Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Polizistenmord: Witwe Sandra Vieth bricht ihr Schweigen: Es bleibt nur Trauer

Polizistenmord

Witwe Sandra Vieth bricht ihr Schweigen: Es bleibt nur Trauer

    • |
    Witwe Sandra Vieth bricht ihr Schweigen: Es bleibt nur Trauer
    Witwe Sandra Vieth bricht ihr Schweigen: Es bleibt nur Trauer

    Sandra Vieth bricht ihr langes Schweigen mit einer Frage: „Gibt es eine Steigerung von Ungerechtigkeit?“ Die Witwe des ermordeten Augsburger Polizisten Mathias Vieth ist geschockt. Mehr als zwei Jahre lang hat sie es geschafft, in ihrer Trauer für sich zu sein. Privat, im Familienkreis. Die private Trauerarbeit und den öffentlichen Strafprozess gegen die mutmaßlichen Mörder ihres Mannes hat sie komplett voneinander abgekoppelt. Das geht nun nicht mehr. Denn der geplatzte Prozess gegen Raimund M. hat ihren Weg zu einem Neubeginn abrupt gestoppt.

    Am 28. Oktober 2011 gegen 3 Uhr morgens erschossen zwei Verbrecher ihren Mann. Den Vater zweier Söhne. Sandra Vieth ist nach dem bisherigen Prozessverlauf davon überzeugt, dass Rudi R., 58, und Raimund M., 60, die Täter waren. „Mein Mann wurde hingerichtet. Uns steht ein Leben ohne Mann, Vater, Bruder bevor und dem Täter winkt die Freiheit. Wir haben lebenslange Trauer und der Mörder bekommt womöglich eine Haftentschädigung.“ Sie stockt und holt tief Luft.

    Sie hatte ein Urteil herbeigesehnt

    Die Witwe fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Ihr Verständnis von Recht und Gerechtigkeit hat tiefe Risse bekommen. Sie sitzt in der Kanzlei ihres Augsburger Rechtsanwalts Walter Rubach. Nach Hause zu sich will sie keine Fremden lassen. Das Privatleben bleibt tabu. Ein Foto, auf dem sie zu erkennen wäre, darf es nicht geben. Der Blick in ihr Seelenleben ist für Sandra Vieth, 43, Anstrengung genug. Sie knetet die Hände, denkt lange über Antworten nach.

    Das Urteil war schon so nahe. Sie hat es herbeigesehnt. Sie wollte abschließen und neu anfangen. Sie kann nicht verstehen, dass sich Raimund M. aus dem Verfahren gestohlen hat. Ihr Mann war gerne Polizeibeamter. Er hat dem Staat sein ganzes Berufsleben lang treu gedient. „Warum ist dieser Staat, diese Justiz jetzt nicht in der Lage, die Mörder meines Mannes zu verurteilen?“, fragt Sandra Vieth enttäuscht.

    Warum eigentlich?

    Ein halbes Jahr lang lief der Strafprozess gegen Rudi R., 58, und Raimund M., 60, nach Plan. Das Schwurgericht sammelte eine stattliche Anzahl von belastenden Indizien gegen die Brüder. Im August konnten die beiden Männer praktisch als überführt gelten. Überführt des Mordes an Mathias Vieth. Doch am 26. September kam der Paukenschlag des Gutachters Ralph-Michael Schulte: Er sagte, Raimund M.s Gesundheitszustand habe sich rapide verschlechtert. Er machte dafür neben der Parkinson-Krankheit vor allem die Einzelhaft verantwortlich, in der M. 15 Monate lang saß. Die Verteidiger kritisierten diese Haftbedingungen als „menschenunwürdig“.

    Nun versucht die Justiz, den Angeklagten wieder aufzupäppeln. Im Gefängnis München-Stadelheim soll ein „Zehn-Punkte-Plan“ Schultes möglichst konsequent umgesetzt werden. Diese Woche soll Raimund M. in der neurologischen Abteilung des Uniklinikums Großhadern untersucht werden.

    Sandra Vieth beobachtet diese hektischen Bemühungen mit zunehmender Skepsis. Sie fragt sich ständig, was da schiefgelaufen ist. Sie hat starke Zweifel an der plötzlichen Schwäche des mutmaßlichen Mörders. Sie hält das Ganze für eine längerfristig eingefädelte Strategie. „An einem Tag ist er, soweit ich erfahren habe, gut orientiert, am nächsten ein Häufchen Elend. Wer soll das glauben?“

    Simuliert Raimund M.?

    Sie hält es durchaus für möglich, dass M. simuliert, auch wenn der Gutachter und die Verteidiger Werner Ruisinger und Adam Ahmed das ausschließen. Aus Polizeikreisen hat Sandra Vieth gehört, dass Raimund M. sich auf den Transporten vom Gefängnis ins Landgericht Augsburg ganz normal verhalten habe. Das sagen auch Gefängnis-Mitarbeiter. „Wieso findet das keinen Eingang ins Verfahren?“, fragt die Polizisten-Witwe.

    Sie kann einfach nicht glauben, dass sich Raimund M.s Zustand so plötzlich so massiv verschlechtert hat, ohne dass jemand etwas bemerkt haben soll. „Es müssen nachprüfbare Fakten her“, sagt Sandra Vieth. „Und selbst wenn er so krank ist, darf er nie wieder frei kommen. Schwerverbrecher gehören ins Gefängnis.“

    Sonst sei es ihrer Familie nicht möglich, ein Leben in Ruhe zu führen. „Natürlich leben wir in Angst und Ungewissheit. Die jetzige Entwicklung ist katastrophal für meine Familie, aber auch für die Gesellschaft“, sagt sie. „Wer gibt mir denn die Garantie, dass dieser Mann, wenn er denn rauskommen sollte, nicht wieder zur Waffe greift?“

    Familie Vieth hat das Gefühl: Da wird mit zweierlei Maß gemessen

    Dem Sachverständigen Schulte will Sandra Vieth die Kompetenz gar nicht absprechen. „Aber reicht ein einziges Gutachten zur Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit?“ Ein Gutachten, das zu objektiven Erkenntnissen kommt, müsste her, sagt sie. Doch M. könnte das ablehnen. Wie er bereits Blutentnahmen und bisher eine neurologische Untersuchung abgelehnt hat, mit denen geprüft werden sollte, ob er seine Parkinson-Medikamente nimmt. Die Familie Vieth hat das Gefühl: Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Wenn einer betrunken Auto fährt, wird ihm doch auch Blut abgenommen, ob er will oder nicht.

    Die Schwierigkeiten im Prozess haben in den vergangenen Wochen ausschließlich die mutmaßlichen Mörder in den Mittelpunkt gerückt. Vom Opfer war kaum noch die Rede. Auch das will die Witwe wieder ändern.

    Mathias Vieth war ein Vorzeigepolizist und Bilderbuchvater

    Mathias Vieth, der 41 Jahre alte Mann mit dem sympathischen Lachen und den strahlenden Augen, war ein Vorzeigepolizist und Bilderbuchvater. Die Söhne sind heute 16 und 19 Jahre alt. „Den Jungs fehlt er auch sehr“, erzählt Sandra Vieth. Mehr will sie über die Söhne nicht sagen. Sie will sie schützen. Die Tränen kann sie jetzt kaum mehr zurückhalten. Das strahlende Lachen ihres Mannes existiert nur noch auf Fotos.

    Mit 17 kam Vieth zur Polizei. Seine Frau lernte er während seiner Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Königsbrunn kennen und lieben. Seine Kollegen beschreiben ihn als einen Polizisten, der nicht nur für Recht und Ordnung sorgen wollte, sondern sich auch um die Menschen kümmerte, sich deren Probleme anhörte, auch wenn sie einmal nichts mit der üblichen

    Hilfsbereit und sympathisch – so war Mathias Vieth bei der Arbeit, sagen die Kollegen. Als die Nachricht von seinem Tod die Polizeiinspektion Süd in Augsburg erreichte, haben viele geweint. Der Leiter seiner Dienstgruppe sagte bei der Trauerfeier im Augsburger Dom vor 1900 Gästen: „Er war der beste Polizist, den ich in meinem Leben kennenlernen durfte.“

    Er wollte gesund bleiben, für die Söhne und die Ehefrau

    Die Schutzweste konnte Vieth nicht retten. Die Ermittlungen und die Spurensicherung haben ergeben, dass der 41-Jährige aus nächster Nähe mit einer Salve aus einer Kalaschnikow hingerichtet wurde. Die Weste hatte „Matze“ immer getragen, auch im Hochsommer. Er wollte gesund bleiben, für seine Familie, seine Söhne und seine Ehefrau.

    Obwohl er im Beruf und im Privatleben so beliebt und geachtet war, blieb Mathias Vieth bescheiden und zurückhaltend. Im Mittelpunkt wollte er nie stehen. Es ist an Tragik kaum zu überbieten, dass dieser Mensch ausgerechnet durch seine Ermordung ins Zentrum des öffentlichen Interesses gelangt ist. „Es ist völlig absurd, dass er jetzt unfreiwillig so in den Mittelpunkt gerückt wird“, sagt seine Frau.

    Daheim, in der Familie, drehen sich die Gedanken weiter um den Vater und Ehemann. „Er fehlt so sehr.“ Es bleibt nur Trauer: „Die letzten zwei Weihnachtsfeste haben wir nicht gefeiert. Wir haben sie überstanden“, sagt Sandra Vieth.

    Doch anstatt in der gewünschten Ruhe den Tod eines geliebten Menschen verarbeiten zu können, muss die Familie jetzt mit ansehen, wie das Verfahren gegen einen der mutmaßlichen Mörder urplötzlich auf der Kippe steht. Das versteht in der Familie keiner: Mathias Vieths Söhne nicht, seine Ehefrau nicht.

    Sandra Vieth sagt: „Mathias hatte einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Was jetzt geschieht, hätte nicht in sein Weltbild gepasst.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden