Schon nach wenigen Sekunden gibt es einen ersten Eklat im großen Sitzungssaal des Augsburger Strafjustizzentrums. Der Angeklagte spuckt in Richtung der Journalisten, die ihn fotografieren. Als kurz darauf die Richter den Saal betreten, weigert sich Haidar A., 26, aufzustehen. Es gibt ein Gerangel mit Justizbeamten und Polizisten. Als sich die Situation wieder beruhigt, ordnet die Vorsitzende Richterin Sandra Mayer an, dass der Angeklagte während des Prozesses eine Spuckhaube aus dünnem Stoff über dem Kopf tragen muss. Sie soll verhindern, dass er um sich spucken kann.
Der Prozess am Landgericht in Augsburg startet am Dienstag ohnehin unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Haidar A., der eigenen Angaben zufolge Palästinenser ist, soll versucht haben, während eines Prozesses mehrere Richter und einen Staatsanwalt zu ermorden. Die Anklage wirft dem Mann, der auch durch islamistische Äußerungen aufgefallen ist, sechsfachen Mordversuch vor.
Es geht um einen Vorfall im Sommer 2017. Der Syrer stand damals in Augsburg vor Gericht, weil er versucht hatte, einen Mitbewohner in einer Asylunterkunft in Hurlach (Kreis Landsberg) zu enthaupten. Er hatte dem Mitbewohner ein Messer in den Hals gerammt. Der Stich war zwölf Zentimeter tief, das Opfer überlebte nur dank einer schnellen Not-OP. Während der Urteilsverkündung zu diesem Verbrechen – er wurde wegen Mordversuchs zu knapp 13 Jahren Haft verurteilt – versuchte Haidar A., sich die Pistole eines Polizisten zu greifen. Es gab ein Gerangel, am Ende konnten mehrere Beamten ihn aber überwältigen und fesseln. Haidar A. hatte zuvor außerdem mit einem Schuh nach dem Staatsanwalt geworfen und mehrfach in Richtung der Richter gespuckt.
Der Angeklagte gibt zu, dass er sich die Waffe greifen wollte
Haidar A. gibt ohne Zögern zu, dass er sich die Waffe des Polizisten greifen und damit den Staatsanwalt und die Richter erschießen wollte. Es sei ihm nur nicht gelungen. „Ich hätte mit dem Staatsanwalt angefangen“, sagt er am Dienstag vor Gericht. Er habe sich von der Justiz ungerecht behandelt gefühlt. Für den Messerangriff auf seinen Mitbewohner in der Asylunterkunft verteidigt er sich. Der Mitbewohner habe schließlich wiederholt den Islam beleidigt. Nur deshalb habe er ihn attackiert und mit dem Messer zugestochen.
Er akzeptiere es nicht, wenn jemand seine Religion beleidige, sagt Haidar A. „Da werde ich sauer.“ Ob er auch künftig gewalttätig werde, wenn jemand seine Religion beleidige, will die Vorsitzende Richterin wissen. Er antwortet nur: „Nicht sofort.“ Als er gefragt wird, ob er ein Islamist sei, sagt er: „Ich bin stolz, ein Muslim zu sein.“ Er sagt auch, dass er zwar nicht die deutsche Gesellschaft, dafür aber die deutsche Polizei und Justiz hasse.
Der Angeklagte gab in einer Vernehmung bei der Polizei an, wegen des Bürgerkriegs aus Syrien geflohen zu sein. Zeitweise sei er während seiner Flucht auch bei der Terrororganisation „Islamischer Staat“ untergekommen und gut behandelt worden, deshalb könne er nichts Schlechtes über den IS sagen. Als Palästinenser sympathisiere er auch mit der als Terrororgruppe eingestuften Hamas-Organisation. Er gibt zu, dass er Erfahrung im Umgang mit Waffen hat. Die Dienstpistole des Beamten, eine P7 von Heckler & Koch, habe er aber nicht gekannt. Er habe ohnehin nicht damit gerechnet, sagt Haidar A., dass es ihm gelingen könnte, die Waffe an sich zu nehmen und zu feuern.
Geladen allerdings war die Pistole, mit acht Schuss Munition. Der 55-jährige Polizist berichtet als Zeuge vor Gericht, er habe wahrgenommen, dass der Angeklagte ihm an den Gürtel gefasst habe. Es sei ihm aber nicht gelungen, die Waffe aus dem gesichertem Holster zu ziehen. Damit sich so ein Zwischenfall im aktuellen Prozess nicht wiederholen kann, muss der 26-Jährige dieses Mal an Händen und Füßen gefesselt auf der Anklagebank sitzen. Zudem trennt eine Glasscheibe den Angeklagten von der Richterbank.
Über seinen Hass auf den deutschen Staat sprach er ganz ruhig
Ein Kriminalbeamter, der mit Haidar A. im Gefängnis länger gesprochen hat, sagt, die Situation während der Vernehmung sei sehr ungewöhnlich gewesen. Der Angeklagte habe offen über seinen Hass auf den deutschen Staat gesprochen – und auch keinerlei Reue gezeigt. Gleichzeitig habe er sich während des Gespräch aber freundlich und zuvorkommend verhalten.
Haidar A.s Anwalt Walter Rubach sagt, er habe Zweifel, dass es sich bei der Tat um einen Mordversuch handelt. A. habe zwar zugegeben, in Richtung der Dienstwaffe gegriffen zu haben. Allerdings legten die ersten Zeugenaussagen im Prozess den Eindruck nahe, dass er sein Vorhaben nicht mit dem für einen Mordversuch erforderlichen Nachdruck umgesetzt habe. Der Prozess wird in rund zwei Wochen fortgesetzt.
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