Vergangenheit gesagt, es habe seitens seines Mandanten definitiv keinen Tötungsvorsatz gegeben.

    Schüsse auf Mann in Augsburger Netto: Anwalt zweifelt Ermittlungsergebnisse an

    War es so, wie die Staatsanwaltschaft annimmt? Rechtsanwalt Thomas Galli, der Andreas L. in zivilrechtlichen Angelegenheiten vertritt, äußerte unserer Redaktion gegenüber im März Zweifel an der Darstellung der Ermittlungsbehörden. Er glaubt, dass sich die Situation anders hätte lösen lassen können. Er kritisierte auch, dass bereits eingeschaltete Bodycams beteiligter Polizisten im Einsatz wieder ausgeschaltet worden seien, bevor es zu den Schüssen kam - das sei zumindest "erklärungsbedürftig". Als Strafverteidiger im Prozess trat Anwalt Galli zum Prozessstart nicht auf.

    Anwalt Galli hatte auch Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft München gegen die Entscheidung der Augsburger Staatsanwaltschaft eingelegt, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Polizisten abzusehen. Nach Auskunft der Augsburger Staatsanwaltschaft hat die Generalstaatsanwaltschaft diese Beschwerde zwischenzeitlich verworfen.

    Die Anklage zeichnet das Bild eines jungen Mannes, der offenbar massive Alkohol- und Drogenprobleme hatte und seit Längerem immer wieder Straftaten beging. 14 weitere Delikte werden Andreas L. zur Last gelegt. Er soll sie seit Mitte März 2020 begangen haben. Es geht unter anderem um Diebstähle, Körperverletzungsdelikte sowie mehrfachen Angriff auf und Widerstand gegen Polizisten und einen Verstoß gegen das Waffengesetz.

    Dass Polizisten im Augsburger Raum auf Menschen schießen, kommt nur selten vor. Im Augsburger Stadtgebiet war es das letzte Mal beim Polizistenmord 2011 im Siebentischwald, als Beamte in Notwehr schossen. Sie waren auf einer Verfolgungsjagd nachts in einen Hinterhalt geraten – ein 41-jähriger Beamter starb, die beiden später verurteilten Täter wurden wohl nicht getroffen.

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    Am Freitagabend kam es zu einem Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr am Königsplatz - dabei hat die Polizei wohl auch geschossen.

    Der letzte zurückliegende Fall in der Region datiert von Mitte April vergangenen Jahres. In Kissing schoss ein Polizist einem 48-Jährigen in den Oberschenkel. Der 48-Jährige war laut Landeskriminalamt zuvor mit einem Stichwerkzeug und trotz Warnung auf die Polizisten zugekommen, die wegen eines Familienstreits alarmiert worden waren.

    Der Prozess gegen Andreas L. soll bis in den Juli hineindauern; die Jugendkammer unter Richter Lenart Hoesch hat 12 Verhandlungstage angesetzt.

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