Dieses Durchschnittsalter der Angeklagten gibt es selten in einem Gerichtssaal. Vier von sechs Angeklagten sind über 70, drei von ihnen haben schon den 80. Geburtstag gefeiert. Eigentlich kennt man das nur aus Krimikomödien, in denen eine Rentner-Bande erwischt wird. Hier jedoch, im Saal 201 des Augsburger Justizpalasts, sitzen angesehene Chefs von Busunternehmen aus der Region, klassische Mittelständler. Sollen sie auch eine Gruppe sein, die Straftaten begangen hat? Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen das zumindest vor. Die Busfirmen sollen, so steht es in der Anklage, mit Absprachen den Wettbewerb im Nahverkehr torpediert haben. Das hohe Alter der Angeklagten ist in diesem Fall ein Problem, denn sie gehören zur Risikogruppe, die bei einer Infektion mit dem Coronavirus besonders gefährdet ist. Das sorgt gleich zum Prozessauftakt für Krach.
Zumal es ein Mammutprozess ist. Neben den Angeklagten ist eine Phalanx von Anwälten dabei, zudem Geschäftsführer von Busfirmen, die nach dem Willen der Staatsanwaltschaft ein Bußgeld zahlen sollen. Zusammen sind es fast 40 Prozessbeteiligte. Die Wirtschaftskammer des Landgerichts hat deshalb von einem Mediziner ein Hygienekonzept erstellen lassen. Mehrere Verteidiger gehen aber dennoch auf die Barrikaden. Sie bemängeln, dass Mindestabstände nicht eingehalten werden. Der Prozess, sagt Anwalt Thorsten Junker, sei eine Gefahr für die Gesundheit. Er hat einen Meterstab mitgebracht, um die Abstände zu messen.
Prozess in Augsburg: Anklage wirft Busunternehmen illegale Absprachen vor
Die Richter sehen das allerdings anders – und wollen den Prozess erst einmal durchziehen. Um die Frage der Corona-Regeln, aber auch um andere Fragen zum Ablauf des Verfahrens, entwickelt sich zu Prozessbeginn ein juristisches Tauziehen. Es dauert mehr als zwei Stunden, bis überhaupt die Anklageschrift verlesen werden kann. Darin wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten „wettbewerbsbeschränkende Absprachen“ vor. Genannt wird eine Reihe von Ausschreibungen für Buslinien, bei denen die Kartellabsprachen gegriffen haben sollen. Es geht um die Jahre 2015 bis 2017 – und um Nahverkehrslinien im Gebiet des Augsburger Verkehrs- und Tarifverbunds (AVV) sowie im Kreis Dillingen. Die Aufträge hatten demnach ein Volumen von insgesamt rund 70 Millionen Euro.
Im Zentrum des Kartellverdachts steht die Regionalbus Augsburg GmbH, kurz RBA. Das Unternehmen ist mehrheitlich im Besitz regionaler Busfirmen. Sie sollen, so sehen es die Ermittler, das Kartell gebildet haben. Die Ermittler stießen auf ein 14 Jahre altes Dokument, welches nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den Verdacht belegt.
Die Busunternehmer hatten vereinbart, sich bei ihren Regionalbuslinien keine Konkurrenz zu machen. Es geht dabei um Buslinien, die teils seit vielen Jahrzehnten von den Firmen betrieben wurden. Wer sich nicht an die Vereinbarung hielt, sollte 100.000 Euro Strafe zahlen.
Ein Hintergrund ist, dass Kommunen, Landkreise und Verkehrsverbünde die Buslinien immer häufiger europaweit ausschreiben. Früher war das nicht üblich. Busfirmen beantragten eine Lizenz für eine Linie und konnten staatliche Zuschüsse bekommen, wenn diese nicht rentabel zu betreiben war. Eine Befürchtung in der Branche war, dass mit den neuen Vergaben Mittelständler gegenüber größeren Konzernen das Nachsehen haben.
Ein Verteidiger sagt: "Mit einem Kartell hat das rein gar nichts zu tun"
Ein zentrale Frage wird sein, ob die schriftliche Absprache auch in der Praxis umgesetzt wurde. Verantwortliche von zwei Busfirmen haben in dem Verfahren die Rolle von Kronzeugen. Sie haben zu dem mutmaßlichen Kartell gegenüber den Ermittlern ausgesagt, im Gegenzug wurden ihre Strafverfahren gegen die Zahlung von Geldauflagen eingestellt. Die jetzt angeklagten Firmenverantwortlichen haben sich im Prozess noch nicht geäußert, weil zum Auftakt nur die Anklage verlesen worden ist. Wie zu hören ist, denken aber mehrere Busunternehmer daran, auszusagen – um zu erklären, warum sie sich aus ihrer Sicht nicht strafbar gemacht haben und zu Unrecht im Visier der Justiz sind.
Nicol Andreas Lödler, Anwalt eines 83-jährigen Busunternehmers, sagt, sein Mandant wolle sich eigentlich erklären. Auch, um sich zu rehabilitieren. Der Verteidiger Dirk Schrep sagt, es sei den Firmen darum gegangen, sich an Ausschreibungen beteiligen zu können – und das sei bei kleineren Firmen eben nur mit Bietergemeinschaften möglich. Er meint: „Mit einem Kartell hat das rein gar nichts zu tun.“ Und er schießt scharf gegen das Bundeskartellamt. Dem gehe es offenbar nur darum, den Firmen möglichst hohe Bußgelder „abzuknöpfen“.
Es wird noch eine Weile dauern, bis klar ist, wie das Gericht den Fall sieht. 20 Prozesstage sind angesetzt, ein Urteil ist nach diesem Zeitplan erst im nächsten Jahr zu erwarten.
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