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Prozess in Augsburg: Mann führt seit Jahrzehnten Kleinkrieg gegen die Justiz

Prozess in Augsburg

Mann führt seit Jahrzehnten Kleinkrieg gegen die Justiz

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    Seit mehreren Jahrzehnten führt ein Mann einen Kleinkrieg gegen die Justiz. Nun wurde er mal wieder in Augsburg verurteilt.
    Seit mehreren Jahrzehnten führt ein Mann einen Kleinkrieg gegen die Justiz. Nun wurde er mal wieder in Augsburg verurteilt. Foto: Fotolia

    Als Richter Thomas Kirschner den Sitzungssaal betritt und das Urteil – 15 Monate Gefängnis wegen zahlreicher Fälle der Beleidigung – verkünden will, bleibt Johann-Martin P. demonstrativ sitzen. Was nach dem Gerichtsverfassungsgesetz als ungebührliches Verhalten gilt. Deshalb treten zwei Justizwachtmeister in Aktion, haken den Angeklagten links und rechts unter und stellen ihn auf die Füße. Es ist nicht die einzige Provokation in diesem Prozess. Denn Johann-Martin P., 66, führt seit fast drei Jahrzehnten einen regelrechten Kleinkrieg gegen die Justiz, reizt sein Recht, das ihm die Strafprozessordnung gibt, bis zur Schmerzgrenze aus. Sein "letztes Wort" hat 90 Minuten gedauert, bis ihm das Gericht dieses Schlusswort entzieht, weil er immer wieder langatmig abgeschweift ist.

    Prozess in Augsburg offenbart den Niedergang eines Mannes

    Johann-Martin P., der seinen Namen in Briefköpfen stets mit dem von Theo Berger, dem "Al Capone vom Donaumoos", kombiniert, sieht sich als Opfer der Justiz. Und sein aus Karlsruhe angereister Verteidiger David Schneider-Addae-Mensah zieht in einer Presseerklärung an unsere Zeitung einen ziemlich heftigen Vergleich. Ihn erinnere, so der Anwalt, der Umgang der Justiz mit seinem Mandanten an Zustände in totalitären Regimen.

    Staatsanwalt Andreas Breitschaft verliest insgesamt neun Anklageschriften, in denen er dem Angeklagten eine Vielzahl von Beleidigungsfällen vorwirft, die fast ausschließlich gegen einen Vorsitzenden Richter beim Landgericht zielen. Denn die Kammer hatte Johann-Martin P. im April 2017 nach elfmonatiger (!) Prozessdauer wegen einer Unzahl von Beleidigungen, Verleumdungen und wegen Nachstellung zu einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Ende Dezember wird der 66-Jährige, der seit 2015 in Untersuchungshaft saß, entlassen. Die Untersuchungshaft wird in der Regel auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

    Johann-Martin P., der seinen Beruf mit Verleger, Journalist und Kabarettist angibt, legt sich in den neunziger Jahren mit Neuburger Stadtpolitikern an. Es geht um ein ererbtes, denkmalgeschütztes Haus. Er verfasst beleidigende Flugblätter, es hagelt Anzeigen, ein Psychiater bescheinigt ihm Schuldunfähigkeit. Im Jahr 2000 zieht er nach Augsburg. Dann entzieht ihm ein Familiengericht das Sorge- und Umgangsrecht für seine heute 20 Jahre alte Tochter. Im Kampf ums Sorgerecht startet er einen regelrechten Rachefeldzug, beleidigt und verleumdet Politiker, auch Augsburgs OB Kurt Gribl,Pfarrer, Ärzte, die Justiz. Und er stellt seiner zu der Zeit noch kleinen Tochter nach, obwohl ihm ein Gericht den Kontakt zu ihr verboten hat. Zehn Jahre lang geht das so.

    Ist der Angeklagte schuldfähig oder nicht?

    Das Strafregister von Johann-Martin P. umfasst 38 Einträge. Die ersten 36 Verfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Vor einigen Jahren haben psychiatrische Gerichtsgutachter ihre Einschätzung allerdings geändert. Dem 66-Jährigen wird nur mehr "eingeschränkte Schuldfähigkeit" bescheinigt, sodass er nun bestraft werden kann. Während Johann-Martin P. in der Vollzugsanstalt Gablingen seine viereinhalbjährige Haft absitzt, schreibt er wieder unzählige Briefe an die Justiz, in denen er den Vorsitzenden Richter derjenigen Kammer beleidigt, die ihn verurteilt hat. Er wirft dem Richter vor, seine Tochter "geschändet" zu haben, ein "Neonazi" zu sein, an einer Geisteskrankheit zu leiden. "So wie er urteilt, würde er auch 3000 Juden vergasen lassen", schreibt er im Mai 2017. All die Beschimpfungen führen nun zu dem neuerlichen Prozess vor dem Amtsgericht.

    Der 66-Jährige mit wallendem grauen Rauschebart macht seinem Ruf, der ihm vorauseilt, sogleich alle Ehre. Er beantragt sofort nach Verhandlungsbeginn, "aufs Klo gehen zu dürfen". Richter Kirschner unterbricht für eine Viertelstunde. Danach wiederholt der Angeklagte seinen Antrag zum Toilettenbesuch. "Und zwar ohne Zuschauer", wie er sagt. Den zweiten WC-Gang lehnt das Gericht ab. Es folgt der Antrag, das Kreuz im Gerichtssaal abzunehmen. Abgelehnt. Dann ein Befangenheitsantrag. Zu den einzelnen Vorwürfen äußert sich Johann-Martin P. nicht. Er habe ja nur, was sein Auftrag als Verleger und Journalist sei, die Wahrheit geschrieben. Und das dürfe man doch wohl. Sobald der Angeklagte das Wort ergreift, ergeht er sich in langen Ausführungen zum Sorgerecht für seine Tochter. Und er sagt immer wieder: "Ich sitze unschuldig im Gefängnis". Und wenn er entlassen werde, so ist er sich sicher, "werde ich umgebracht."

    Auch in diesem Prozess bescheinigt der psychiatrische Gutachter Richard Gruber dem Angeklagten, den er seit zwölf Jahren kennt, "eingeschränkte Schuldfähigkeit" aufgrund einer psychischen Störung. Am Ende verurteilt Richter Thomas Kirschner den Angeklagten zu 15 Monaten Haft. Weil davon auszugehen ist, dass Johann-Martin P. in die Berufung geht, kann er trotzdem Ende des Jahres aus der Haft entlassen werden.

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