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Prozess in Augsburg: Groß angelegter Betrug: Wie das Coronavirus ein Verfahren überschattet

Prozess in Augsburg

Groß angelegter Betrug: Wie das Coronavirus ein Verfahren überschattet

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    Das Strafjustizzentrum ist dieser Tage so gut wie leer.
    Das Strafjustizzentrum ist dieser Tage so gut wie leer. Foto: Silvio Wyszengrad

    Es könnte ein Mammutverfahren sein, die Grundlagen dazu wären da. Die Anklageschrift umfasst etwa 20 Seiten, es braucht zwei Stunden, ehe die Staatsanwältin sie verlesen hat. Es geht um eine komplexe, länderübergreifende kriminelle Masche und zwei junge Männer aus der Region, die Teil davon waren. Das Gericht könnte vermutlich dutzende Zeugen laden, hunderte Seiten Unterlagen verlesen, die Verteidiger Anträge über Anträge stellen, und alles würde sehr lange dauern. Doch der Prozess, am Mittwoch gestartet, ist voraussichtlich am Freitag dieser Woche schon wieder vorbei.

    Es geht darin um einen groß angelegten Betrug. Im Sommer 2018 riefen Kriminelle in mehr als einhundert Fällen Bankkunden unter einer gefälschten Telefonnummer an und behaupteten, Mitarbeiter ihrer jeweiligen Geldinstitute zu sein. Sie sagten zum Beispiel, man müsse „Kontodaten abgleichen“, etwa, weil man neue EC- oder Kreditkarten ausstellen wolle oder weil sich eine EU-Richtlinie geändert habe. Hatten die falschen Bankmitarbeiter die Daten der Kunden, wandten sie sich an deren Bankfilialen, wo den echten Bankmitarbeitern auf ihren Telefonen die tatsächlichen Rufnummern der jeweiligen Kunden angezeigt worden sein sollen.

    Die Kriminellen gaben sich als die Kunden aus, deren Daten sie just erbeutet hatten, und veranlassten Überweisungen. Mal ging es um 1500, mal um 2500 Euro, auf hohe Hürden stießen die Betrüger bei den Bankfilialen offenbar nicht. Über Umwege ging das Geld zu den Hintermännern in der Türkei. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Gesamtschaden von etwa 500.000 Euro aus.

    Groß angelegter Betrug in Augsburg: Spur führt in die Türkei

    Zu der kriminellen Gruppierung gehören nach Erkenntnissen der Augsburger Polizei mehr als 100 Helfer, 70 davon aus dem Augsburger Raum. Ihre Opfer hießen „Gerhard“ oder „Erdmute“ mit Vornamen, es waren zumeist ältere Menschen. Die Männer, die nun vor der 1. Strafkammer des Landgerichtes angeklagt sind, waren Rädchen im Getriebe, sogenannte „Logistiker“. Sie waren dafür zuständig, „Finanzagenten“ anzuwerben, die am Ende der Kette standen und ihre Konten zur Verfügung stellten, damit darauf Geld zwischengeparkt werden konnte, ehe es in die Türkei floss. Dort saßen die Drahtzieher – nach Erkenntnissen der Ermittler zwei Brüder und ihre Lebensgefährtinnen, die fließend Deutsch sprechen und für die Organisation des Betruges, aber auch für die Anrufe zuständig gewesen sein sollen.

    Die beiden jetzigen Angeklagten sind 22 und 23 Jahre alt, sie stammen aus dem Irak, leben aber seit Langem in Deutschland. Viel geglückt ist ihnen im Leben bislang noch nicht, groß aufgefallen sind sie den Ermittlungsbehörden zuvor aber auch nicht. Seit mehr als einem Jahr sitzen sie in Untersuchungshaft, im Gerichtssaal räumen sie alles ein. Bereits bei der Polizei hatten sie ein Geständnis abgelegt.

    Es ist der Hauptgrund, warum dieser Prozess vermutlich schon an diesem Freitag mit einem Urteil enden dürfte und sich nicht über Wochen oder Monate zieht. Möglich allerdings, dass auch die Ausbreitung des Coronavirus eine Rolle spielt. Sie hat dazu geführt, dass viele Gerichtsverfahren, die gerade nicht unbedingt angesetzt werden müssen, verschoben worden sind. Vieles ist im Strafjustizgebäude an der Gögginger Straße in diesen Tagen anders als sonst.

    Das Coronavirus hat Einfluss auf den Gerichtsbetrieb in Augsburg

    Am Eingang hängt ein Schild, das darauf hinweist, dass man nach dem Betreten des Gebäudes die Hände waschen und Körperkontakt vermeiden solle. Da kaum Prozesse stattfinden, ist der Bau so gut wie leer, an vielen Aushängen sind die Termine mit einem Stift durchgestrichen worden. Besucher müssen auf einem Zettel Namen und Adresse angeben. Im Erdgeschoss unterhält sich ein Anwalt mit einem Richter, wie man damit verfahren solle, dass ein Verwandter des Anwalts Grippesymptome zeige. Oben, im 1. Obergeschoss, im Landgerichtsprozess, sitzen dagegen viele Familienmitglieder der Angeklagten im Zuschauerbereich, es ist kaum ein Platz frei.

    Richter Christian Grimmeisen regt an, dass einige Zuschauer den Saal angesichts der Corona-Krise verlassen könnten, um mehr Platz zwischen den einzelnen Personen zu schaffen. Es sei aber ein öffentliches Verfahren, wer bleiben wolle, könne das natürlich. Einige der Besucher finden die Idee nun allerdings offenbar gut und gehen.

    Auch sonst ist manches ungewöhnlich am Prozess. Die Geschädigten etwa werden nicht als Zeugen in den Gerichtssaal geladen, ihre Aussagen bei der Polizei werden verlesen. Alle Beteiligten sind einverstanden mit dem Prozedere, auch die Anwälte Wilhelm Seitz, Stefan Mittelbach und Ralf Schönauer; alle erwecken den Eindruck, dieses Verfahren nicht länger strecken zu wollen, als es nötig ist.

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