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Polizistenmord: Witwe Sandra Vieth ist enttäuscht vom Staat

Polizistenmord

Witwe Sandra Vieth ist enttäuscht vom Staat

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    Über zwei Jahre ist es her, dass der Augsburger Polizist Mathias Vieth erschossen wurde. Nun hat erstmals die Witwe ein Interview gegeben. Archivbild
    Über zwei Jahre ist es her, dass der Augsburger Polizist Mathias Vieth erschossen wurde. Nun hat erstmals die Witwe ein Interview gegeben. Archivbild Foto: Anne Wall

    Sie wollte das hier nicht. Mehr als zwei Jahre lang hat die Witwe des ermordeten Augsburger Polizisten Mathias Vieth geschwiegen. Sie wollte nicht, dass die Öffentlichkeit in ihr Privatleben eindringt. Sie wollte nicht von den Medien belagert werden. Sie wollte versuchen, ohne weitere seelische Belastung den Alltag ohne ihren Mann und den Vater ihrer Kinder bewältigen zu lernen.

    „Ich wollte mit meiner Trauer und meinem Schmerz allein fertigwerden. Und ich habe fest darauf vertraut, dass das Strafverfahren seinen regulären Gang geht“, sagt Sandra Vieth.

    Sandra Vieth: Vertrauen auf schmerzvolle Weise enttäuscht

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Aber es kam anders. Und deshalb hat sie jetzt zum ersten Mal mit einem Journalisten gesprochen. Denn Frau Vieths Vertrauen in die Justiz ist auf eine für sie besonders schmerzvolle Weise enttäuscht worden. Seit einigen Wochen hat der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder ihres Mannes die Bahnen eines normalen Verfahrens verlassen. Raimund M., 60, ist von einem Gutachter krankgeschrieben worden. Der Prozess gegen ihn ist auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Es droht sogar die Freilassung.

    Für die Witwe ein Albtraum

    Das ist für Sandra Vieth ein Albtraum. Sie ist davon überzeugt, dass die beiden Angeklagten die Täter sind. Und sie fragt sich, wie es so weit kommen konnte: „Mein Mann hat dem Staat treu gedient. Warum ist dieser Staat, diese Justiz jetzt nicht in der Lage, die Mörder meines Mannes zu verurteilen?“ Sandra Vieth ist fassungslos.

    Die Polizisten-Witwe mag nicht glauben, dass sich M.s Gesundheitszustand so rapide verschlechtert hat. Sie hält es für möglich, dass M. dem Gutachter etwas vorspielt. Und auch wenn sich die Erkrankung doch bestätigen sollte, will Sandra Vieth nicht, dass M. auf freien Fuß kommt. Sandra Vieth hat Angst. Auch um ihre zwei Söhne. Eine berechtigte Sorge?

    Frist bis Ende des Jahres

    Nach Recherchen unserer Zeitung hat Gutachter Ralph-Michael Schulte eine Frist bis Ende des Jahres gesetzt. Wenn sich M. bis dahin nicht erholt hat und unklar ist, ob der Prozess wieder von Neuem beginnen kann, will er ihn in ein Gefängnis-Krankenhaus nach Nordrhein-Westfalen verlegen lassen. Dann wäre der mutmaßliche Mörder schon sehr weit weg.

    Das Augsburger Landgericht ist aber offenbar zuversichtlich, dass M. wieder der Prozess gemacht werden kann. Es hat vorsorglich Verhandlungstermine von Ende Februar bis Ende Juli 2014 angesetzt.

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