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Prozess in Augsburg: Prostituierten-Mord: Wie verdeckte Ermittler Stefan E. überführen wollten

Prozess in Augsburg

Prostituierten-Mord: Wie verdeckte Ermittler Stefan E. überführen wollten

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    Seit Dezember steht Stefan E. - hier im Gespräch mit Verteidiger Klaus Rödl - vor Gericht. Er soll die Prostituierte 1993 ermordet haben.
    Seit Dezember steht Stefan E. - hier im Gespräch mit Verteidiger Klaus Rödl - vor Gericht. Er soll die Prostituierte 1993 ermordet haben. Foto: Klaus Rainer Krieger

    Irgendwann soll Stefan E. seinem Kumpel Morde gestanden haben. Es ging wohl teils um Fälle, die Jahre oder Jahrzehnte zurücklagen, und man kann an dieser Stelle nur spekulieren, was nach dieser Erzählung in dem Kumpel vorging. Ob er erleichtert war, erfreut geradezu? Immerhin war der Kumpel, der im Dezember 2016 wie aus dem Nichts im Leben von Stefan E. aufgetaucht war, kein echter Freund, sondern ein verdeckter Ermittler. Und Stefan E. der Tatverdächtige in einem Augsburger Mordverfahren. Wenn es gestimmt hätte mit den Verbrechen, dann wäre dem Polizisten ein dicker Fisch ins Netz gegangen, ein Mehrfachtäter vielleicht.

    Wenn. Vielleicht machte sich beim Undercover-Polizisten auch ein anderes Gefühl breit, Resignation oder Frust. Denn die Taten, die der Verdächtige offenbar so freimütig beichtete, ohne zu ahnen, wer sein Bekannter wirklich war, existierten nicht oder hatten sich nicht so abgespielt. Und die eine Tat, wegen der gegen ihn ermittelt wurde, bestritt Stefan E. vehement: den Mord an einer Prostituierten in Augsburg vor mehr als 25 Jahren. Ein notorischer Lügner sei der Mann, befanden die verdeckt arbeitenden Beamten später angesichts der Geständnisse von Fantasietaten. Das klingt eher nach Frust.

    Es ist ein spektakuläres Verfahren, das seit Dezember 2018 am Augsburger Landgericht verhandelt wird. Stefan E., 50 Jahre alt und aus Augsburg stammend, ist dort angeklagt, weil er im September 1993 die Prostituierte Angelika Baron umgebracht haben soll. Er soll damals ihr Freier gewesen sein und, so wirft es ihm die Staatsanwaltschaft vor, die Frau in einer Samstagnacht mit einem hölzernen Möbelfuß geschlagen und dann erwürgt haben.

    Der Mordfall Angelika Baron blieb all die Jahre ungeklärt

    Bereits im Jahr 1993 hatten die damaligen Beamten der Kriminalpolizei intensiv ermittelt, um an den Täter zu kommen. Sie ließen Fotos des hölzernen Möbelfußes veröffentlichen, der neben der Leiche gefunden worden war, befragten etliche Zeugen aus dem Rotlichtmilieu und prüften die Alibis von Freiern. Sie lobten 5000 Mark für Hinweise aus und versprachen „absolute Vertraulichkeit“ – und kamen doch nicht zum Ziel. All die Jahre blieb der Fall ungeklärt.

    Doch im Jahr 2016 rückte ein neuer Verdächtiger in den Fokus der Polizei, nachdem die Beamten die DNA-Spuren noch einmal mit Datenbanken abgeglichen hatten. Es gab einen Treffer: Die Spuren passten zu Stefan E., dessen Gen-Material sich an mehreren Stellen an der Leiche der Frau befunden hatte. Ein Mann, der in einer kleinen Mietwohnung nahe der Augsburger Innenstadt lebte und in den Jahren zuvor zwar wegen Drogendelikten aufgefallen war, nicht aber wegen Gewaltverbrechen.

    Ende 2016 tauchten „Chris“ und „Bernd“ in Augsburg auf

    Angelika Baron wurde 1993 ermordet. Mehr als 25 Jahre später könnte das Rätsel um ihren Tod gelöst werden.
    Angelika Baron wurde 1993 ermordet. Mehr als 25 Jahre später könnte das Rätsel um ihren Tod gelöst werden. Foto: Bernd Hohlen (Repro)

    Die Kriminalpolizei betrieb immensen Aufwand, um den „Cold Case“, wie alte Kriminalfälle genannt werden, doch noch zu lösen. Die Beamten wälzten Aktenberge, arbeiteten sich in das Augsburger Rotlichtmilieu der 1980er und 1990er Jahre ein. Sie überwachten das Telefon des Verdächtigen, richteten eine Ermittlungsgruppe ein, die sich im Umfeld von Stefan E. umhörte, machten alte Bekannte des Mannes ausfindig, befragten ehemalige Zuhälter, Prostituierte, Freier. Und sie griffen zu einer Ermittlungsmethode, die sehr aufwendig ist und deshalb nicht oft genutzt wird: Sie setzten zwei verdeckte Ermittler auf Stefan E. an. Zwei Männer, die Ende 2016 in Augsburg auftauchten und sich „Chris“ und „Bernd“ nannten. Männer, die sich mit einer Legende Zugang zum Leben des Verdächtigen verschafften. Wie genau die Geschichte ging, die sich ihm auftischten, ist unklar. Wohl aber, dass die beiden über Monate hinweg Vertrauen zu Stefan E. aufbauten. Bis er ihnen gegenüber Verbrechen einräumte, die er gar nicht begangen hatte.

    Vieles, was „Chris“ und „Bernd“ in den Monaten taten, in denen sie in Augsburg waren, lässt sich nur schwer verifizieren. Wer beim Innenministerium nachfragt, ob dieses oder jenes so stimme, erhält die wenig überraschende Antwort, dass der Einsatz von verdeckten Ermittlern einer besonderen Geheimhaltung unterliege und man bestimmte Details nicht öffentlich erörtern könne. Anderes wiederum kam im Laufe der Gerichtsverhandlung gegen Stefan E. öffentlich zur Sprache, etwa in einer „Sperrerklärung“ des Ministeriums, die von der Strafkammer verlesen wurde. Daraus geht zum Beispiel hervor, dass der Einsatz der beiden Undercover-Polizisten im Dezember 2016 begann, dass Stefan E. Verbrechen gestand, die er offenbar gar nicht begangen haben konnte, dass sich einer der beiden Ermittler immerhin gut 60 Mal mit dem Verdächtigen getroffen hatte.

    Die Männer gingen mit dem mutmaßlichen Mörder Stefan E. einen heben

    Gut 60 Kontakte zwischen Dezember 2016 und maximal November 2017, ehe Stefan E. in Untersuchungshaft kam – das bedeutet mutmaßlich auch jede Menge Kontakt zum Alkoholiker- und Drogenmilieu Augsburgs, in dem sich Stefan E. aufhielt. Es gibt angenehmere Jobs – auch, weil ein bürgerliches Leben in dieser Zeit eher nicht möglich ist. Normale Polizeibeamte dürfen im Dienst keinen Alkohol trinken, für verdeckte Ermittler sieht die Lage etwas anders aus. Die Ermittler gingen nach Informationen unserer Redaktion mit Stefan E. durchaus auch mal einen heben, sie setzten sich mit ihm in Kneipen und versuchten, ihm etwas zu dem Prostituiertenmord aus dem Jahr 1993 zu entlocken. Offenbar prahlten sie auch selbst mit angeblichen kriminellen Taten, die sie begangen hätten. So soll es zu Stefan E.s falschen Geständnissen gekommen sein. Er wollte wohl mithalten.

    Derlei Aktivitäten, etwa im Drogenmilieu, bergen freilich auch für die Polizisten Gefahren. Nicht nur die der Enttarnung. Der ehemalige verdeckte Ermittler Uwe Dolata, heute Stadtrat in Würzburg, hat in einem Buch sehr anschaulich beschrieben, wie der Polizeidienst im Drogenmilieu in früheren Jahren seine Alkoholsucht förderte. Ein weiterer ehemaliger verdeckt arbeitender Polizist, der anonym bleiben will, sagt, es gebe auch andere Risiken: Je länger man sich in den Milieus aufhalte, desto mehr passe man sich an. Man fühle sich ein, entwickle Sympathie. Man müsse ja die Kommunikation und Körpersprache der jeweiligen Szene beherrschen, sich als „einer von denen“ geben. Dabei gibt es Grenzen.

    Die Beamten, die oft monatelang unter falscher Identität lebten, dürften keine Straftaten begehen, sagt der Augsburger Strafrechtsprofessor Peter Kasiske. Kokain dabei zu haben und sich mal eine Linie zu gönnen, geht also nicht, selbst wenn das im Milieu, das die Polizisten unterwandern, zum guten Ton gehört. Ein Problem, wenn „Keuschheitsproben“ verlangt werden – neue Mitglieder einer Szene also erst einmal eine Straftat begehen müssen, ehe man ihnen vertraut.

    Stefan E. hat Morde gestanden - nur sind die nie passiert

    Eingesetzt werden verdeckte Ermittler in der Regel im Bereich der Organisierten Kriminalität. Oder eben, um schwere Verbrechen wie einen Mord aufzuklären. Wie viele verdeckte Ermittler im Einsatz sind, geben die Behörden nicht preis. Kasiske schätzt, dass es im Freistaat eine niedrige zweistellige Anzahl der speziell geschulten Beamten gibt. Jeder Einsatz sei ungeheuer aufwendig, sagt Kasiske. Es brauche akribische, monatelange Vorbereitungen, falsche Dokumente, eine glaubwürdige Legende. Die zwei Ermittler, die nach richterlichen Beschlüssen des Amtsgerichtes auf Stefan E. angesetzt waren, sind wohl keine unerfahrenen Leute. So hat einer von ihnen nach Informationen unserer Redaktion vor Jahren zur Aufklärung eines anderen spektakulären Falls im süddeutschen Raum beigetragen.

    Strafrechtler Kasiske sagt aber auch, dass sich der Rechtsstaat mit verdeckten Ermittlern mitunter auf „dünnem Eis“ bewege. Die Beamten, die im Untergrund operieren, agierten nicht nur selbst oft am Rande der Legalität. Kritisch gesehen wird teils auch ihr Status im Gerichtsverfahren selbst. Andere Zeugen müssen bei ihren Aussagen mit ihrem Namen einstehen. Im Prozess um die Tötung von Angelika Baron erzählten etwa Frauen, die vor 25 Jahren als Prostituierte gearbeitet haben, wie das damals so war mit den Freiern und den Sexpraktiken, die sie verlangten.

    Bei verdeckten Ermittlern ist das anders. Manchmal, sagt Strafrechtler Kasiske, erhalten Gerichte nur Schriftstücke mit den Aussagen der Undercover-Beamten. Angeklagten geht das sogenannte Konfrontationsrecht verloren, also die Möglichkeit, Zeugen selber befragen zu können. Auf der anderen Seite steht der Schutz der Ermittler. Und ohne die erfahren die Strafverfolger vieles nicht. Eine Abwägungsfrage.

    Für Undercover-Ermittler gelten auch andere Regeln bei der Aussage vor Gericht

    Den echten Namen dieser Zeugen erfahren freilich auch die Richter nicht. „Chris“ und „Bernd“ sollen in Augsburg audiovisuell vernommen werden, also an einem anderen Ort sitzen und gefilmt werden, was dann in den Gerichtssaal übertragen wird. Stimme und Aussehen der beiden werden wohl technisch verfremdet, niemand soll sie erkennen können. Möglicherweise wird auch die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Eigentlich stand ihre Aussage am Montag auf dem Programm, doch der Verhandlungstag fiel aus, weil sich ein Schöffe krankmeldete.

    Auch nach gut 20 Prozesstagen vor dem Schwurgericht ist der Fall alles andere als klar. Es gibt die DNA-Spuren an der Leiche. Und es gibt einen Zeugen, der sich sicher ist, dass Stefan E. zu der Zeit genau jenen Möbelfuß im Auto liegen hatte, mit dem das Opfer geschlagen wurde und der am Fundort der Leiche lag, an einem Bahndamm bei Gessertshausen im Kreis Augsburg. Den Zeugen allerdings beschreiben andere, die damals mit Stefan E. befreundet waren, als „Schwätzer“. Eine einfache Entscheidung dürfte es für die Richter nicht werden.

    Zunächst aber sollen die beiden Undercover-Ermittler an einem späteren Verhandlungstag vernommen werden. Klaus Rödl, Verteidiger des Angeklagten, sagt, er sehe dem gelassen entgegen. Der Einsatz der verdeckten Ermittler hat jedenfalls keine weiteren durchschlagenden Beweise erbracht.

    Irgendwann konfrontierte einer der beiden falschen Freunde Stefan E. offenbar sogar mit der Wahrheit. Er sagte ihm angeblich, dass E. der Hauptverdächtige im Fall des ungeklärten Prostituiertenmordes von 1993 sei. Erfahren habe er das über Bekannte aus dem kriminellen Milieu, die gut informiert seien, was bei der Polizei so laufe. So erzählt es zumindest ein Nachbar von Stefan E. im Prozess - der Angeklagte habe ihm das damals so berichtet. Allerdings führte auch das offensichtlich nicht zum Erfolg. Stefan E. gab den Mord weiterhin nicht zu. Und er beklagte sich in einem Telefonat mit einem anderen Bekannten sogar, dass er zu Unrecht im Visier der Mordermittler sei. Die Polizei hörte dabei mit, weil ja zu dieser Zeit Stefan E.s Telefon überwacht wurde.

    Angeklagt ist der 50-jährige Augsburger nicht nur wegen Mordes. Ihm wird auch vorgeworfen, eine Bekannte aus der Drogenszene vergewaltigt zu haben. Auch darüber plauderte er mit den verdeckten Ermittlern. Die „Alte“, erzählte er einem von ihnen, wolle „ihm Ärger machen“. Gut möglich, dass die Polizei auf diesem Weg von der mutmaßlichen Vergewaltigung erfuhr.

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